Ruhrwirtschaft unter der Lupe
Creditreform hat genau hingeschaut: Wie geht es den Unternehmen in der vermeintlich ewigen Krisenregion? Die Entwicklung an der Ruhr gibt möglicherweise einen Fingerzeig, wie es bundesweit weitergeht.

In Deutschland leben die meisten Einkommensmillionäre? Die Zahlen, die die Statistischen Landesämter regelmäßig vorlegen, zeigen seit Jahren das gewohnte Bild: Düsseldorf, München, Stuttgart liegen weit vorne und unter den Landkreisen führt Starnberg mit weitem Abstand das Ranking an. Wer aber den Fokus auf das Ruhrgebiet verlagert und dort nach Städten forscht, in denen besonders viele Menschen mit hohem Einkommen wohnen, landet in Mülheim an der Ruhr. Nirgendwo sonst ist die Quote der Einkommensmillionäre, bezogen auf 10.000 steuerpflichtige Einwohner, höher als in der Stadt im westlichen Ruhrgebiet.
Doch Mülheim an der Ruhr fällt im Report Ruhrgebiet 2025, einer umfangreichen Analyse von Creditreform, mit noch einer anderen, weitaus weniger glamourösen Bestmarke auf. Die kreisfreie Großstadt verzeichnete 2024, zusammen mit Herne, den stärksten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen im Ruhrgebiet. Gemessen an den absoluten Zahlen stehen Recklinghausen, Essen oder Dortmund zwar sehr viel schlechter dar, aber der Trend weist Mülheim mit einem Pleiten-Anstieg von mehr als 80 Prozent als besonders gebeutelte Stadt aus. Immerhin scheint ein Ende der Talfahrt in Sicht. Im Januar und Februar 2025 verlangsamte sich das Insolvenzgeschehen nach Recherchen von Creditreform in Mülheim, ebenso wie im gesamten Ruhrgebiet. „Es sieht so aus, als habe sich der Mittelstand im Ruhrgebiet nach Jahren überproportionaler Insolvenzraten auf einen resilienten Kern geschrumpft“, diagnostiziert Romina Scharf, Syndikusrechtsanwältin bei Creditreform Dortmund und zusammen mit Vertriebsleiter Hartmut Irmer Autorin des Reports Ruhrgebiet.
Tatsächlich hatte die Region noch 2024 – ähnlich wie ganz Nordrhein-Westfalen – einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen (plus 30 Prozent) verzeichnet. Doch seit Jahresbeginn sieht es, abgesehen von Sonderentwicklungen in einzelnen Städten und Regionen wie etwa in Dortmund, besser aus. Für eine belastbare Prognose sei es jedoch noch zu früh im Jahr, betont Scharf. Insbesondere bleibe abzuwarten, welche Folgen die Zollpolitik der USA auf die Unternehmen im Ruhrgebiet haben wird.
Blaupause für Deutschland
Mit dem erstmals erstellten Report Ruhrgebiet liefert Creditreform eine tiefgreifende Analyse der Verfassung der kleinen und mittelgroßen Unternehmen in einer der spannendsten Regionen Deutschlands. Dabei fächern die Autoren ihre Erkenntnisse nicht nur nach Umsatzgrößen und Branchenzugehörigkeit der betrachteten Unternehmen auf. Das umfangreiche Datenmaterial von Creditreform ermöglicht auch einen gezielten geografischen Blick in die Situation der Kreise. „Das Ruhrgebiet verfügt über ein breites Spektrum an Wirtschaftsbereichen. Hier finden sich wie unter einem Brennglas viele Merkmale und Herausforderungen, die auch für Deutschland insgesamt typisch sind. Deshalb haben wir uns entschieden, diese Region genauer zu betrachten. Möglicherweise ist die Entwicklung im Ruhrgebiet eine Blaupause für Tendenzen, die sich zu einem späteren Zeitpunkt im gesamten Land zeigen“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform.
Dem Report zufolge ist die Zahl der Insolvenzen im Ruhrgebiet zu Jahresanfang insbesondere im Baugewerbe sowie unter den Dienstleistern niedriger als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. „Hier hat möglicherweise eine Bodenbildung begonnen“, sagt Romina Scharf. Weniger positiv ist die Entwicklung dagegen im Handel sowie im Verarbeitenden Gewerbe. Dort schlagen die Faktoren zu Buche, die auch die Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet in ihrem aktuellen Lagebericht als starke Belastung identifiziert haben: hohe Energie- und Rohstoffpreise sowie eine schwache Inlandsnachfrage.
Als Frühindikator für die Insolvenzentwicklung gilt die Ausfallrate, also die Wahrscheinlichkeit, mit der eine anstehende Zahlung nicht getätigt wird. Diese Kennzahl ist im Ruhrgebiet infolge des tiefgreifenden Strukturwandels traditionell deutlich höher als in Nordrhein-Westfalen insgesamt sowie in Deutschland. Doch die Zahlen gleichen sich zunehmend an. „Wir erwarten 2025 im Ruhrgebiet einen deutlich geringeren Anstieg der Ausfallrate als in NRW und in Deutschland. Zum Jahresende könnten die Werte für das Ruhrgebiet und NRW mit 2,47 Prozent beziehungsweise 2,31 Prozent annähernd gleichauf liegen“, sagt Romina Scharf. Für Deutschland gesamt prognostiziert Creditreform eine Erhöhung von 1,78 Prozent auf 2,04 Prozent. Ein tiefer Blick in das Datenmaterial zeigt, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit insbesondere in urbanen Regionen mit hoher Dienstleistungsdichte groß ist. Betroffen waren hier zuletzt vor allem Unternehmen in Herne, Duisburg und Gelsenkirchen.
Die Zahl der Unternehmen schrumpft
Besorgniserregend ist, dass der Saldo zwischen Gewerbeanmeldungen und Gewerbeabmeldungen im Ruhrgebiet 2024 deutlich kleiner geworden ist. Ein hoher Überschuss gilt gemeinhin als Indiz für gute Wachstumsperspektiven. An der Ruhr standen zuletzt 29.108 Abmeldungen (plus 13,7 Prozent) lediglich 32.419 Anmeldungen (plus 5 Prozent) gegenüber.
„Insgesamt bewerten wir die Situation und die Perspektiven der vermeintlich ewigen Krisenregion Ruhrgebiet weit weniger negativ als in vielen Analysen zu lesen“, resümiert Romina Scharf. Ausfallraten und Insolvenzzahlen würden zwar auch in diesem Jahr weiter steigen – aber voraussichtlich nur noch moderat und weit weniger stark als in Nordrhein-Westfalen und Deutschland insgesamt.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Weber
Bildnachweis: Getty Images