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Künstliche Intelligenz: Vom Hype zum Handwerkszeug

ChatGPT war der Eisbrecher, doch viele Mittelständler hocken in Sachen KI noch in den Start- löchern. An Beratungsoptionen mangelt es nicht. Aber Berührungsängste bleiben – und die Frage: Wo anfangen?

Ralph Wörheide pendelt als Türöffner zwischen den Welten: heute in Wisconsin beim Kunden, nächste Woche wieder in Wuppertal, wo der Wirtschaftsingenieur eine Technologieberatung namens Funkengeber mitgegründet hat. Der erfahrene Unternehmer weiß, wie Internationalisierung im Maschinenbau läuft. Schließlich hat er mit ORONTEC einen Messgerätehersteller für die Lack- und Farbenindustrie aufgebaut und hilft heute deutschen Mittelständlern dabei, auf dem US-Markt Fuß zu fassen. „Der erste Haken ist immer der Service“, sagt Wörheide. „Wenn man einen Kunden in den USA oder Korea nicht davon überzeugen kann, dass man auch zuverlässiges Troubleshooting bereitstellt, kommt man nicht ins Geschäft.“ Und das führt zum zweiten Haken: „Es würde alle Ressourcen sprengen, überall einen Servicetechniker auf Abruf zu haben, wo man ein System verkauft.“

Was also tun? Ein gut trainierter KI-Chatbot könnte die Lösung sein, glaubt Wörheide. Ein Computerprogramm, das menschliche Kommunikation nachahmt und auf Nachfrage Lösungen anbietet – natürlich verständlich, in beliebiger Sprache und nimmermüde. Die immer populärer werdende Chatbot-Idee erinnert Wörheide wiederum an alte Zeiten, als noch analog gearbeitet wurde: Einmal bei einem Schadensfall in Kanada fiel ihm sein Freund Jim ein, „der wohnte zufällig in der Nähe“, war aber fachfremd. „Ich habe ihn telefonisch im Blindflug durch die Maschine geleitet. Hat funktioniert – für mich der Machbarkeitsbeweis für Remote Service.“ Statt eigener Improvisationskunst zapft Wörheide heute Künstliche Intelligenz (KI) an. Gemeinsam mit anderen Unternehmen will er den Geräteservice mithilfe von Generativer KI optimieren – konkret: mit einer Eigenentwicklung auf Basis des Sprachmodells GPT4 von OpenAI. „Wir programmieren derzeit im Team einen sogenannten Demonstrator, der mit exemplarischen Servicefällen trainiert wird – und sich mit jeder Anfrage verbessert“, erklärt Wörheide. Als Datenquellen werden Handbücher, Support-Dokumentationen, E-Mails und Ticketsysteme aufbereitet. Wörheide definiert das Ziel so: „Wir wollen das Wissen für Trouble­shooting in eine Datenbasis bringen. Und die dann mit einer KI so verfügbar machen, dass der Kunde zumindest eine erste Hilfestellung bekommt.“

KI wird zur Unternehmenswirklichkeit

Gefördert und koordiniert wird das Digitalisierungsprojekt vom Bundeswirtschaftsministerium – über das „Mittelstand-Digital Zentrum WertNetzWerke“, das in Köln sitzt und bundesweit KI-Projekte anschiebt. Stets sind mehrere Mittelständler beteiligt, das ist Förderbedingung. Schnelle Hilfe für Kunden in Not – was Wörheide mithilfe von KI sicherstellen will – ist für jedes Unternehmen elementar. Und nicht nur bei der Kunden-Hotline kann intelligente Software einen Vorsprung bringen. Die gesamte Büroarbeit kann mit Techniken, wie sie Wörheide im Maschinenbau-Service entwickelt, auf ein neues Niveau gehoben werden. „KI eröffnet auch kleineren Unternehmen neue Chancen für Arbeitsproduktivität, Wissensmanagement und Marktzugänge“, sagt Erich Behrendt, KI-Trainer am Mittelstand-Digital Zentrum. „KI ist rasant zur Unternehmenswirklichkeit geworden und verschwindet nicht wieder.“

Abzuwarten mit deutschem Perfektionsanspruch, könnte die Wettbewerbsposition kosten. Doch womit soll es losgehen? Und was war noch mal mit Datenschutz? Diese Fragen stellen sich manche Chefs, während man nebenan im Vorzimmer schon zig Mails mit KI-Hilfe aufhübscht. Der Informationsbedarf ist sprunghaft gestiegen, seitdem Ende 2022 der klug wirkende Textroboter ChatGPT mit seiner Eloquenz alle Welt in Staunen versetzt hat.

Das Mittelstand-Digital Zentrum WertNetzWerke will helfen, diesen Bedarf zu decken. Dessen Angebote sind für kleine und mittlere Unternehmen kostenfrei und anbieterneutral, sagt Netzwerk-Sprecher Andreas Finke. „Wir helfen ganz niederschwellig dabei, die Möglichkeiten für einen KI-Einsatz zu sondieren, um dann im Verbund mit anderen Unternehmern in ein praxisbezogen unterstütztes Projekt zu starten.“ Manche Webinare verheißen rasanten Erfolg. Kostprobe: „Ein personalisierter Chatbot für Ihre Website in einer Stunde“. 60 Minuten, fünf Schritte, kein Vorwissen nötig, kein Fachjargon, alles gratis – so das Versprechen. In hoher Schlagzahl setzen die Wissensvermittler Webinare, Unternehmertreffs und Roadshows auf.kann 

  • Zeitfresser eliminieren

    In Phasen des Umbruchs schlägt die Stunde der Netzwerker, Ermutiger und Sondierer. KI-Trainer Behrendt ist so einer. Als Vorsitzender des Hagener Innovationsnetzwerks Wisnet e.V. schlägt der Professor die Brücke zwischen Wissenschaft und Unternehmensführung – gerade in datengetriebenen Transformationsprozessen. „Die Wahrnehmung, dass man als Laie über ChatGPT in die Welt der Künstlichen Intelligenz ohne jede Hürde einsteigen kann, war der Eisbrecher“, sagt der Soziologe. „Aber erst jenseits der Standardanwendungen tauchen die ernsten Fragen auf.“

    Übersetzungen in exotische Sprachen per Mausklick, Vertragsentwürfe in Beinahe-Perfektion – all das gelinge mit den KI-Sprachmodellen bequem. „Solche Zeitfresser zu eliminieren, das sind die niedrig hängenden Früchte“, sagt Behrendt. Mit sogenannter Robotic Process Automation (RPA) gelinge das in Bürowelten schon seit einigen Jahren. Die Software-Roboter übernehmen öde Tätigkeiten wie das Umkopieren von Mailinhalten in Datenbanken. Das entlastet enorm im Kundendienst oder in der Buchhaltung. Auch Steuerberater gewinnen mit RPA-Anwendungen dank des hohen Anteils regelbasierter Arbeit viel Tempo.

    Mit generativer KI, also lernfähiger Software, steige nun das Niveau und die Anforderung an die eigene Mitwirkung, sagt Behrendt. „Wirklich spannend wird es, wenn man es schafft, das Spezialwissen einer Firma mit einer generativen KI zu kombinieren.“ Behrendt spricht von Domänenwissen, das teilweise nur bei erfahrenen Leuten zu finden sei. „Der wesentliche Nutzenvorteil liegt im Erschließen von betriebsspezifischen, nichtöffentlichen Daten.“ Dafür allerdings sei hoher Trainingsaufwand nötig, das Aufbereiten und Einfüttern dieser Daten. Behrendts erste Frage: „Nehme ich mir die Energie?“ Die zweite: „Wie stelle ich sicher, dass alle geschäftskritischen und wettbewerbsrelevanten Daten inhouse bleiben?“ Es sei ein ganz zentraler Punkt, dass man sich abschottet. Datensicherheit ist absolutes Muss

    Auch für Ralph Wörheide war die Absicherung des Betriebswissens in seinem Chatbot-Projekt zentral: „Das eingesetzte Sprachmodell von OpenAI wird nur verwendet, um die Sprachverarbeitung zu machen. Die technischen Daten selbst bleiben gekapselt.“ Und obwohl er USA-affin ist, warnt Wörheide vor Blauäugigkeit: „Die deutschen Unternehmen trauen dem amerikanischen Datenschutz zu Recht nicht über den Weg, also müssen wir etwas Eigenes bauen.“ Der jüngst beschlossene AI Act der Europäischen Union, der 2026 scharfgeschaltet werden soll, wird Unternehmer je nach Risikoklassifizierung ohnehin zwingen, ihre KI-Systeme prüfen zu lassen. Wer heute die skizzierten Standards berücksichtigt, ethisch und regulatorisch sauber arbeitet, vermeidet in zwei Jahren teuren Ärger. Erste Mittelständler haben Hand angelegt. So bietet die Drogeriemarktkette dm einen eigenen Chatbot namens dmGPT. Motto: die Neugier der Mitarbeiter nutzen, aber kanalisieren. Das System werde auf der unternehmenseigenen Cloudinfrastruktur bereitgestellt, erklärt dm-Geschäftsführer Roman Melcher. „Das minimiert Risiken in Bezug auf Datenschutzkonflikte und fehlende vertragliche Rahmenbedingungen.“ Die hauseigene Lösung biete einen ähnlichen Funktionsumfang wie das Original ChatGPT und nutze die gleiche Technologie im Hintergrund. Nach einer Probephase kann seit Februar die gesamte dm-Belegschaft das Tool nutzen, etwa um Texte und Konzepte zu erstellen, Software zu verbessern oder auf die dm-Infodatenbank zuzugreifen. Kein Dritter könne sehen, was die Beschäftigten eingeben.

    Auch der Kölner Modehersteller Armedangels macht von sich reden. Hier schlägt intelligente Software die Brücke zwischen Büro und Fabrik. Durch die KI-gestützte Analyse von Bestellungen und Retouren will das Unternehmen die Produktion passgenauer machen. Welche Farben, welche Größen sind weniger gefragt? Man könne durch bessere Prognosen nachhaltiger werden und Überproduktion vermeiden. Armedangels-Chef Martin Höfeler gab an, er wolle so die Jahresproduktion um mehr als 40.000 Teile gezielt reduzieren. „Decision Intelligence“ heißt dieses Einsatzgebiet. Auch der Prothesen-Weltmarktführer Ottobock nutzt KI, etwa beim Schreiben von Vertriebsmails an Sanitätshäuser. Durch die Auswertung früherer Bestellungen werden automatisch auf einzelne Kunden angepasste Formulierungen vorgeschlagen. Als Ziel nennt das Unternehmen bis zu 30 Prozent mehr Vertriebsproduktivität binnen fünf Jahren.

  • Abwarten ist keine Strategie

    Damit sind dm, Armedangels oder Ottobock weit vorne. Denn eine aktuelle Umfrage des Digitalverbands Bitkom zeigt, wie Wunsch und Wirklichkeit bei der KI-Nutzung oft noch auseinanderdriften – insbesondere bei Büroanwendungen: Zwar sagen zwei Drittel der deutschen Mittelständler, KI werde Entlastung bringen bei Routineaufgaben in Geschäfts- und Verwaltungsprozessen. Mehr als ein Drittel glaubt sogar, der Fachkräftemangel sei ohne KI-Einsatz langfristig nicht zu bewältigen. Doch bei der eigenen Umsetzung zögern viele. Vier von fünf Unternehmen wollen zunächst Erfahrungen anderer abwarten. Daniil Heinze, Bitkom-Experte für Digitale Geschäftsprozesse, sieht das kritisch: „Abwarten, bis die Wettbewerber ihre KI-Projekte längst auf die Strecke gebracht haben, ist keine Strategie“, sagt er. „Die Hürden für den Einstieg in KI waren noch nie so niedrig und das Angebot an Unterstützung bei der Einführung war noch nie so groß.“

    Gleichwohl: Die Zögerlichkeit hat Gründe. Vor allem ist der menschliche Faktor nicht zu vernachlässigen. Berater predigen die aus dem Change-Management bekannte Weisheit: Ohne Akzeptanz bei potenziellen Anwendern sind technische Turbos nutzlos – so gut sie auch funktionieren mögen. Die Bitkom-Studie belegt die große Verunsicherung: In 64 Prozent der Unternehmen stehen die Beschäftigten dem KI-Einsatz skeptisch gegenüber, weil sie um den Job fürchten. Tatsächlich wollen 23 Prozent der Mittelständler durch KI ihre interne Verwaltung verschlanken. In 78 Prozent der Firmen fehlen aber nach Eigeneinschätzung noch die nötigen Kompetenzen, um KI in digitale Geschäfts- und Verwaltungsprozesse einzubinden. „Die Unternehmen brauchen nicht nur die passenden KI-Technologien, sie brauchen auch das entsprechende Umsetzungs-Know-how“, folgert Heinze. „Die Beschäftigten müssen durch Weiterbildungen in die neue KI-Welt mitgenommen werden.“

Noch fehlt das Vertrauen

Achim Gilfert, Geschäftsführer des Kompetenznetzwerks für Oberflächentechnik e.V. in Hattingen, beschreibt die Skepsis vieler Unternehmer aus der Metallverarbeitung. „Gerade im produzierenden Gewerbe ist die Euphorie nach dreimal Ausprobieren weg. Man merkt ja schon beim Copilot von Microsoft sehr schnell, wie fehlerhaft oft die schön formulierten Ergebnisse sind.“ Somit laufe auch manches Effizenzversprechen ins Leere, denn unkritisch übernehmen dürfe man nichts. Zurückverfolgen, wie der Assistent zum Ergebnis kommt? Das ist bei KI unmöglich. „Die Mitarbeiter müssen daher mehr Fachkompetenz mitbringen als vorher, um mit der KI zu belastbaren Ergebnissen zu kommen“, sagt Gilfert. Problematisch seien zudem unklare Datenschutzfragen und hohe Kosten. Von mehreren Hundert Euro Lizenzgebühr pro Platz und Jahr für eine Office-Integration seien viele kleinere Betriebe überfordert. „Es kommt so zu einer digitalen Spaltung zwischen größeren und kleinen Unternehmen“, sagt Gilfert.

Anschubhilfe für KI-Projekte

Berührungsängste nehmen und ins Handeln kommen: Dieses Ziel verfolgen Johanna Farnhammer und ihr Team in München mit dem Schulungsprogramm KI-Transfer Plus, das sich an Mittelständler in Bayern richtet. 24 Unternehmen aus 150 Bewerbern wurden für die aktuelle Runde ausgewählt, darunter der Buchhändler Hugendubel, HSM Stahl- und Metallhandel und der Klimaanlagenbauer Truma. Ab April starten sie einen neunmonatigen Kurs in Sachen KI – und lassen sich dies stolze 29.000 Euro Teilnahmegebühr kosten. „Wir bieten die Möglichkeit, bestehende KI-Tools kennenzulernen und diese für das eigene Unternehmen anzupassen oder selbst ein KI-System zu trainieren“, sagt Farnhammer. Ins Leben gerufen wurde KI Transfer Plus von dem Bayerischen Staatsministerium für Digitales, umgesetzt wird es von der Initiative Applied AI. Neben zentralen Workshops werden die Teilnehmer in individuellen Expertenstunden geschult, die dezentral an sieben bayerischen Hochschulen angeboten werden. „Unsere Schulungen richten sich hierarchieübergreifend an alle Unternehmensfunktionen“, sagt die Elektrotechnikingenieurin, die selbst zehn Jahre als Entwicklerin im Mittelstand tätig war.

Die ersten 15 Unternehmen haben das Programm im vergangenen Jahr schon durchlaufen – und einen Wunsch hört Farnhammer fast täglich: „Wie kann ich dem Sprachmodell beibringen, ausschließlich meine eigenen Datenbanken zu verwenden?“ Ihre Antwort: Es klappt – und zwar relativ leicht. Mit dem sogenannten „Retrieval Augmented Generation“-Verfahren lassen sich unternehmensspezifische Inhalte in große Sprachmodelle übertragen. Vor allem rät Farnhammer, dass Mittelständler unabhängig bleiben – und der Schlüssel dafür seien eben Investitionen in eigenes Know-how. „Eine KI ist nie fertig – und die Unternehmen müssen wissen, wie die Technologie funktioniert und wie sie diese weiterentwickeln können. Ansonsten machen sie sich abhängig von einem Anbieter oder einem Dienstleister.“ So gesehen können auch 29.000 Euro für einen Crashkurs gut angelegtes Geld sein.

Wo generative KI im Büro helfen kann

  • Erstellen von Artikeln, Blogposts und Social-Media-Inhalten
  • Übersetzung von Texten in verschiedene Sprachen
  • Generierung von personalisierten Mails für Marketing-Kampagnen
  • Kundenservice-Chatbots
  • Generierung von Finanzberichten und Analysen
  • Zusammenfassung und Analyse von rechtlichen Dokumenten
  • Literaturrecherche und Generierung von Forschungsanträgen
  • Erstellung von E-Learning-Materialien
  • Automatische Transkription von gesprochener Sprache in Text


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Merx
Bildnachweis: JuSun/ iStock



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