„Für eine Unternehmenssteuerreform ist es noch zu früh“
Die neue Bundesregierung wird ausgestattet sein mit einem Milliardenpaket für Verteidigung und Investitionen. Was bedeutet die neue finanzielle und schuldenfinanzierte Stärke für die Konjunktur? Und welche politischen Maßnahmen braucht es nun für eine Wirtschaftswende? Achim Truger gehört dem Sachverständigenrat Wirtschaft an und ist Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Im Gespräch erklärt er, wann er mit Wachstum rechnet – und bei welchen wirtschaftspolitischen Forderungen er keinen gesamtwirtschaftlichen Nutzen sieht.
Herr Truger, das Lockern der Schuldenbremse und das Sondervermögen machen einen Aufschwung sehr viel wahrscheinlicher. Wann ist es denn so weit?
Achim Truger: Erst mal muss ja der Haushalt stehen und es würde mich sehr wundern, wenn wir schon im Jahr 2025 sichtbare Effekte haben. Also reden wir über 2026 und da würde ich eher einen schrittweisen Anstieg der Konjunktur vermuten.
Und über welche Größenordnung sprechen wir da?
Das Investitionspaket ist ein Befreiungsschlag, es birgt erhebliches Wachstumspotenzial. Nehmen wir an, zweieinhalb bis drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fließen in die Verteidigung und es kommt zusätzlich zu 40 bis 50 Milliarden Euro an öffentlichen Investitionen pro Jahr, dann sind die ökonomischen Effekte daraus stark. Wenn wir dann die Spitze dieser Ausgaben erreicht haben, kann man mit einem zwei- bis dreiprozentigen BIP-Zuwachs rechnen, vielleicht sogar mit mehr.
Von welcher der beiden Maßnahmen – Rüstungsinvestitionen oder Gelder für die Infrastruktur – versprechen Sie sich die größten Wachstumseffekte?
Die größten Wachstumseffekte erwarte ich von den Investitionen in die Infrastruktur. Wir Ökonomen verfügen über Erfahrungswerte, die zeigen: Das wirkt ziemlich gut. Bei den Verteidigungsausgaben gehe ich davon aus, dass die Ukraine zunächst mehr Hilfe bekommt und Waffen vornehmlich im Ausland gekauft werden. Das kommt erst verzögert im Inland in der Produktion an und dürfte nicht so einen großen Effekt haben wie etwa Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur.
Haben Sie keine Sorge, dass die zusätzlichen Milliarden für Wahlgeschenke genutzt werden?
Es gibt aktuell einige Beschlüsse, die so gut wie keinen Wachstumseffekt haben, für die aber woanders gekürzt beziehungsweise nicht investiert werden kann: Warum der Agrardiesel jetzt zurückkommen soll, erschließt sich mir nicht. Die Pendlerpauschale ist ökologisch kontraproduktiv und bringt nicht viel. Auch die Mütterrente hat diesbezüglich kaum eine Wirkung. Grundsätzlich aber fände ich es momentan eher schädlich, wenn die öffentliche Hand in eine Kürzungspolitik abtauchen würde. Die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen stehen mit dem Rücken zur Wand. Und da klar ist, dass das Paket seine Wirkung erst im Laufe des kommenden Jahres entfaltet, ist etwas Luft im Haushalt günstig. Wenn man das jetzt nutzen würde, für eine Anschubfinanzierung, die man schnell umsetzen könnte, also zum Beispiel Abschreibungsvergünstigungen für Unternehmen, eine Investitionsprämie oder Ähnliches, könnte man die Wirkung beschleunigen.
Was für eine Art von Investitionsprämie schwebt Ihnen denn vor?
Also das Klima ist nach wie vor die größte Herausforderung. Die Kosten unterlassenen Klimaschutzes sind immens hoch. Und ich hoffe, dass das – jetzt da die Grünen in der Opposition sind – nicht an Dringlichkeit verliert. Aber falls doch, wäre es sinnvoll, die allgemeinen Abschreibungsbedingungen noch mal zu vergünstigen. Das dürfte mit ziemlicher Sicherheit zu steigenden Investitionen führen.
Und was ist mit den Unternehmenssteuern?
Eine Unternehmenssteuerreform ist nichts, das im Inland automatisch für mehr Investitionen und Beschäftigung sorgt. Sie führt zu höheren Nettogewinnen bei den Unternehmen, von denen niemand weiß, was damit passiert. Wird das Geld in Deutschland investiert oder fließt es in eine neue Fabrik im Ausland? Außerdem würde eine solche Reform die Länder und Kommunen stark treffen – und damit diejenigen, die hierzulande am meisten investieren. Wenn dort gekürzt wird, dann hat diese Maßnahme einen sehr negativen Nebeneffekt. Mein Favorit bleiben daher die Abschreibungsvergünstigungen. Das kostet dann ungefähr drei Jahre lang Geld, dann ist der Höhepunkt erreicht und ein Investitionsschub entstanden. Den könnte man nutzen, um geringere Einnahmen aus einer danach angestoßenen Unternehmenssteuerreform auszugleichen.
Auch die Forderung nach geringeren Lohnnebenkosten ist oft zu hören…
Den Wunsch kann ich aus einzelwirtschaftlicher Sicht nachvollziehen. Ob das gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist, wage ich zu bezweifeln. Ich warne davor, das nur als Kostenfaktor zu sehen. Nehmen wir das Beispiel Rente: Den Beiträgen stehen die Rentenzahlungen gegenüber, die ausgezahlt werden und ein wesentlicher Faktor für den privaten Konsum sind. Rente ist also nicht nur ein Kosten-, sondern auch ein Einnahmefaktor für Unternehmen.
Was würde denn Ihrer Meinung nach die Konjunktur beleben?
Bei den Energiekosten sehe ich Handlungsbedarf. Wir brauchen eine Strategie, wie der Netzausbau finanziert werden kann, ohne dass die Netzentgelte durch die Decke gehen. Die neue Regierung sollte das Thema Energiekosten auf dem Schirm haben und einen Brückenstrompreis in Erwägung ziehen, der so gestaltet ist, dass auch kleine und mittlere Unternehmen davon profitieren. Ich bin zwar dagegen, Strukturwandel künstlich zu verhindern, aber niemandem ist damit geholfen, wenn uns mit der energieintensiven Industrie breite Teile der Wertschöpfung von heute auf morgen wegbrechen.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Ich wünsche mir eine klarere Unterscheidung zwischen Kürzungs- und Reformdruck. Momentan ist die Sorge groß, wegen des Milliardenpakets könnten wichtige strukturelle Reformen ausbleiben. Das ist aber aktuell nicht unser Problem. Der Kürzungsdruck ist vermindert und das ist auch gut so, denn so kann wieder Wachstum entstehen. Auch in einem weiteren Punkt würde ich mehr Klarheit begrüßen: Wenn ich sowieso schon denke, der Staat setzt beim Geldausgeben falsche Prioritäten, wieso nehme ich dann auch noch an, er kürzt an der richtigen Stelle, wenn ich ihn unter Druck setze? Das scheint mir politökonomisch völlig naiv.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Das Interview führte Tanja Könemann
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