Blick nach Brüssel

Ob EU-Parlament, Europäische Kommission oder Rat der EU: Europapolitik beeinflusst maßgeblich die deutsche Gesetzgebung – und damit auch den Handlungsrahmen für die Wirtschaft. Jetzt scheinen auch Brüssel und Straßburg erkannt zu haben, dass sie in Sachen Bürokratie häufiger übers Ziel hinausgeschossen sind. Mit der „Terrible-Ten-Liste“ will die EU-Kommission jetzt den größten administrativen Hindernissen im Binnenmarkt zu Leibe rücken.

Eigentlich sollte der reibungslose Austausch von Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU eine Selbstverständlichkeit sein. Und doch kämpfen europäische Unternehmen auf dem Binnenmarkt mit zeit- und kostspieligen Hindernissen: Unterschiedliche Formulare, abweichende Standards oder lokale Sonderwege − wer grenzüberschreitend verkaufen, montieren oder Dienstleistungen erbringen will, verliert oft Zeit und Nerven. So schätzt der Internationale Währungsfonds, dass die internen EU-Handelshemmnisse Zöllen von mehr als 40 Prozent für Waren und sogar 110 Prozent für Dienstleistungen entsprechen.

Im Mai 2025 hat die EU-Kommission auf diesen Zustand reagiert und in ihrer neuen Binnenmarktstrategie die zehn größten bürokratischen Hindernisse – die „Terrible Ten“ – identifiziert:

  • Unternehmensgründung als Hindernisparcours - komplizierte und uneinheitliche Vorschriften bremsen unternehmerisches Engagement.
  • Regel-Dschungel aus Brüssel – überkomplexe EU-Vorschriften ohne Praxistests schaffen unüberschaubare Rechtslagen.
  • Berufsqualifikationen gelten oft nur national.
  • Verpackungs-Chaos statt Binnenmarkt – von Recyclingquoten bis zur Etikettierung kocht jedes Land sein eigenes Süppchen.
  • Produktstandards sind nicht harmonisiert.
  • Dienstleistungsbremse – nationale Sonderregeln versperren den freien Marktzugang.
  • Entsenderegeln als Bürokratiemonster – selbst in risikoarmen Branchen mit geringem Unfall-, Gesundheits- oder Sicherheitsrisiko kompliziert.
  • Liefergrenzen nach Postleitzahl – territoriale Beschränkungen koppeln Händler an nationale Vertriebsnetze.
  • Steuer- und Mehrwertsteuer-Wirrwarr – unterschiedliche Schwellenwerte und Meldepflichten machen grenzüberschreitendes Arbeiten schwer.
  • Abfallregeln im Flickenteppich – beim Transport von Industrie- und Elektroabfällen gelten je nach Land andere Verfahren.

Neue Werkzeuge gegen alte Blockaden

Die künftige Strategie der EU-Kommission setzt nicht auf neue Regulierungswellen, sondern auf Entrümpelung. Laut EU-Schätzung könnten die geplanten Maßnahmen jährlich rund 400 Millionen Euro an Verwaltungskosten einsparen. Das betrifft besonders Handwerksbetriebe, Dienstleister und Hersteller, die jenseits der Grenze Aufträge annehmen oder Produkte verkaufen wollen. Neu ist beispielsweise die Kategorie der Small Mid Caps (SMC), für die Berichtspflichten gelockert werden, damit Mittelständler beim Wachstum nicht auf dem Sprung zur „Großfirma“ ausgebremst werden.

Neben dem Abbau bürokratischer Hürden legt die Binnenmarktstrategie ein besonderes Augenmerk auf die Digitalisierung. Geplant sind unter anderem EU-weit einheitliche digitale Produktpässe und QR-Codes.
 

Der Druck ist hoch

Der Zeitpunkt für den Kampf gegen die „Terrible Ten“ ist kein Zufall. Geopolitische Spannungen, steigender globaler Wettbewerb und die digitale Transformation erhöhen den Druck auf Europa, seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Interne Barrieren gelten inzwischen als gefährlicher Standortnachteil – schwerwiegender als viele externe Handelshemmnisse. Kritiker erinnern allerdings daran, dass es schon in der Vergangenheit mehrere Versuche gab, bürokratische Hindernisse und nationale Sonderregelungen einzudämmen – mit mäßigem Erfolg. Der entscheidende Unterschied diesmal: Die „Terrible Ten“ sind politisch gewollt, messbar und öffentlich sichtbar.

Denn: Damit die Agenda nicht im Klein-Klein versandet, setzt die Kommission auf Transparenz und Tracking. Fortschritte sollen jährlich berichtet werden; parallel dazu bietet das „Single Market & Competitiveness Scoreboard“ ein öffentliches, interaktives Dashboard an. Hier werden Umsetzung, Integration und Durchsetzung von „Terrible Ten“-Projekten mit Kennzahlen erfasst und dargestellt. Und zu guter Letzt werden die Mitgliedstaaten stärker in die Pflicht genommen: Jeder Staat soll einen „Single Market Sherpa“ benennen, der Umsetzungsblockaden abbaut und von einem sogenannten Enforcement Gremium unterstützt wird.

Markus J. Beyrer, Generaldirektor des europäischen Arbeitgeberverbands Business Europe, sagt: „Die Reduzierung des Regulierungs- und Verwaltungsaufwands für Unternehmen – insbesondere kleine und mittlere Unternehmen – muss oberste Priorität haben.“


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Gerhard Walter
Bildnachweis: Getty Images