Creditreform Magazin

Unternehmensinvestitionen: Spagat zwischen Sparkurs und Zukunft

Die Unternehmensinvestitionen in Deutschland sind zu niedrig. Die Betriebe halten derzeit lieber ihr Geld zusammen anstatt Eigenkapital und Kredite in neue Anlagen, IT oder Autos zu stecken. Die Gründe dafür – die unsichere Wirtschaftslage, hohe Zinsen, die Inflation – sind plausibel. Doch ohne Investitionen wird die deutsche Wirtschaft über kurz oder lang vor noch größeren Problemen stehen.

Die Sommerferien sind vorbei, Unternehmer und Mitarbeiter zurück aus dem Urlaub – und gut erholt, um neue Projekte anzugehen. Könnte man meinen. Stattdessen: Fehlanzeige. Aktuell geht es eher darum, geplante Investitionsvorhaben zu verschieben oder zu stoppen. Und zwar sowohl im Mittelstand als auch in Großunternehmen, wie mehrere Befragungen zeigen.

Wie hat sich das Investitionsverhalten verändert?

Die Unternehmensberater von EY etwa stellen fest, dass mehr als jedes zweite Großunternehmen (53 Prozent) bei Investitionen die Reißleine zieht. Auch der Deutsche Industrie und Handelskammertag befragt regelmäßig kleine und mittlere Unternehmen nach ihren Investitionsabsichten. Im Mittelstand möchte fast ein Viertel der Unternehmen (24 Prozent) seine Investitionen verringern, immerhin 48 Prozent planen, das Niveau des Vorjahres zu halten.

Wie schwer den Unternehmen die Entscheidung fällt, ob sie neue Anlagen, Autos, Immobilien, IT oder anderes anschaffen sollen, um ihr Geschäft zu modernisieren oder auszubauen, bringt Constantin Gall, Partner und Leiter des Bereichs Strategie und Transaktionen bei EY, auf den Punkt: „Der Kostendruck steigt, viele Unternehmen leiden unter hohen Energie- und Rohstoffpreisen, einer unbefriedigenden Auftragslage und einer sinkenden Kauflaune“, sagt er.

Was hindert Unternehmen daran, zu investieren?

Dass die Unternehmensinvestitionen in Deutschland rückläufig sind, ist kein neuer Trend. Das Verhältnis von Investitionen zum BIP ist von 15,8 Prozent im Jahr 1990 auf 12,3 Prozent im Jahr 2020 gesunken, wie Zahlen der KfW Wirtschaftsforschung zeigen. Doch die Corona-Krise hat diesen längerfristigen Trend nochmals verschärft, ebenso der Ukraine-Krieg und die allgemeine Preisexplosion. „Die Investitionsbudgets der Unternehmen stehen nicht nur wegen der nach wie vor hohen Energie- und Rohstoffpreise unter Druck“, sagt DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. „Auch die im Zuge der Inflationsbekämpfung richtigerweise angehobenen Zinsen schlagen durch.“

All das drückt auf die Stimmung – und damit auf die Investitionsbereitschaft. Erwarten Unternehmen steigende Umsätze und eine positive Unternehmensentwicklung, nehmen sie Geld in die Hand. Fehlen ihnen aber wie derzeit die Zuversicht und der Glaube an einen raschen konjunkturellen Aufschwung und bessere Geschäftserwartungen, halten sie sich mit Investitionen zurück.

Als weiteren Grund für die Investitionsflaute machen die KfW-Ökonomen den demografischen Wandel aus. Viele Entscheidungen für eine neue Anlage, Immobilie oder sonstige Anschaffungen trifft der Unternehmensinhaber, vor allem im Mittelstand. Mit zunehmendem Alter jedoch nimmt die Neigung zu Investitionen ab. Aus einem verständlichen Grund. Wenn eine Investition sich erst nach 20 Jahren amortisiert, ist das aus Sicht eines Eigentümers, der bereits 60 Jahre oder älter ist, möglicherweise zu lang – und er geht die finanzielle Verpflichtung nicht mehr ein.

Was passiert, wenn die Zurückhaltung bei Investitionen anhält?

Ausbleibende Investitionen bremsen die Konjunktur. Wenn Waren und Dienstleistungen weniger nachgefragt sind, machen deren Anbieter weniger Umsatz und fragen ihrerseits weniger nach. Eine Abwärtsspirale beginnt. Hinzu komme, dass ausbleibende Investitionen langfristig den gesamtwirtschaftlichen Kapitalstock schmälern und damit den künftigen Spielraum für das Produktions- und Produktivitätswachstum in Deutschland, schreibt das Ifo-Institut in einer Analyse im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen.

Deren Kollegen vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln haben ausgerechnet, dass seit Beginn der Corona-Pandemie eine gewaltige Investitionslücke entstanden ist. Hätte es weder die Pandemie noch den Ukraine-Krieg gegeben, wären die Investitionen in Deutschland um rund 70 Milliarden Euro höher ausgefallen. Nun fehlen diese 70 und weitere Milliarden, um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen die deutsche Wirtschaft steht. Denn Digitalisierung, Dekarbonisierung – also der Umstieg von fossilen Energien auf eine emissionsarme oder klimaneutrale Produktion – und demografischer Wandel sind nur mit einem hohen Investitionstempo zu bewältigen.

Wie kann die Investitionstätigkeit wieder steigen?

Die Dynamik bei der digitalen und nachhaltigen Transformation sei enorm, sagt auch EY-Berater Gall. Für die Unternehmenschefs gehe es daher darum, heute die Weichen richtig zu stellen – indem sie ihr Geld zusammenhalten und investieren zugleich. Was klingt wie ein Widerspruch, erklärt Gall so: „Unternehmen müssen einen konsequenten Sparkurs einschlagen, um in der Lage zu sein, an den entscheidenden Stellen kräftig zu investieren.“ Etwa in Künstliche Intelligenz, deren Potenzial gewaltig sei. „Mit KI können drastische Fortschritte bei der Automatisierung und Effizienzsteigerung, aber auch in Forschung und Entwicklung sowie der Kundenansprache erzielt werden“, sagt Gall.

Doch sparen und gezielt investieren kann nur ein Teil der Lösung sein. DIHK-Geschäftsführer Wansleben sieht auch den Gesetzgeber in der Pflicht. „Die Politik sollte Impulse für Investitionen und Wachstum setzen – zum Beispiel in der Steuerpolitik. Wir brauchen hierzulande Regelungen, um Investitionen schneller abschreiben zu können“, sagt er. Das Wachstumschancengesetz, das die Bundesregierung direkt nach zweiwöchiger Verschiebung Ende August doch noch verabschiedet hat, kann eine solche Regelung sein. Es ist eine Ansammlung von Änderungen des Steuerrechts und soll die Liquiditätssituation der Unternehmen verbessern, damit sie dauerhaft wieder mehr investieren.

Noch wichtiger aber wäre politische und wirtschaftliche Stabilität, betonte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in einem Interview mit dem Handelsblatt: „Wenn Unternehmen Investitionsentscheidungen treffen, dann schauen sie nicht auf die nächsten zwei, sondern auf die nächsten zehn oder 20 Jahre. Unternehmen brauchen eine verlässliche Perspektive –  und die fehlt ihnen in Deutschland heute zu häufig.“


Quelle: Magazin "Creditreform"

Text: Christian Raschke