Creditreform Magazin

Navigieren im Sturm

Die aktuellen Preissteigerungen und Lieferschwierigkeiten erfordern eine angepasste Unternehmensführung mit langfristiger Perspektive. Firmen stehen vor der Prozessoptimierung oder sogar vor einer Restrukturierung. Wie sie sich unter Unsicherheit neu aufstellen.

Die Insolvenz war die beste Lösung. Mit Beginn der Corona-Pandemie brach der Umsatz der Gräfenthaler Kunststofftechnik GmbH im thüringischen Landkreis Saalfeld-Rudolstadt dramatisch ein: „Wir kämpften mit Verlusten in Höhe von 80 Prozent und sahen, dass uns innerhalb der nächsten drei Monate die Zahlungsunfähigkeit drohte“, sagt Geschäftsführer Ralf Götze. Er entschied sich nach einer detaillierten Analyse der Situation für die Flucht nach vorn und stellte den Antrag einer Insolvenz in Eigenverwaltung. Der Vorteil: So blieb er, zwar unter der Aufsicht eines Sachwalters, als Geschäftsführer handlungsfähig und konnte die Restrukturierung aktiv gestalten. „Inzwischen sind wir wieder gut aufgestellt, indem wir uns von defizitären Unternehmensbereichen getrennt sowie unseren Mitarbeiterstamm um rund ein Drittel reduziert haben. Und auch weil unsere Lieferanten, Kunden sowie die Banken unser Sanierungskonzept unterstützten“, sagt er. Im Herbst 2021 hat die Firma die Eigenverwaltung erfolgreich beendet. 

„Die neue Situation infolge der Ukraine-Krise stellt uns aber aktuell wie fast jedes Unternehmen vor neue Herausforderungen“, sagt Götze. Steigende Einkaufspreise und verzögerte oder sogar ausbleibende Lieferungen erschweren ihm momentan das Leben. Bisher kann die Firma die Preissteigerungen an die Kunden weitergeben. „Wir müssen aber unsere Kalkulation komplett offenlegen und die Auftraggeber gehen nicht gern mit“, sagt der Familienunternehmer. Beim Materialeinkauf belaufen sich die Anhebungen teilweise auf einen dreistelligen Bereich. „Die hohen Preise bei Benzin und Diesel verteuern unsere Logistik. Wenn die Regierung hier unterstützt, ist uns schon etwas geholfen“, sagt Götze. Fraglich nur, ob die jüngst beschlossenen niedrigeren Steuern von 29,55 Cent pro Liter auf Benzin und 14,04 Cent bei Diesel, befristet bis Ende August, reichen. 

Diffuse Situation

Die Preise wie auch die Lieferengpässe sind derzeit das große Thema bei Unternehmern. Laut einer Blitzumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags in Berlin sehen sich 60 Prozent der Betriebe betroffen. Fast jede fünfte Firma (18 Prozent) hat schon Kunden und Lieferanten verloren. Nur bei 22 Prozent der Befragten läuft das Geschäft bisher unverändert weiter. Über alle Branchen hinweg haben die höheren Energiekosten bei neun von zehn Unternehmen einen spürbaren Effekt. „Dieser erreicht die gesamte Wirtschaft mit voller Wucht“, zieht DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben als Schluss aus der Umfrage. In der auf Energie und Rohstoffe angewiesenen Industrie sowie bei Verkehr und Logistik herrsche tendenziell Krisenstimmung. „Konjunkturprognosen sind jetzt Makulatur“, so Wansleben. Die Unternehmen agieren unter größter Unsicherheit. 

Die Situation scheint diffus. Zwar ist trotz allem die Geschäftslage im deutschen Mittelstand noch recht stabil, wie eine aktuelle Analyse der Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand von Creditreform zeigt. Der Creditreform Geschäftsklimaindex liegt mit 15 Punkten klar über dem Vorjahreswert von nur 1,8 Punkten. Teilweise steigen die Auftragseingänge, die Umsätze ziehen an. „Der Ukraine-Krieg ist aber Gift für die aufkeimende Erholung der mittelständischen Wirtschaft“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Nicht nur die Preissteigerungen bei Energie und Kraftstoffen, sondern generell die galoppierende Inflation sowie die Ungewissheit über den weiteren Verlauf der geopolitischen Spannungen und deren wirtschaftliche Folgen lähmen die Geschäftsentwicklung.

„Die Zeiten sicheren Fahrwassers sind vorbei.“ 
Burkhard Jung, BDU

Experten wie Burkhard Jung, Vorsitzender des Fachverbands Sanierungs- und Insolvenzberatung beim Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen (BDU), sind auf der Hut. „Die Unternehmen haben gelernt, mit externen Schocks und Krisensituationen umzugehen“, relativiert Jung. Die Liquiditätslage ist in der Regel auch wegen der Corona-Hilfen bisher ganz gut. Nur müssen die Gelder möglicherweise zurückgezahlt werden, gestundete Steuern werden kurzfristig fällig. Die Tilgung der KfW-Kredite aus den Pandemie-Monaten steht an. „Die Zeiten sicheren Fahrwassers sind definitiv vorbei.“ Auf Sicht würde es für viele Betriebe schwieriger und mittelfristig könnte die Zahl der Insolvenzen steigen. „Veränderungen sind in vielen Betrieben notwendig. Unternehmen ergreifen operative Maßnahmen, um krisenresistenter zu sein“, so Jung. 

Alternativen eruieren 

Lieferengpässe, steigende Preise, ein Importstopp erfordern alternative Wege in der Produktion wie in der Beschaffung. Unternehmen suchen nach Lösungen, um verlängerte Lieferzeiten oder Lieferausfälle zu vermeiden. Sie ersetzen entsprechend nicht oder verzögert lieferbare Materialien durch andere Stoffe, damit sie die Produktion am Laufen halten. Dies gelingt allerdings oft nur beschränkt. Wenn zum Beispiel wie in der Automobilbranche Kabelbäume fehlen, gibt es kurzfristig keinen Ersatz. Auch Unternehmer Ralf Götze kann kaum substituieren. Zum Beispiel muss er Kunststoffgranulat weiter zu hohen Preisen einkaufen. „Überdies erhalten wir das Material nicht pünktlich. Wir wissen häufig nicht, was wann geliefert wird“, sagt er. Daran kann er nicht viel drehen, das muss er so hinnehmen. 

„Ein Ziel kann es für Unternehmen gegebenenfalls sein, sich von einzelnen Lieferanten oder von Lieferketten unabhängiger zu machen“, empfiehlt Volker Riedel, Restrukturierungsberater und Managing Partner der Unternehmensberatung Wieselhuber und Partner in München. Er sieht nur ein Problem: „Unternehmer wissen, welche Rohstoffe sie selbst benötigen. Sie kennen häufig aber den Bedarf ihrer Lieferanten nicht. Sie haben keinen Überblick, woher die Vorprodukte kommen. Also können sie ihre Risiken innerhalb der Lieferketten nicht bewerten.“ Das aber ist notwendig für eine valide Planung der Lagerhaltung. Riedel erinnert sich an einen Großhändler, der in Erwartung weiterer Engpässe seinen Bestand vorsorglich hochgefahren hat und kurz entschlossen eine neue Halle baute. Andere Firmen arbeiten mit mehr Lieferanten als zuvor zusammen, um sich in der Beschaffung breiter aufzustellen. „Wir raten in diesen Zeiten generell dazu, stärker mit Puffern zu agieren – und zwar über alle Unternehmensbereiche“, sagt Riedel. 

Finanzierung sichern 

Das bezieht er zum Beispiel auf die Liquiditätsplanung: „Der Cashflow wird sicherlich in den nächsten Monaten noch unsicherer.“ Zwar scheint nach der Creditreform-Umfrage die Zahlungsmoral insgesamt weiterhin intakt. Die große Mehrheit der Firmen wartet nicht mehr als 30 Tage auf ihr Geld. Die Betriebe spüren aber wohl erste Tendenzen für längere Fristen durch die Kunden. Laut Creditreform ist das ein Krisensignal. 

Riedel rät in dem Kontext, negative Szenarien mit Umsatzverlusten einzuplanen und dann zu ermitteln, welche finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Unternehmen sollten so ihre Reaktionsfähigkeit steigern, um den Druck besser auszuhalten. Das kann etwa über eine Ausweitung der Kreditlinien passieren und reicht bis hin zu Finanzierungsmodellen wie Sale-and-Lease-back. „Auf jeden Fall sollte man die Banken auf dem Laufenden halten und bei Problemen die Karten auf den Tisch legen“, ergänzt Experte Jung. 

Auch Unternehmer Ralf Götze konnte seine Sanierung in erster Linie deshalb erfolgreich abschließen, weil er vorab die Banken ins Boot holte: „Wir haben nichts verheimlicht. Das war eine Frage der Vertrauensbildung.“ Ebenso blieb er gegenüber seinen Kunden stets ehrlich. „Wir mussten unsere Auftraggeber halten. Sie zeigten Verständnis, eben weil wir sie offen über jeden unserer Schritte informiert haben“, so Götze. 

Preissteigerungen weitergeben 

Das war richtig. In Krisen ist die offene Kommunikation entscheidend. Das gilt auch bei Preisverhandlungen. „Die aktuellen Steigerungen lassen sich in der Regel über alle Branchen abwälzen“, sagt Riedel. Allerdings wollen die Kunden zumeist Einblick in die Kalkulation nehmen. Firmenchefs müssen ihre Preisforderungen detailliert begründen und wiederum die Konditionen ihrer Lieferanten offenlegen. „Wenn es einem Unternehmer nicht gelingt, sich durchzusetzen, befindet er sich in einer schlechten Sandwichposition“, sagt Riedel. Unternehmer sollten dann kritisch ihre strategischen Schwachstellen filtern und nach Fehlern suchen. 

In der Vergangenheit wurden allerdings häufiger langfristige Verträge mit festen Preisabsprachen geschlossen. „In diesen Fällen gestalten sich die Verhandlungen sehr schwierig. Hier gibt es wenig Handlungsspielraum. Man kann nur auf seinen Kunden zugehen und versuchen, die Preissteigerungen weiterzugeben“, erklärt André Rombach, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Rombach Rechtsanwälte/Insolvenzverwalter in Erfurt. Sein Ausweg: „Möglicherweise lässt sich der Auftraggeber auf eine befristete Ergänzung des Vertrags zu anderen Konditionen ein.“ Komplette Vertragsanpassungen sind aus seiner Sicht dagegen problematisch zu vereinbaren. „Aufgrund der Volatilität der Märkte versuchen Unternehmen sonst noch sogenannte dynamische Preisabsprachen hinsichtlich Material- und Energiekosten zu verhandeln. Dann lassen sich die Verkaufspreise daran angepasst variabel berechnen“, sagt Rombach.

„Mit dem Prinzip Hoffnung kommt man in Krisenzeiten nicht weiter.“ 
Ralf Götze, Gräfenthaler Kunststofftechnik GmbH

Energiekosten senken 

Die hohen Strompreise schlagen insbesondere bei jenen Firmen durch, deren Lieferverträge mit dem Versorger jetzt auslaufen. „Neuabschlüsse stellen einige Erzeuger aufgrund erhöhter Risiken derzeit ungern bereit und wenn, dann zu deutlich schlechteren Bedingungen“, sagt Christian Grah, Partner der Energieberatungsgesellschaft BTO Management Consulting AG in Berlin. Die Versorger ändern ihre Tarife aufgrund der aktuellen Börsenentwicklung. Grah rät daher Unternehmen, die ihre Aufwendungen und Risiken für den Energieverbrauch reduzieren wollen, bedarfsorientiert ihre Beschaffung zu optimieren. Zum Beispiel hat eine strukturierte Beschaffung, bei der die Energie in Tranchen durch den Versorger eingekauft wird, Preisvorteile gegenüber dem klassischen Festpreismodell. Darüber hinaus empfiehlt Grah, in die Energieeffizienz zu investieren. „Je teuer der Strom, desto eher amortisieren sich solche Maßnahmen. Am Ende kann Eigenversorgung noch eine Option sein, womit wir bei Anlagen erneuerbarer Energie sind“, so Grah. Kurzfristig lässt sich hier wenig realisieren, bei der strategischen Ausrichtung und Planung sollten Unternehmen „nachhaltigem Engagement aber einen erhöhten Stellenwert beimessen, um sich zukunftsfähig aufzustellen“, so Riedel. Experten gehen von weiterhin steigenden Preisen für Strom, Öl und Gas aus – jenseits eines potenziellen Lieferstopps. 

Unternehmer Ralf Götze behält die Entwicklungen ganzheitlich im Blick. Er weiß aus Erfahrung: „Mit dem Prinzip Hoffnung kommt man in Krisenzeiten nicht weiter. Man muss schnell reagieren.“ 


Möglichkeiten der Restrukturierung und Sanierung 

Die Krisensituation kann sich weiter zuspitzen – mit der Folge, dass mehr Firmen eine Neuausrichtung brauchen bis hin zur Sanierung in der Insolvenz. Welche Optionen sie haben. 

Außergerichtlicher Vergleich
Eine Vorstufe der Insolvenz, die eine erfolgreiche Restrukturierung und Sanierung zum Ziel hat. Die Gläubiger und Mitarbeiter stimmen Maßnahmen zu, um die Kosten zu senken und die Verbindlichkeiten zu reduzieren. Man erstellt einen Sanierungsplan und holt die Geschäftspartner ins Boot. 

Gerichtliche Lösung 
Darunter fallen der Schutzschirm, die Eigenverwaltung und das klassische Regelverfahren. Für eine Eigenverwaltung, bei welcher der Unternehmer die Zügel in der Hand behalten kann, müssen ebenso wie beim Schutzschirm bestimmte Kriterien erfüllt sein. „Der Schutzschirm ist ein Angebot an Unternehmen, frühzeitig in einem gerichtlichen Verfahren zu sanieren, um so größeren Schaden zu vermeiden“, erklärt Unternehmensberater Volker Riedel von Wieselhuber und Partner. Doch das Schutzschirmverfahren muss durchfinanziert sein – und der Gesellschafter muss eine akzeptable Lösung für die Gläubiger bieten. „Dies erfolgt in der Regel im Rahmen eines Insolvenzplans“, so Riedel.

Frühwarnsystem für die Firma 
„Viele Unternehmer wollen die drohende Insolvenz nicht wahrhaben. Sie reagieren teilweise zu spät. Der Zugang zu einer Vielzahl von Sanierungsoptionen ist ihnen dann bereits versperrt“, warnt André Rombach, Rechtsanwalt und Sanierungsberater der Kanzlei Rombach Rechtsanwälte. Je früher gehandelt wird, desto größer sind die Möglichkeiten. Der Experte empfiehlt, „neben dem wirtschaftlichen Umfeld immer die Ertrags- und die Liquiditätssituation zu beobachten, und dies nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig.“ Er appelliert zudem, im Zweifel lieber einmal zu viel als zu wenig einen Sanierungsberater zu konsultieren. Im Alleingang sei eine Neuausrichtung in der Regel nicht zu stemmen: „Sanierung bedeutet absolutes Teamwork.“ 


Hilfen für Unternehmen

Die Bundesregierung hat ein Schutzschild für finanziell vom Krieg betroffene Unternehmen beschlossen. Kurzfristig soll die Liquidität gestärkt werden. 

  1. KfW-Kreditprogramm: Firmen aller Größenklassen erhalten Zugang zu zinsgünstigen, haftungsfreigestellten Krediten mit einem Volumen von insgesamt sieben Milliarden Euro. 
  2. Bürgschaften: Aufgrund der Pandemie eingeführte Erweiterungen der Bund-Länder-Bürgschaftsprogramme sollen für vom Ukraine-Krieg betroffene Unternehmen bis Ende 2022 fortgesetzt werden. 
  3. Befristet soll es einen Kostenzuschuss für den Zeitraum zwischen Februar und September 2022 geben, der den Erdgas- und Strompreisanstieg bei besonders betroffenen Unternehmen abfedern soll. Ausgangspunkt ist die Preisdifferenz der gezahlten Strom- und Gaskosten 2022 im Vergleich zum Vorjahr. Die Differenz oberhalb der Verdopplung des Erdgas- und Strompreises soll anteilig zwischen 30 und 70 Prozent bezuschusst werden. 
  4. Vorgesehen ist ein Finanzierungsprogramm, um kurzfristig mit einer Bundesgarantie unterlegte Kreditlinien der KfW zu gewähren. 
  5. Besonders relevante Firmen sollen Eigen- und Hybridkapitalhilfen bekommen.



Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Eva Neuthinger