Sauber kalkuliert
Unternehmen kämpfen mit hohen Kosten und sinkenden Margen. Viele Firmen reagieren, indem sie nach dem Gießkannenprinzip die Preise erhöhen. Stattdessen ist oft eine saubere Mischkalkulation gefragt. Wie Sie dabei vorgehen.

Jeder Onlinekäufer kennt es: Recherche bei Anbieter A, dann bei anderen Anbietern, dann zurück zu Anbieter A – nur um festzustellen, dass sich dessen Preis geändert hat. Experten gehen davon aus, dass zum Beispiel Amazon, weltweit größter Onlinehändler, täglich millionenfach seine Preise ändert. Das geschieht naturgemäß nicht manuell, sondern automatisiert via Pricing-Software. Die intelligente Software entwickelt Vorschläge auf Basis umfassender Datenanalysen und gewichteter Einzelkriterien. Die Preise der Wettbewerber, Preissensibilitäten der Verbraucher, Wetterprognosen, demografische Daten und Marktstrukturdaten gehen ebenso in die Rechnung ein wie unternehmensinterne Zahlenwerke, etwa Bestands- und Abverkaufsdaten. Hinzu kommen individuell definierte Regeln, nach denen die Preisvorschläge ermittelt werden – zum Beispiel Kalkulationsziele, Rundungsvorgaben, Preisuntergrenzen oder Preisabstände innerhalb des Sortiments. Die Software verarbeitet automatisiert jede Menge Daten. Den entscheidenden Schritt in Richtung Künstlicher Intelligenz macht sie, indem sie auch die Auswirkungen ihrer eigenen Aktivitäten auf Umsatz und realisierte Handelsspanne einbindet und daraus Schlüsse ziehen kann.
Das Beispiel aus dem Onlinehandel zeigt das Potenzial von KI bei der Preisgestaltung. Mit Blick auf die Inflation wird das Pricing immer wichtiger. Die Teuerung hat sich zwar normalisiert, aber Experten erwarten, dass sie sich bei gut 2 Prozent oder – je nach Entwicklung der globalen Märkte auch mehr –einpendelt. Außerdem wird sie auf unterschiedliche Güter unterschiedlich hoch ausfallen. Laut Angaben des Münchner ifo Instituts planen besonders Unternehmen im Bereich der konsumnahen Dienstleistungen sowie Einzelhändler, ihre Preise anzuheben. Ebenso im verarbeitenden Gewerbe, im Baugewerbe und bei unternehmensnahen Dienstleistungen.
Expertise ist unerlässlich
Welche Rolle KI dabei spielt? Nicht die Hauptrolle, steht für Tobias Maria Günter fest. Der Partner der Strategieberatung Simon-Kucher ist überzeugt, dass Menschen die Preisgestaltung nicht nur begleiten müssen, sondern auch kontrollieren und korrigieren. „Algorithmen sind ein sehr guter Inputgeber, sie können Entscheidungen fundieren“, sagt Günter. „Das Kalkül und das Wissen des Unternehmers sollten sie aber nicht ausschalten.“
Im Gegensatz zu international agierenden Handelskonzernen arbeiten mittelständische Unternehmen meist (noch) ohne KI-gestützte Software. Sie werfen bei der Preisfindung ihre Erfahrung, ihre Kenntnis der lokalen Märkte und Kunden, zuweilen auch ihr Bauchgefühl in den Ring. Dabei geht es im Kern um die individuelle Betrachtung der einzelnen Produkte und Produktgruppen. Günter empfiehlt konsequente Differenzierung via Mischkalkulation. Das heißt: Einzelne Produkte werden mehr, andere weniger stark angehoben. „Man sollte die Kundenreaktion im Einzelfall antizipieren. Das bedeutet, man muss anhand von Erfahrungswerten die Reaktionen abschätzen“, so der Berater. „Es sind Annahmen zu treffen, wie sich die Abnehmer verhalten, um dann zielgerichtet mit der Wasserpistole statt mit der Gießkanne zu arbeiten.“ In seinen Beratungsterminen diskutiert er in der Regel bis zu zehn Varianten zur optimalen Preisfindung. „Denn große Fehler im Pricing sind selten reparierbar“, warnt er. Heißt: Wer die Schraube überdreht, verliert. Kunden kaufen weniger oder gleich beim günstigeren Wettbewerber – und zwar langfristig. Es entsteht ein Imageschaden. „Deshalb ist es ratsam, vorsichtig in Schritten zu erhöhen“, so Günter.
Grobe Schätzung reicht nicht mehr
Nicht nur im Handel, sondern auch in Industrie oder Handwerk. Zwar muss dort anders vorgegangen werden, weil teils individuelle Angebote für große Projekte vonnöten sind. Metallbauunternehmer Bastian Lublinsky etwa, Chef einer Firma für Stahl und Metallbau mit 15 Mitarbeitern in Brühl bei Köln, macht schwer zu schaffen, dass die Preise für Metall und Stahl von der Entwicklung der Rohstoffpreise abhängen. „Sie schwanken also von Hause aus, aber seit Monaten bewegen sie sich auf einem recht hohen Niveau“, sagt Lublinsky. Seine Auftragslage sei solide und er könne weitgehend zufrieden sein. „Im Vergleich allerdings zu früheren Zeiten vor der Rezession und vor der Inflation unterliegen wir einem deutlich schärferen Wettbewerb“, beschreibt der 38-Jährige die aktuelle Situation.
Was tun bei wenig Spielraum?
Der Betrieb fertigt individuelle und hochwertige Treppenlösungen und Balkone, „die ihren Preis haben“, so Lublinsky. Viel Spielraum, Kostensteigerungen auf die Kunden abzuwälzen, sieht er für sich nicht. „Die Auftraggeber holen sich mehrere Angebote ein, sie vergleichen die Konditionen, verhandeln hart und geben anschließend dem Handwerker ihres Vertrauens den Zuschlag“, sagt der Firmenchef. Je nach Auftragslage sei er gezwungen, knapp zu kalkulieren, um eine Chance zu haben, und müsse Offerten befristen: „Unsere Angebote haben oft eine Gültigkeit von maximal vier Wochen. Mehr Spielraum können wir uns wegen der volatilen Rohstoffpreise nicht leisten.“ Dauert die Vergabe länger, passt er im Zweifel an.
Ohnehin erstellt er die Angebote detaillierter als früher. „Bisher rechneten wir auf Basis einer groben Schätzung, was durchaus zu ordentlichen Ergebnissen führte“, so Lublinsky. Das sei jetzt passé. „Heute müssen wir die Materialpreise ganz genau checken, zum Beispiel auch jene für Arbeitskleidung und Werkzeuge – weil alles teurer wird.“ Für die Erstellung eines Angebots müssen mehr Daten als früher ihren Weg ins System finden. „Das ist teilweise sehr aufwendig“, gibt Lublinksy zu Bedenken.
Ziel ist immer eine fundierte Kalkulation. Johannes Müller, Inhaber der Johannes Müller Wirtschaftsberatungsgesellschaft aus Bünde, beobachtet allerdings: „Preise werden vielfach einfach aufgerufen, ohne vorher detailliert gerechnet zu haben.“ Das ist fatal. Die Unternehmen müssen zum Beispiel einen Überblick haben, wie sich ihre Einkaufspreise und Prozesskosten entwickelt haben. In der Finanzbuchhaltung werden die Kosten für Material aber oft bei der Anlieferung verbucht und nicht auf das Projekt in Form der Bewertung teilfertiger Arbeiten der Gesamtleistung zugerechnet. Für Müller steht fest: So werden Chancen verschenkt, im Verkaufsgespräch sicher und überzeugend aufzutreten. „Wer sich seiner Kalkulation bewusst ist, kann besser argumentieren“, sagt der Experte.
„Emotionen außen vor lassen“
Unternehmensberater Johannes Müller rät Unternehmern, Angebote zu erläutern und die gute Leistung hervorzuheben – statt sich auf Preisdumping einzulassen.
Wie können Unternehmer höhere Preise durchsetzen?
Man sollte versuchen, sich nicht auf eine Preisdiskussion einzulassen, denn sonst erwartet der Kunde einen Nachlass. Was im Angebot steht, gilt. Emotionen müssen außen vor bleiben. Vielleicht kann man dem Kunden entgegenkommen, indem man ihm ein längeres Zahlungsziel anbietet.
Viele Unternehmen kämpfen um Aufträge. Wie positionieren sie sich am besten im Preiswettbewerb?
Der Kunde sollte das Gefühl bekommen, dass die Firma alles tut, um seinen Auftrag im besten Sinne zu erledigen. Man sollte auf Besonderheiten hinweisen – etwa darauf, dass Lieferung und Leistung pünktlich ausgeführt werden oder dass die Baustelle stets sauber verlassen wird. Das zieht zumindest bei privaten Auftraggebern. Bei öffentlichen Ausschreibungen entscheidet meist der Preis.
Wie viel Gegenwind ist bei Preiserhöhungen zu erwarten?
Nach meiner Einschätzung können die Unternehmen momentan höhere Preise ganz gut durchsetzen, auch weil sich die Kunden bereits an die hohen Preise gewöhnt haben. Die Community weiß, dass alles teurer wird, und akzeptiert dies.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Eva Neuthinger
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