Den Rettungsschirm spannen
Wer aufgrund der Corona-Krise zahlungsunfähig wird, für den ist der Gang in die Insolvenz unausweichlich. Doch der Schritt kann auch eine Lösung sein, um die Liquiditätskrise zu überwinden. In der Eigenverwaltung behält der Firmenchef die Zügel selbst in der Hand, um sein Geschäft zu retten. Wie dies funktionieren kann.
Trotz im letzten Jahr angemeldeter Insolvenz sieht sich Textileinzelhändler Ali Ghiassi in der Corona-Krise gut aufgestellt. „Wenn wir unsere Firma vor einem Jahr nicht komplett saniert hätten, müssten wir unsere Türen infolge des Umsatzverlustes durch das Virus jetzt für immer schließen“, sagt der Geschäftsführer der AFG Vertriebs GmbH. Im Hamburger Schanzenviertel führt er unter dem Label Backyard Store auf einer Fläche von 320 Quadratmetern ein Geschäft für Damen- und Herrenoberbekleidung. Außerdem unterhält er noch eine Filiale in Hannover.
Das Insolvenzverfahren sollte das Amtsgericht im März beenden, nachdem der Firmenchef mithilfe seiner Unternehmensberater das Einzelhandelsunternehmen neu strukturiert hatte. „Das Gericht konnte wegen Covid das Verfahren allerdings nicht mehr abschließen. Wir erfüllen aber alle Voraussetzungen, um wieder voll durchzustarten“, betont Ghiassi.
Er nimmt es gelassen, so wie die Krisensituation überhaupt. „Wir haben keine Schulden mehr, stehen entsprechend nicht unter dem Druck, Kredite tilgen zu müssen“, erklärt Ghiassi. Um dies zu erreichen, reduzierte er seine Fixkosten: Konkret wurden vier Filialen in anderen Städten geschlossen. „Mit der Insolvenz ging ein Sonderkündigungsrecht einher. So konnten wir binnen einer Frist von drei Monaten die für uns nicht mehr tragbaren Mietverträge auflösen“, erläutert Ghiassi.
Aus dem Team von zuvor 70 Kollegen beschäftigt er nun 16 Mitarbeiter weiter und löste zudem seinen Onlineshop auf. „Weil wir mit den in unserer Branche üblichen 40 Prozent Retouren konfrontiert waren“, so der Einzelhändler. Überdies verzichtet er auf kostenintensive Events und Verkaufsveranstaltungen – mit dem Effekt, dass er seine Bestellungen und seine Lagerhaltung reduzieren konnte. Ghiassi: „In der aktuellen Situation ist es für uns ein Segen, dass wir uns verkleinert haben.“
Als er dann im März seine beiden Läden wegen der Corona-Maßnahmen schließen musste, beantragte er Kurzarbeitergeld für seine Mitarbeiter: „Unsere Vermieter zeigten sich kooperativ und waren bereit, unsere monatlichen Zahlungen zu stunden.“ So komme er über die Runden.
Auf das Timing kommt es an
Das Fall zeigt: In schwieriger Zeit kann eine Insolvenz Chancen eröffnen. Das gilt aber nur, wenn das Unternehmen noch über einen notwendigen Rest an Liquidität für eine Sanierung verfügt – falls also die Voraussetzungen gegeben sind, um die Insolvenz in Eigenverwaltung durchzuziehen beziehungsweise das Schutzschirmverfahren für sich zu nutzen.
„Wenn wir unsere Firma vor einem Jahr nicht komplett saniert hätten, müssten wir jetzt für immer schließen.“
Ali Ghiassi, AFG Vertriebs GmbH
„Oft verpassen Unternehmer aber den Moment“, warnt Volker Riedel, Sanierungsexperte und Partner der Unternehmensberatungsgesellschaft Dr. Wieselhuber und Partner in München. Grundsätzlich müssen die Geldbestände plus die liquiden Zugänge der nächsten drei Wochen 90 Prozent der fälligen Verbindlichkeiten decken. Der Unternehmer darf mit den Sozialversicherungsbeiträgen für das Team sowie mit seinen Steuerzahlungen höchstens einen Monat im Rückstand sein. Unternehmen in Krisensituationen weiten jedoch häufig ihren Kontokorrent zunächst kurzfristig aus, dann aber immer länger in voller Höhe. „Spätestens, wenn die Lieferanten beginnen zu mahnen, wird es höchste Zeit zu handeln“, rät Thomas Planer, Geschäftsführer der Unternehmensberatungsgesellschaft Planer und Kollegen, der sich auf Insolvenzverfahren spezialisiert hat.
In das Verfahren einzutreten, setzt eine strenge Kontrolle des Zahlenwerks voraus. Allein: Es rächt sich, wurde zuvor das Controlling vernachlässigt. Wer weder eine Liquiditäts- noch eine Umsatz- oder Finanzplanung erstellt, kann Prognosen kaum zielgenau treffen. Unternehmen sollten sich deshalb gemeinsam mit einem erfahrenen Berater die Zeit nehmen, die Geschäftsentwicklung zu analysieren und die Optionen für den Sanierungsweg auszuarbeiten. Die meisten Unternehmer können das nicht alleine. „Ihnen fehlt schlichtweg die notwendige Expertise im Insolvenzrecht sowie für die Sanierung“, meint Planer.
„Spätestens, wenn die Lieferanten beginnen zu mahnen, wird es höchste Zeit zu handeln.“
Thomas Planer, Unternehmensberater
Gläubiger frühzeitig einbinden
Gerichte akzeptieren die Eigenverwaltung, wenn sich die Gläubiger im Verfahren nicht benachteiligt sehen. Das muss ein Sanierungsplan belegen, der die positive Fortführungsprognose des Geschäfts dokumentiert. Eine kurze Erläuterung der wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen drei Jahre steht am Anfang. Die Analyse der Krisenursachen und die vollständige Auflistung der möglichen Maßnahmen werden ebenso erwartet wie eine Vorausschau auf den Zeitraum des Verfahrens und die Liquiditätsplanung über mindestens drei Monate.
Planer holt die Gläubiger, wie etwa die Hausbank, bewusst frühzeitig ins Boot. „Wir binden sie direkt in das Sanierungsvorhaben ein. Das schafft Vertrauen bei allen Beteiligten, auch vor Gericht“, sagt der Sanierungsexperte. Die Gläubiger stimmen einem Sanierungsvorhaben zumeist zu, wenn sie Einblick ins Geschehen haben. Ihre berechtigte Erwartungshaltung ist, mit einer höheren Quote befriedigt zu werden als bei einer möglichen Zerschlagung. In der Regel erhalten sie im regulären Insolvenzverfahren weniger als drei Prozent ihrer Forderungen. Bei der Eigenverwaltung liegt der Anteil bei rund 20 Prozent, im besten Fall noch höher.
Damit es gut läuft, muss das Verfahren entsprechend durchdacht und vorbereitet sein. Mit etwas Puffer sollten Unternehmen mit rund vier Wochen kalkulieren. „Wenn es richtig schnell gehen muss, schaffen wir das in Einzelfällen innerhalb von drei Tagen“, sagt Planer. Das Gericht bestellt kurzfristig einen sogenannten Sachwalter. Ihm obliegt die Kontrolle in Form einer Art Aufsichtsrat. Er beobachtet das Verfahren, hat aber keine aktiven Rechte. Der Unternehmer darf ihn selbst vorschlagen. Verfügt er über die notwendige Qualifikation, akzeptieren die Richter meist den Wunsch des Firmenchefs.
Dann kann der Sanierungsprozess starten. Die Mitarbeiter erhalten für drei Monate Insolvenzgeld. Das Finanzamt verzichtet auf Umsatzsteuerzahlungen. Die Gläubiger dürfen keine Vollstreckungsmaßnahmen einleiten. Sämtliche Verträge sind mit einer Frist von drei Monaten kündbar.
Diese Werkzeuge der Insolvenz brachten für Einzelhändler Ghiassi in Hamburg den Durchbruch. Seine Kunden haben die Krise des Unternehmens im vergangenen Jahr kaum bemerkt. „Im stationären Einzelhandel stellen wir fest, dass die Verbraucher den Geschäften ihrer Region auch helfen wollen“, sagt Thomas Planer, der Ghiassi beraten hat. Ein Insolvenzverfahren bedeute zwar einen vorrübergehenden Verlust an Reputation. „Aber“, so Planer, „wenn die Sanierung gelingt, kann der Händler seinen Ruf und seine Bonität auch wieder herstellen.“
FAQ:
Fragen und Antworten zur Insolvenz in Eigenverwaltung
Worin besteht der Unterschied zur Regelinsolvenz?
Ziel der Eigenverwaltung ist es, dass ein Unternehmen unter Beteiligung des bisherigen Managements saniert wird. In der Regel wird also versucht, die bisherige Gesellschafterstruktur zu erhalten und das Unternehmen nicht zu verkaufen. Das Management soll sich dabei allerdings insolvenzrechtlich beraten lassen, zudem wird der Geschäftsführung ein Sachwalter beigestellt.
Wie beantragt man die Insolvenz in Eigenverwaltung?
Hier kommt es auf die Situation des Unternehmens an. Während es ein sogenanntes Schutzschirmverfahren nur nutzen könnte, wenn es noch nicht zahlungsunfähig ist, ist eine vorläufige Eigenverwaltung auch bei Zahlungsunfähigkeit möglich.
Wie geht es nach dem Antrag weiter?
Zunächst befindet sich das Unternehmen in einer vorläufigen Eigenverwaltung – bis das Verfahren offiziell vom Gericht eröffnet wird. Während dieser Zeit verfasst der Sachwalter ein Gutachten, um zu klären, ob die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung gegeben sind. Sie darf beispielsweise nicht zu Nachteilen für Gläubiger führen.
Welche Rolle spielen die Gläubiger?
Das Kernstück des Eigenverwaltungsverfahrens ist der Insolvenzplan. Er dokumentiert, warum das Unternehmen in die Krise gerutscht ist und umfasst die Planung, wie es künftig neu aufgestellt werden soll - und er gibt an, wie viel Prozent der offenen Forderungen erfüllt werden können. Insofern stimmen die Gläubiger über den Insolvenplan ab und müsen ihm mehrheitlich zustimmen.
Welche weiteren Besonderheiten gibt es bei der Eigenverwaltung?
In der Zeit, in der sich ein Unternehmen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren befindet, zahlt es weder Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge noch Umsatzsteuer. Diese Erleichterung ist während der Restrukturierung ein wichtiger Liquiditätsfaktor. Die nicht gezahlten Steuern werden hinterher als Forderungen berücksichtigt und müssen später gemäß der laut Insolvenzplan für alle Gläubiger geltenden Quote beglichen werden.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Eva Neuthinger