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Insolvenzen – Westeuropa im Gleichschritt

Zu den wichtigen Größen für die Bewertung der Konjunktur gehören nicht nur das Bruttoinlandsprodukt, der Arbeitsmarkt oder der Außenhandel etwa, sondern auch die Insolvenzen, insbesondere die Unternehmensinsolvenzen.

Die Zahl der Insolvenzen ist gleichzeitig eine Reaktion auf die Gesamtkonjunktur, aber eben auch Treiber oder Hindernis der konjunkturellen Entwicklung. Diese Interdependenz von Insolvenz und Konjunktur gilt es – gerade auch in der aktuellen Lage – für Westeuropa im Auge zu behalten.

Insolvenzen auf dem Vormarsch

Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa ist es 2024 zu massiven gesamtwirtschaftlichen Problemen gekommen. Laut der Herbstprognose der Europäischen Kommission vom November 2024 wuchs das BIP in der Eurozone nur um 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hinzuzufügen ist, dass Deutschland als Europas größte Volkswirtschaft an dieser negativen Entwicklung einen großen Anteil hat. 2024 war das zweite Rezessionsjahr in Folge. Mit gut 22.000 Unternehmensinsolvenzen und einer Steigerung gegenüber 2023 um 22,5 Prozent macht Deutschland den Zusammenhang von Konjunktur und Insolvenzen besonders augenfällig.

Die Länder Westeuropas, die an dieser Stelle als die EU-15-Staaten plus Norwegen, Schweiz und Großbritannien definiert werden, hatten zum Jahresende 2024 ebenfalls einen zweistelligen Zuwachs hinzunehmen. Die Unternehmensinsolvenzen stiegen hier um 12,2 Prozent auf über 190.000 betroffene Betriebe. Nun war diese prozentuale Zunahme zwar geringer als 2023 als plus 21 Prozent registriert wurden, dennoch zeigen die 190.000 Pleiten einen neuen Höchststand seit 2013, als in der Folge der weltweiten Finanzkrise knapp 193.000 Unternehmensinsolvenzen zu Buche schlugen.

Bei den Pleiten sind alle dabei

Die Zunahme der Insolvenzen in Europa ist breit verteilt und fast alle Länder sind betroffen. Nur Dänemark und Großbritannien haben es geschafft, weniger Insolvenzen als 2023 verzeichnen zu müssen. Während die Briten nur ein leichtes Minus von knapp 5 Prozent vorweisen, erreichte Dänemark immerhin eine Abnahme von 11 Prozent (Dänemark 6.181 Insolvenzen, Großbritannien 25.116 Insolvenzen von Unternehmen). Beim Blick auf die Betroffenheit der einzelnen Volkswirtschaften in den Ländern ist immer im Auge zu behalten, dass es bisher über einige kleine Ansätze hinaus kein europäisches Insolvenzrecht gibt. Gerade vor dem Hintergrund des steigenden innereuropäischen Handels ist dies besonders misslich. Für exportierende Unternehmen ist es nur mit großem Aufwand und kompetenter juristischer Unterstützung möglich, den Schaden beim Zusammenbruch des Abnehmers zu minimieren. Das beginnt beim Eigentumsvorbehalt des Lieferanten, den einige europäische Zivilrechte nicht kennen und geht weiter über die Anmeldung der Forderungen beim Gericht im Ausland bis zu den Schwierigkeiten, einen Überblick über die Insolvenzmasse zu bekommen. Die unterschiedlichen Insolvenzrechte in den europäischen Ländern berühren aber auch die hier vorliegenden Statistiken, die zum größten Teil von den Statistischen Landesämtern geliefert werden (Eurostat bietet hier keine Informationen). In manchen europäischen Staaten kommt es nur zu einem Insolvenzverfahren, wenn die Gläubiger bereit sind, die Kosten dafür zu tragen. Insolvenzrechte unterscheiden nicht zwischen Unternehmens- und Privatinsolvenzen (etwa kleiner Gewerbetreibender). Betriebe bleiben bei Zahlungsunfähigkeit als „Unternehmensruine“ bestehen und werden nicht aus den Registern ausgetragen. Gerade bei den absoluten Zahlen der Insolvenzen sind Vergleiche oft nur möglich, wenn auch die Gegebenheiten des nationalen Insolvenzrechts einbezogen werden. Das ist an dieser Stelle unmöglich – so werden die Insolvenzzahlen verwendet, wie sie das jeweilige Land publiziert. Aufschlussreich sind dann aber die Veränderungen in ihrem historischen Verlauf.

Höchststände seit der Finanzkrise

Den höchsten Anstieg bei den Insolvenzzahlen im Vergleich der Jahre 2024 und 2023 nennt Griechenland mit plus 42,5 Prozent. Hier ist allerdings anzumerken, dass es zu einer rechtlichen Änderung gekommen ist, die es vielen Unternehmen ermöglicht, nunmehr ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen. So waren 2022 nur 46 Unternehmensinsolvenzen bekannt geworden und in den Vorjahren waren es rund 100 gewesen. Hohe Zuwächse bei den Unternehmenszusammenbrüchen registrierten auch Irland (plus 32,0 Prozent), die Niederlande (plus 31,7 Prozent), Spanien (plus 23,0 Prozent) und Luxemburg (plus 26,4 Prozent). Dabei sind bei den 5.589 Insolvenzfällen in Spanien „Natürliche Personen“ als Einzelunternehmer nicht abgebildet. Dies gilt im Übrigen auch für die Insolvenzzahlen der Niederlande und Norwegens. Über dem Durchschnitt der Europäischen Union von plus 12,2 Prozent liegen auch die Zuwächse in Frankreich (plus 17,4 Prozent), Österreich (plus 21,9 Prozent), Schweden (plus 14,5 Prozent) und der Schweiz (plus 18,1 Prozent). Mit über 66.000 Unternehmensinsolvenzen hat Frankreich den größten Anteil des gesamten westeuropäischen Insolvenzaufkommens von 190.000 Fällen.

Eine Indexierung des Insolvenzverlaufs mit 100 für das letzte Vor-Krisenjahr 2019 zeigt für die meisten größeren westeuropäischen Länder einen ähnlichen Kurvenverlauf. Zunächst fiel die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den Jahren 2020 bis 2022. Diese Entwicklung ergibt sich aus den Hilfsmaßnahmen, die nicht nur in Deutschland dafür sorgten, dass es im Zuge des Lockdowns zu einer Flut von Unternehmensinsolvenzen gekommen ist. Diese Maßnahmen waren hilfreich, mit ihrem Auslaufen jedoch und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass manches tatsächlich insolvenzreife Unternehmen „künstlich“ am Leben erhalten wurde, kam es dann in den folgenden Jahren zu einem markanten Anstieg, der 2024 – außer in Italien – in allen wichtigen Volkswirtschaften zu einem markanten Plus weit über dem Indexwert von 2019 führte.

Bau und Dienstleister betroffen

Die Anteile und die Entwicklung in den vier wichtigsten Wirtschaftsbereichen sind einmal mehr ein Spiegel der konjunkturellen Situation. Den höchsten Zuwachs hat hier der Bausektor mit plus 15,4 Prozent gezeigt. Die Bauwirtschaft ist nicht nur in Deutschland in ihrer Entwicklung stark berührt von der Zinslage. Die Erhöhungen des Basiszinssatzes durch die EZB und die Verteuerung der Finanzierung von Immobilien hat die mittelständisch geprägte Bauwirtschaft hart getroffen. Einen ebenfalls überdurchschnittlichen Zuwachs bei den Insolvenzen zeigen aber auch die Dienstleister (plus 14,2 Prozent). Dies ist besonders prekär, weil der Dienstleistungssektor an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung immer höhere Anteile hinzugewinnt. Gerade Dienstleistungen aber haben sich im Zuge der Inflation anhaltend verteuert. Dies hat zu einiger Zurückhaltung beim Einkauf von Dienstleistungen geführt. Gerade bei den konsumnahen Dienstleistungen folgte das Aus für eine Vielzahl kleiner Unternehmen. Bisher jedenfalls konnten das Verarbeitende Gewerbe mit plus 9,3 Prozent und auch der Handel mit plus 8,1 Prozent die Zunahme am gesamten Insolvenzaufkommen noch eher niedrig halten. Gerade das Verarbeitende Gewerbe – und hier insbesondere der industrielle Sektor – ist aber nun besonders von den Erosionen im internationalen Handel durch die amerikanische Zollpolitik betroffen. Das Verarbeitende Gewerbe hat einen Anteil von 8,9 Prozent am gesamten Insolvenzaufkommen – es folgen das Baugewerbe (19,6 Prozent), der Handel (30,0 Prozent) und die Dienstleister (41,5 Prozent). Diese Anteile hängen natürlich auch mit den unterschiedlichen Finanzierungsgegebenheiten in den einzelnen Branchen zusammen.

Im Zusammenhang mit der These, dass die konjunkturelle Entwicklung und die Zahl der Unternehmensinsolvenzen unmittelbar zusammenhängen, besteht für die Situation 2025 ein wenig Hoffnung. Die Frühjahrsprognose der EU-Kommission ist zwar für das laufende Jahr von 1,3 Prozent auf 0,9 Prozent revidiert worden, dennoch ist die Furcht vor einer Rezession zunächst einmal gebannt. Die Zahl der Insolvenzen in Westeuropa dürfte 2025, wenn nicht stagnieren, so doch geringere, einstellige Zuwächse aufweisen.

Quellen: Creditreform, EU-Kommission, Statistische Landesämter