Creditreform Magazin

„Mindset schlägt Erfahrung“

Wer junge Leute für sein Unternehmen begeistern will, muss heute mehr bieten als Geld. Doch wie tickt die Gen-Z-Zielgruppe genau? Lea Haep bringt es einem bei. Im Interview erklärt Chefin der Beratung Gen Talents, wie das Zusammenspiel von Jung und Alt gelingt.

Frau Haep, Sie sind 35 Jahre alt. Wann wurde Ihnen klar: Der Gen Z gehöre ich nicht an, da bin ich raus?

Ich glaube, so hart kann man das nicht schneiden. Wir sprechen von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Sachen auf junge Leute zutreffen. Aber als ich bei Otto viele junge Kollegen und Kolleginnen, Praktikanten und Werkstudenten erlebt habe, merkte ich schon, dass sich vor allem auf der Werteseite Themen verschieben. Zwar ist das Gehalt noch immer der entscheidende Faktor bei der Wahl des Arbeitgebers. Aber als Hygienefaktor wird stärker eingefordert, dass sich ein Unternehmen nachhaltig und sozial verantwortlich verhält.

Wie wird diese Erwartung vorgetragen?

Junge Leute bringen sich heute ab Tag eins ganz aktiv in Diskussionen ein und hinterfragen Themen. Ich hätte mich nach meinem Einstieg eher ein bisschen zurückgehalten und erst geschaut, wie sich alles entwickelt.

Manche Ältere empfinden das als forsch. Müssen sie umdenken?

Natürlich ist es erst mal unbequem, wenn Sachen hinterfragt werden, aber auch eine große Chance. Ich würde immer raten, das zu bestärken und Leute hierarchiefrei ihre Themen einbringen zu lassen. Gerade sehen wir eine schnelle Entwicklung von Technologien und gesellschaftlichen Trends, die alle parallel laufen. Klar: Mit viel Erfahrung kann ich auf meinem Erfahrungsschatz aufbauen. Wenn ich aber offen bin gegenüber Neuem, dann kann ich mich über neue Technologien hebeln. Daher: Mindset schlägt Erfahrung.

Eine eiserne Regel? Oder schlägt auch mal Erfahrung das Mindset?

Bei zwischenmenschlichen Themen in Bezug auf Resilienz und innere Stärke kann man von Lebenserfahrung sehr profitieren. In Transformationsprozessen tut sich jemand schwerer, der das zum ersten Mal erlebt.

Remote Work ist beliebt in der Gen Z. Wie vermeidet man Vereinsamung und Abkopplung?

Für junge Leute kann es auch zu viel Freiheit sein, wenn sie in ein komplettes Remote-Setup geschickt werden, aber noch nicht wissen, wie man sich gut organisiert und abstimmt. Mit wenig Erfahrung glaubt man vielleicht, das funktioniere alles – aber überschätzt sich. Führungskräfte müssenindividuell den richtigen Rahmen setzen: Mancher braucht mehr Unterstützung, mancher mehr Freiraum.

Berufseinsteiger in der Corona-Zeit haben ihr Onboarding oft virtuell erlebt. Jobben sie noch immer gern in ihrer WG-Küche?

Grundsätzlich hat der soziale Faktor bei jungen Leuten einen sehr hohen Stellenwert, aber es kommt auf die Lebensumstände an. Wer zu Hause keinen Raum hat, um sich ein gutes Büro einzurichten, findet es wahrscheinlich spannend, relativ viel Zeit im Office zu verbringen. Für Leute mit einem langen Pendelweg stellt es sich anders dar. Aus Studien wissen wir: Junge Menschen wollen Flexibilität in ihren Arbeitsbedingungen haben – und diese aushandeln, anstatt starre Vorgaben zu bekommen.

Also der Tipp wäre: Einfach machen lassen?

Interessanterweise nicht unbedingt: Letztens unterhielt ich mich mit einer Unternehmerin, die im Zuge von New Work ganz viel Verantwortung in die Teams gegeben hat. Die durften selbst aushandeln: Wie wollen wir zusammenarbeiten, wie oft, wann und wo und überhaupt? Alles war tatsächlich super dezentral organisiert – bis man festgestellt hat: Manche Leute waren überfordert. Manchmal ist es einfacher, tatsächlich wieder klare Regeln aufzusetzen, zwar nicht inhaltlich, aber organisatorisch.

Zum Unternehmen: Die Gen-Z-Profis

Das im Jahr 2015 gegründete Non-Profit-Unternehmen Startup Teens tritt an, um jungen Menschen unternehmerisches Denken beizubringen und etwa über Businessplan-Wettbewerbe konkrete Starthilfe zu geben. Das ausgegründete Beratungshaus Gen Talents – erklärtermaßen ein „Social Business“ – führt erwirtschaftete Gewinne an die Startup Teens ab. Gen Talents, geführt von Managing Director Lea Haep, will Unternehmen fit machen im Umgang mit jungen Talenten und so im Kampf gegen Fachkräftemangel wappnen. Die Geschäftsfelder Personalvermittlung, Führungskräfte-Coaching und eine Online-Akademie ergänzen das Angebot. Regelmäßig treten prominente Gastredner und Influencer aus der Startup- und Dienstleister-Szene in Erscheinung und geben Tipps.

Zur Person: Die Brückenbauerin

Lea Haep ist Managing Director von Gen Talents, dem Beratungsarm der Startup Teens GmbH, die ebenfalls von ihr geführt wird. Bevor die 35-Jährige im Sommer 2023 in die Beratung wechselte, war sie Head of Innovation Management bei der Otto Group in Hamburg. Aufgewachsen in Hattingen, absolvierte Haep an der internationalen ESCP Business School einen Masterstudiengang mit Stationen in London, Paris und Berlin. Als ihre „Herzensthemen“ nennt sie „innovative Ideen und unternehmerisches Denken fördern“.

Wie verträgt sich das mit dem Wunsch vieler Berufseinsteiger, schnell Verantwortung zu übernehmen?

Sollte man möglichst viel delegieren, um dem zu entsprechen? Auf die Gefahr hin, dass es schiefgeht? Also ich würde vermeiden, eine erzieherische Maßnahme draus zu machen und zu sagen: Du kriegst so viel Verantwortung, dass du mal merkst, wie unangenehm das ist. Worum es doch eigentlich geht: Die meisten von uns, nicht nur jüngere Leute, wollen einen positiven Impact haben mit dem, in das wir unsere Zeit investieren. Ich möchte was Sinnvolles machen, mich ein Stück weit selbst verwirklichen. Einen guten Job haben, aber auch ein gutes Sozialleben. Das sind menschliche Bedürfnisse, die haben eigentlich alle. Aber es ist eine schlichte Frage der Verhandlungsmacht durch den demografischen Wandel, dass jüngere Leute solche Sachen stärker durchsetzen können, weil sie einfach weniger sind. Wir haben bis 2030 in Deutschland fast fünf Millionen fehlende Arbeitskräfte.

Die Jungen boxen es durch, alle profitieren? Dann dürfte es keinen Generationenkonflikt geben.

Wenn ich Mitte 50 bin und Arbeit in meinem Leben einen hohen Stellenwert hatte, könnte ich es als Angriff auf mein Lebensmodell verstehen, wenn ich auf einmal merke: „Oh, es gibt also ein Modell, wo man schon in jungen Jahren Freizeit höher priorisieren kann? Da hätte ich vielleicht ja auch mehr Zeit verbringen können mit meinen Kindern oder meinem Hobby.“ Da kann eine Spannung entstehen, wenn man sein Leben lang anders gelebt hat – und das jetzt infrage gestellt wird.

Okay, aber ein Betrieb wäre immerhin gut beraten, die Privilegien allen anzubieten, oder?

Das ist superwichtig. Arbeitsbedingungen müssen nicht nur für junge Leute funktionieren, sondern für alle. Oft bringen wir in Workshops alle Generationen an einen Tisch. Etwa: eine Chefin, ein erfahrener Manager, drei Azubis. Die gucken dann aus verschiedenen Blickwinkeln: Was ist euch im Arbeitsumfeld wichtig? Was sind Werte, die euch bewegen? Aber auch: Was braucht es, damit die Firma wirtschaftlich arbeiten kann? Wir wissen: Menschen sind deutlich leistungsfähiger in einem Arbeitsumfeld, in dem sie sich wohlfühlen. Aber es kann nicht die Lösung sein, dass man für die eine Gruppe die absolute Wohlfühlatmosphäre schafft und die andere das ausbaden muss.

Wenn es heißt: Wer kommt Samstag rein – was geht dann vor: Freizeit oder Pflichtgefühl?

Klar ist: Jeder muss auch mal unbequeme Sachen machen. Diese Vorurteile, dass die jungen Leute faul sind, gibt es seit Sokrates. Wahrscheinlich genauso lange wie die falsche Annahme, dass alte Leute eingefahren seien und sich nicht mehr verändern wollten. Man darf nicht schwarz-weiß denken. Mein Gefühl ist, dass junge Leute weniger bereit sind, Sachen einfach so abzuarbeiten, wo sie nicht größeren Sinn erkennen. Man kann das positiv wenden: Lassen sich stupide Aufgaben vielleicht automatisieren?

Welche Goodies, abgesehen von besserer Bezahlung, führen zu höherer Zufriedenheit?

Viel kann man über Arbeitszeiten steuern, bessere Planbarkeit in den Dienstplänen, mehr Teilzeitmodelle. Ehrlich gesagt, ist es ganz einfach: Man muss die Leute nur fragen. Man muss gar nicht in seinem abgeschlossenen Büro drei Wochen lang tolle Maßnahmen überlegen, sondern im ersten Schritt nur fragen: Was ist dir denn wichtig? Was wünschst du dir? Und ich glaube, es macht Sinn, nicht immer als ersten Reflex zu sagen „Nee, geht nicht“. Sondern genauer hinsehen – und vielleicht ist es ja doch möglich.

Inzwischen speist sich eine Beraterindustrie aus dem Generationen-Verstehen. Die Bücherschränke sind voll mit Gen-Z-Ratgebern. Ist das ganze Thema ein wenig aufgebauscht?

Es gibt in Deutschland einen krassen Fachkräftemangel. Tatsache ist auch, dass die Leute, die jetzt in den Arbeitsmarkt reinkommen, immer mehr umkämpft sind. Es ist ein Fakt, dass man sich darum kümmern muss, wie man diese jungen Leute erreicht. Das ist eben im Moment die Gen Z, irgendwann die Gen Alpha und so weiter. Und deswegen gibt es eben auch so viele Leute, die mit Rat und Tat zur Seite stehen. Kürzlich auf einer Veranstaltung ging es um die Frage, wer kein Problem damit habe, Talente zu finden. Es ging ungefähr eine Hand hoch von 100. Also alle Unternehmen haben das gleiche Problem.

Worauf kommt es neben guter Bezahlung an? Feedbackkultur, Verantwortung, Reputation?

Das sind die wesentlichen Punkte, ergänzt um das Thema Impact: Dass man tatsächlich das Gefühl hat, mit der täglichen Arbeit etwas Positives zu kreieren. Wovon Unternehmen am Ende auch wieder profitieren können: Zufriedene, digital affine Menschen können als Botschafter oder Multiplikatoren über Social Media neue Talente ansprechen.

Besteht das Risiko, dass Unternehmen sich zu hip geben – also eine Art Gen-Z-Washing betreiben?

Es gibt die Gefahr, dass neue Leute schnell wieder weg sind, wenn das Unternehmen ganz anders tickt als dargestellt. Das intrinsische Interesse eines Unternehmens muss sein, parallel zur Arbeitgebermarke auch die Kultur zu entwickeln. Sonst verpufft der Effekt.

Oder es läuft in Social Media schief. Dort liest man oft bittere Kommentare über Ex-Arbeitgeber …

Daher ist ein harmonischer Offboarding-Prozess ebenfalls wichtig, dass man also im Guten auseinandergeht. In der heutigen Zeit ist es nicht mal unwahrscheinlich, dass jemand zu einem ehemaligen Unternehmen zurückkehrt, wir erleben Boomerang-Karrieren. Wir wollen Führungskräfte begleiten, sich mit ihrem Führungsstil individuell auf Menschen einzustellen. Und wir vermitteln, wie Führungskräfte jungen Leuten das geben, was ihnen sehr wichtig ist: Gefördert zu werden, weiterentwickelt zu werden.

Ist Leadership in Zeiten von Gen Z nicht ein überholtes Konzept?

Führung ist superwichtig gerade in Zeiten von multiplen Krisen. Aber die Art von Führung verändert sich, immer wichtiger werden soziale Kompetenzen wie Empathie und Einfühlungsvermögen. Auch bei der sich rasant verändernden Technik ist es quasi unmöglich, bei allem inhaltlich top notch zu sein. Dafür hat man Experten und Expertinnen im Team, denen man als Führungskraft den jeweils passenden Rahmen setzen muss.

Wir sprechen viel von neuen Talenten. Aber wie hält man Menschen bei der Stange, die schon da sind?

Vorhandenes Potenzial zu nutzen, gerät in der Tat manchmal etwas aus dem Fokus. Wirtschaftlich ist es unsinnig und teuer, nur auf das Heranziehen neuer Talente zu blicken. Mal abgesehen von der menschlichen Komponente, denn es ist auch eine Frage von Wertschätzung, alle Leute bestmöglich zu entwickeln. Wenn ich Aufstiegsmöglichkeiten aufzeige, beflügelt das. Es hat einen Effekt auf Engagement und Identifikation.

Wie gehen Sie bei Gen Talents vor, wen coachen Sie überwiegend?

Im Moment beraten wir viel rund um New Work, New Leadership und Arbeiten im Generationen-Mix. Eine akute Herausforderung ist es auch, frühe Fluktuation zu unterbinden. Immer öfter erlebt man „Ghosting“: Jemand unterschreibt den Arbeitsvertrag und taucht einfach nicht auf. Man muss also das Onboarding direkt mit dem Bewerbungsprozess starten lassen. Wir trainieren, wie man schnell eine Bindung aufbaut.

Sie bieten auch ein Online-Coaching. Was geschieht dort?

Die Future Leaders Academy richtet sich vor allem an angehende Führungskräfte oder Menschen, die neu sind in der Führungsrolle. In der ganzheitlichen Ausbildung geht es um Fragen wie: Wie will ich sein als Führungskraft? Wie kriege ich mein Team mitgenommen? Was ist New Work? Und welche Kompetenzen sind in Zukunft wichtig? Ganz tolle Experten aus dem Startup-Teens-Netzwerk kommen hinzu: etwa Tatjana Kiel oder Fabian Kienbaum.

Wer nimmt das in Anspruch?

Unterschiedlich. Wir arbeiten mit Unternehmen, die uns Leute schicken und durch diesen Prozess laufen lassen. Aber es kommen auch Einzelpersonen. Im Gegensatz zu Konzernprogrammen kann man sich unternehmensübergreifend austauschen. Es ist wie ein „Safe Space“, wo man mal eigene Herausforderungen mitbringen und mit Menschen besprechen kann, die nicht persönlich involviert sind. Wir hatten auch schon jemanden mit 25 Jahren Führungserfahrung dabei. Der meinte, es hat sich so viel verändert, dass er sich explizit noch mal mit Future Skills beschäftigen wollte.

Future Skills – wie sehen die aus?

Man braucht übergreifende Kompetenzen, die in jedem Umfeld wichtig sind. Ich unterscheide da vier Kategorien: Erstens digitale Kompetenzen, also etwa Verständnis von Data Analytics oder die Fähigkeit, bestimmte Tools zu nutzen. Zweitens geht es um analytische Kompetenzen, also zu wissen, wie ich ein Problem runterbrechen und lösen kann. Drittens: transformative Kompetenzen, Wandlungsbereitschaft und das Wissen, wie ich mit Veränderungen umgehe und auf neue Sachen eingehe. Und viertens: sozial-emotionale Kompetenzen, wozu neben Empathie auch die eigene Resilienz gehört, also die Gabe, auch durch schwierige Zeiten zu navigieren. Viele Jobs, die in fünf Jahren wichtig sein werden, gibt es heute noch gar nicht. Aber mit diesem Skillset ist man gewappnet und kann schnell auf neuen Positionen, in neuen Umfeldern ankommen.

Danke für das Gespräch!


Quelle: Magazin "Creditreform"
Interview: Stefan Merx
Bildnachweis: Farin Deutschmann