Folge 1: Der stille Alarm – Warnsignale vor dem Fall

Viele Krisen beginnen lautlos. Volle Auftragsbücher – und trotzdem gerät ein Unternehmen finanziell ins Wanken. Während der Betrieb nach außen noch funktioniert, bricht der Unternehmer innerlich fast zusammen. In Folge 1 unserer Serie „Endstation Insolvenz?“ erzählen wir, wie ein stiller Alarm zur existenziellen Gefahr wird. Und welcher Schritt am Ende den Wendepunkt bringt.

Lesen statt hören: Insolvenz Podcast Folge 1

Tanja Könemann: Burghausen in Oberbayern. Hier fügt sich ein traditionsreicher Betrieb in den Gewerbepark Lindach ein. Die Elektro Rösler GmbH. Seit Jahrzehnten liefert sie Technik für Industrie und Gebäude. Pünktlich, zuverlässig, von Kunden und Lieferanten gleichermaßen geschätzt. Fast jeder hier kennt jemanden, der bei Rösler arbeitet. Doch es gab eine Zeit, in der diese Jobs in Gefahr waren. Wir schauen zurück ins Jahr 2021. Die Auftragsbücher waren voll. Und doch kippte etwas. Nicht über Nacht, sondern Woche für Woche für Woche. Ein stiller Alarm, den viele erst hören, wenn es zu spät ist. Und hier beginnt unsere Geschichte. Wir treffen Wolfgang Straubinger.

Wolfgang Straubinger: Wir hatten Vollbeschäftigung. Wir lieferten gute Qualität. Wir waren gefragt am Markt. Wir hatten auch genug Anfragen, hatten auch genug Aufträge, im Markt bestehen zu können. Die Nachfrage war sehr hoch.

Tanja Könemann: In dieser Podcast-Serie begleiten wir den Geschäftsführer durch die dunkelste Zeit seiner Karriere. Bis hin zum Neuanfang von Elektro Rösler. Straubingers Geschichte ist exemplarisch für viele Unternehmer im deutschen Mittelstand. Plötzlich steht nicht nur das Geschäft, sondern auch das eigene Lebenswerk auf dem Spiel. Und jeder Schritt, den man geht, kann gravierende Folgen haben − geschäftlich, privat und sogar strafrechtlich. Jede Folge dieser Serie beschäftigt sich mit einer typischen Phase von Unternehmen auf dem Weg durch die Insolvenz. Wir tauchen tief ein in das Denken und Fühlen von Menschen, die sich mit einer solchen Krise konfrontiert sehen. Wir hören einem Insolvenzverwalter zu und einer Strafrechtlerin, die uns die Regeln in diesem harten Spiel erläutern. Wir lassen uns von jenen an die Hand nehmen, die mit Unternehmern durch schwere Zeiten gehen und die uns erklären können, was darüber entscheidet, wer eine Insolvenz bewältigt und wer nicht.

Jingle: Endstation Insolvenz? Fall und Aufstieg eines Mittelständlers. Eine Podcast-Serie über wirtschaftliche Krisen, radikale Entscheidungen und unerwartete Chancen.

Wolfgang Straubinger: Wir haben uns entwickelt von einem Handwerksbetrieb zu einem mittelständischen Unternehmen. Die Aufträge wurden größer, die Aufträge wurden komplexer, der Umfang der Mitarbeiter wurde mehr und die Komplexität wurde erhöht. Der Fokus bei uns im Unternehmen lag ganz einfach auf der Technik, auf der Qualität, auf der Kundenzufriedenheit. Und wir haben uns irgendwo im Optimieren der Finance nicht so stark aufgestellt.

Tanja Könemann: Erfolg kann täuschen, denn mit jedem neuen Auftrag steigt die Komplexität und das Risiko. Dann schleichend verschiebt sich der Rhythmus. Rechnungen werden später bezahlt, Kreditlinien enger geschnürt. Straubinger reagiert. Noch glaubt er, allein das Ruder herumreißen zu können.

Wolfgang Straubinger: Wir hatten ganz einfach in der Anfangsphase Rechnungen geschoben; uns überlegt, wann zahlen wir wen. Wir haben Projektfinanzierung, Kredite aufgenommen bei der Bank. Und wie schon erwähnt, haben wir einfach versucht, durch mehr Umsatz ganz einfach diese Fehlbeträge auszugleichen.

Tanja Könemann: Ein gefährlicher Reflex. Mehr Umsatz bedeutet mehr Vorfinanzierung und mehr Risiko. Für Außenstehende bleibt die Krise zunächst unsichtbar. Lieferanten spüren sie zuerst.

Wolfgang Straubinger: Es gab schon Lieferanten, die Verständnis zeigten, weil manchmal die wirtschaftliche Lage angespannt war oder weil auch die Kunden das Projektgeschäft einfach teilweise als schwieriges Geschäft verstanden haben. Bei unseren Kunden gibt es oft längere Zahlungsziele, wo wir selber auf das Geld warten müssen. Und da hatten manche Lieferanten schon auch Verständnis und sind uns entgegengekommen, um die Engpässe auszugleichen. Ja, selbstverständlich ist der ein oder andere verärgert gewesen, die brauchen natürlich selber ihre liquiden Mittel, müssen selber ihre Mitarbeiter bezahlen.

Tanja Könemann: Zu Beginn wird improvisiert, später wird es gefährlich. Ein Muster, das Unternehmensberater Jens Titze so oft sieht.

Jens Titze: Aber sobald ich schiebe, weil ich nicht mehr zahlen kann, dann bin ich de facto in der ganz großen Frage, bin ich zahlungsunfähig.

Tanja Könemann: Die Grenze zwischen finanziellem Engpass und Insolvenz ist schmal. Sie verläuft irgendwo zwischen Optimismus und Realität. Wer sie überschreitet, verliert Zeit und auch Vertrauen.

Jens Titze: Wenn ich merke, meine Umsätze gehen aus Mengengründen zurück, ich verliere Kunden, ich kann nicht mehr die Mengenanzahl an den Markt bringen, da bin ich in einer Transformation und sobald sich das ins Ergebnis niederschlägt, da muss ich eigentlich schon die ersten Schritte einleiten.

Tanja Könemann: Wolfgang Straubinger erkennt, jetzt geht es nicht mehr nur um Zahlen, sondern ums Überleben seines Betriebs.

Wolfgang Straubinger: Wir haben private Gesellschafter-Darlehen geliefert, um der Bank zu signalisieren, dass wir an unser Geschäftsmodell glauben und dass wir überzeugt und willens sind, das Unternehmen zu sanieren.

Tanja Könemann: Die Wochen vergehen. Nach außen läuft der Betrieb stabil, doch intern mehren sich die Anzeichen. Kleine Abweichungen in den Kennzahlen, Projekte, die länger dauern, Kunden, die plötzlich Vorkasse verlangen. Der zuerst so stille Alarm wird immer lauter.

Jens Titze: Und dann beginnt das Improvisieren der Rechnungen schieben. Das sehen wir sehr häufig und da beginnt die gefährliche Zone.

Tanja Könemann: Unternehmensberater Jens Titze weiß, dass Unternehmer oft zu lange warten. Frank Firneisen ist Analyst von Creditreform und Business Coach und beobachtet dasselbe Muster. Er sagt, nur drei von 100 Unternehmen holen sich rechtzeitig Hilfe. Warum es vielen so schwer fällt?

Frank Firneisen: Das ist immer ein Makel bei uns in der Gesellschaft. Es ist immer ein Schamgefühl, eine Angst, eine Schuld, die damit einhergeht. Es gibt ganz andere Kulturen, die da sehr offensiv mit umgehen. Also in Amerika wird mir immer berichtet mit Chapter 11, dem Insolvenzverfahren dort, das wird eher gefeiert im Sinne von Hurra, wir haben es geschafft und jetzt machen wir einen Neustart. Hier ist es eher andersrum. Hier versinkt man eher in Asche und geht wie ein geprügelter Hund durchs Dorf und möchte gar nicht mehr gesehen werden.

Tanja Könemann: Zahlen erzählen irgendwann keine Geschichten mehr. Sie brüllen sie laut in alle Welt hinaus. Aber in vielen Firmen bleibt es still, weil der Unternehmer selbst noch schweigt. Doch der Druck steigt unaufhaltsam.

Frank Firneisen: Je schlechter die Zahlungsfähigkeit ist, desto mehr Druck kommt von außen. Die Lieferanten kommen dazu, bauen den Druck auf und wollen ihr Geld haben. Dann gibt es natürlich die Banken dazu, das Finanzamt, die Krankenkassen. Die Unternehmer glauben oft, dass der eine große Auftrag, die eine große Rettung, dann noch kommt. Das ist immer das Prinzip Hoffnung. Und die stirbt dann ja bekanntlich zuletzt. Und mein Credo ist immer: aber sie stirbt. Hoffnung heißt in dem Fall nichts anderes, als dass ein anderer kommt und mich rettet. Das passiert aber nicht und in vielen, vielen Fällen wird ausgehalten, ausgehalten, ausgehalten, bis wirklich gar nichts mehr geht. Das heißt, das gesamte Vermögen des Unternehmens ist weg, womöglich auch das gesamte Privatvermögen der Geschäftsführer, der Inhaber, steht auch noch mit auf dem Spiel. Und das ist genau das super Gefährliche, was nicht passieren darf.

Tanja Könemann: Irgendwann hilft alles nichts mehr. Die Banken verlangen ein Gespräch. Für viele ist das ein Schreckensszenario. Aber vielleicht auch eines, das die Wende möglich macht. Denn ab jetzt lässt sich wirklich nichts mehr beschönigen. So hart das auch ist.

Wolfgang Straubinger: Also wir hatten Bankverbindungen, die eine jahrzehntelange Historie hatten und der Austausch war menschlich, war freundlich und war partnerschaftlich. Das hat sich dann natürlich verändert in dieser Zeit, wo dann das Vertrauen verspielt war. Da hatten sich auch die Menschen und die Ansprechpartner geändert bei den Banken, weil es ja dann nicht mehr von der normalen Marktbetreuung bearbeitet wird, sondern eben von der Restrukturierungsabteilung.

Tanja Könemann: Nicht nur auf dem Konto ist Krise, sondern zunehmend auch im Kopf. Viele Unternehmer reden in dieser Phase kaum noch mit jemandem. Sie funktionieren einfach nur noch.

Wolfgang Straubinger: Man schläft schlecht. Also mir ist es zumindest so gegangen. Ich konnte gar nicht schlafen. Ich ging mit dem Thema abends ins Bett und bin am nächsten Tag mit dem Thema wieder wach geworden. Also das war omnipräsent, dieses Thema.

Tanja Könemann: Wolfgang Straubinger trägt die Verantwortung für 250 Menschen, für deren Angehörigen und für seine eigene Familie.

Wolfgang Straubinger: Und es war schon eine sehr belastende Zeit, wo ich sehr stark auch an Gewicht abgenommen habe und wo ich sehr viele Gespräche auch mit meiner Frau hatte - meine Frau wusste im Detail Bescheid, das wurde genau besprochen zu Hause. Die Kinder hatten wir ein bisschen außen vor gelassen, aber emotional war das eine sehr, sehr schwierige und belastende Zeit.

Tanja Könemann: Häufig schlägt dann auch der Körperalarm. Viele schaffen es kaum noch, Entscheidungen zu treffen. Frank Firneisen: Manche können mit Druck sehr gut umgehen, manche sehr schlecht. Wenn der Druck zu lange anhält, dann wird es für jeden irgendwann schlecht. Und dann kommen solche Sachen wie Burn-out-Symptome oder Depressionen und all solche Themen. Und dann bin ich erst recht in der Phase, wo ich keine guten Entscheidungen mehr im Sinne für das Unternehmen treffen kann.

Tanja Könemann: Coach Frank Firneisen empfiehlt in dieser Situation, auf das innere Fieberthermometer zu schauen.

Frank Firneisen: Wo man den eigenen Druck bemisst, wo man sagen kann, jetzt ist ja gerade ein Moment erreicht, wo ich Schlafstörungen kriege, wo ich abgeschlagen bin. Die eigene Resilienz auch wirklich mal auf den Prüfstand zu stellen. Was ist mit mir eigentlich gerade? Bin ich noch fit? Bin ich noch voll da? Kann ich volle Leistung bringen? oder bin ich schon in einem Zustand, wo meine Entscheidungen vielleicht nicht so richtig schnell kommen, wo ich angespannt bin, wo ich falsch reagiere auf Gespräche, auf Kritik.

Tanja Könemann: Wolfgang Straubinger findet seinen eigenen Weg, um nicht unterzugehen. Er geht in den Wald, joggt über Stunden. Wolfgang Straubinger: Ich bin dann oft stundenlang durch den Wald gelaufen, um den Kopf freizukriegen. Das war für mich ein ganz wichtiger Punkt, eben diese frische Luft, diese Bewegung. Und tatsächlich kam die eine oder andere Idee auch beim Laufen. Tanja Könemann: Freunde ahnen etwas, doch niemand weiß, wie schlimm es ist.

Wolfgang Straubinger: Mein Freundeskreis hat mir angesehen, dass irgendwas nicht stimmt. Aber bis ins Detail wurde das nicht besprochen. Mein Fokus lag tatsächlich auf dem Berater.

Tanja Könemann: Der Berater, dem er sich anvertraut, ist Markus Exler. Er ist auf Restrukturierung und Transformation von Unternehmen spezialisiert.

Markus Exler: Es gibt gewisse Insolvenzantragspflichten, die bestehen, die aber geheilt werden können. In dem Fall hatten wir eine bilanzielle Überschuldung, das ist ein klassischer Insolvenzantragsgrund. Aber, sagt der Gesetzgeber, wenn hier durch ein externes Gutachten, ein Sanierungsgutachten, die Fortführung des Unternehmens bestätigt werden kann, die marktübliche Rendite nach einem Sanierungszeitraum gewährleistet werden kann, dann wird dieser Insolvenzantragsgrund nicht schlagend. Und genau das war der Fall.

Tanja Könemann: Für Wolfgang Straubinger endet diese Phase nicht mit dem Kollaps, sondern mit der Entscheidung, sich helfen zu lassen. In der nächsten Folge geht es darum, wie er und Exler einen Plan entwickeln, um das Unternehmen aus der Krise zu holen. Und für uns hier in dieser Folge stellt sich die Frage: Was ist die Quintessenz von dem, was wir bisher gehört haben? Wir wissen jetzt, dass Umsatzrückgang, Liquiditätsengpässe oder verschobene Zahlungen mehr sein können als nur Ausrutscher. Sie können auf tiefgreifende Probleme hinweisen. Wir wissen auch, wer Zahlungsziele streckt oder Rechnungen verschiebt, verschafft sich keine Zeit − er verliert Vertrauen. Besser ist es, die Karten offen auf den Tisch zu legen und das Gespräch mit Banken und Geschäftspartnern zu suchen. Und außerdem wissen wir: Der Kopf ist ebenso Teil des Problems wie auch der Lösung. Unternehmer, die einsehen, dass sie Hilfe brauchen, sie suchen und annehmen, treffen bessere Entscheidungen für sich und ihr Unternehmen. Und jetzt hören Sie am besten direkt rein in Folge 2. Ein letztes Aufbäumen. Kampf gegen rote Zahlen.

Jingle: Moderiert von Tanja Könemann, Redaktion Simone Nissen. Gefällt Ihnen, was Sie hören? Dann bewerten Sie uns gerne auf Spotify oder Apple Podcast und abonnieren Sie diesen Kanal.