Creditreform Magazin

Das Potenzial der internen Beförderung

Wenn gutes Personal fehlt, richtet sich der Blick oft nach innen. Immer mehr Unternehmen setzen auf bereits vorhandene Mitarbeiter, um Stellen neu zu besetzen. Das funktioniert aber nur, wenn sie sich dabei eng mit den betreffenden Kollegen abstimmen.

Für Birgit Lautner, Head of Group HR der Wietersdorfer Gruppe, ist klar, was Unternehmen heute wertvoll macht. „Die Mitarbeiter sind unsere wichtigste Ressource“, sagt die Managerin des Unternehmens mit Sitz in Klagenfurt, das Rohrsysteme, Industriemineralien, Kalk sowie Zement und Beton produziert und 3.515 Menschen beschäftigt. Schon jetzt führe der Fachkräftemangel dazu, dass Unternehmen aus diversen Branchen erhebliche Probleme hätten, ihre Stellen neu zu besetzen. „Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird abermals eine große Anzahl an Menschen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, ohne dass genügend nachkommen, und die Situation wird noch angespannter.“

Da der Blick nach außen häufig nur einen nahezu leer gefegten Arbeitsmarkt zeigt, wenden ihn viele Personalverantwortliche inzwischen vermehrt nach innen. Statt eine Stelle offiziell auszuschreiben, gehen sie den eigenen Mitarbeiterpool durch und gleichen die Anforderungen des Jobs mit dem Potenzial der eigenen Belegschaft ab. „Quiet Hiring“ nennt sich dieses Vorgehen, das vom US-Marktforschungsinstitut Gartner bereits zu einem der wichtigsten „Future Work Trends“ des Jahres 2023 ausgerufen wurde.

Zeit und Geld sparen

Neu ist dieses Vorgehen allerdings nicht. „Interne Mobilität von Talenten hat es immer schon gegeben, aber der Fachkräftemangel verleiht dem Quiet Hiring einen neuen Stellenwert“, sagt Stefan Clemens Ulrich von der Unternehmensberatung Undconsorten. Die Vorteile lägen auf der Hand: „Das Unternehmen spart enorm an Kosten und Zeit, wenn es keine Stelle ausschreiben, Bewerbungen sichten und Vorstellungsgespräche führen muss. Es vermeidet das Risiko, dass ein neuer Mitarbeiter in der Probezeit abspringt, und das Gehalt eines Externen ist in der Regel höher als bei einer Person, die bereits im Unternehmen ist“, so Ulrich. Wer neue Stellen nicht veröffentlicht, kann zudem neue Strategien und Unternehmensziele verfolgen, ohne dass die Konkurrenz es unmittelbar mitbekommt.

Allerdings zeigt eine Umfrage des Jobportals Monster aus diesem Jahr, das längst nicht alle Stammkräfte eines Unternehmens „still eingestellt“ werden möchten. Rund 80 Prozent der Befragten haben das bereits erlebt und etwa 50 Prozent hatten dabei das Gefühl, eine Arbeit zu übernehmen, die nicht ihren eigentlichen Fähigkeiten entspricht. Zwar sehen 63 Prozent im Quiet Hiring grundsätzlich eine Möglichkeit, neue Talente zu entfalten, doch für rund 15 Prozent wäre die interne Neubesetzung ein Kündigungsgrund. Nicht wenige sehen in Quiet Hiring eine Art Kapitulation des Unternehmens, das offenbar nicht in der Lage ist, neue Leute anzuwerben, oder als ein Indiz dafür, dass es schlecht gemanagt und organisiert ist.

Transparenz entscheidet

Diese Zweifel lassen sich nur auf eine Weise auflösen. „Wenn sich Unternehmen für Quiet Hiring entscheiden, müssen sie dabei maximal transparent vorgehen“, sagt Stefan Clemens Ulrich. „Sie müssen dem Mitarbeiter genau erklären, welche neuen Aufgaben auf ihn zukommen, und im intensiven Austausch mit ihm klären, ob er dafür geeignet ist und sich mit den neuen Anforderungen wohlfühlt. Sie sollten ihre eigenen Erwartungen klar formulieren und damit abgleichen, was der Mitarbeiter sich vorstellt.“ Auf keinen Fall dürfe der Eindruck entstehen, dass ein Unternehmen einer Person einfach zusätzliche Arbeit aufbürdet, ohne sie entsprechend ­besser zu bezahlen oder den ­Arbeitsumfang im Blick zu behalten.

„Die Einstellung eines bereits vorhandenen Mitarbeiters ist grundsätzlich ein Zeichen der Wertschätzung, weil man ihm noch mehr zutraut als das, was er aktuell leistet, und in einem weiteren Bereich für kompetent hält, und so sollte sie auch vermittelt werden“, betont Ulrich. Bei kleineren und mittleren Unternehmen biete sich das noch mehr an als bei eher anonym geführten Großkonzernen, weil sich Chefetage und Belegschaft in der Regel gut kennen. „Hier geht es nicht nur darum, ein paar Hundert Euro mehr im Monat zu bezahlen, sondern vor allem darum, zu zeigen: Ohne dich geht es nicht, wir brauchen dich“, sagt Ulrich. Besonders Mitarbeiter, die sich stark mit dem Unternehmen identifizieren, könnten Quiet Hiring als eine spezielle Form der Anerkennung empfinden, die sie an das Unternehmen bindet.

Gute Leute binden und sie nicht an die Konkurrenz verlieren, das ist auch für Birgit Lautner von der Wietersdorfer Gruppe ein zentrales Element ihrer Arbeit. „Viele Mitarbeiter wollen sich weiterentwickeln und ihre Fähigkeiten voll ausschöpfen. Es wäre geradezu ein Irrsinn, ihnen das nicht zu ermöglichen und dieses Potenzial liegen zu lassen“, sagt die HR-Managerin. Die Arbeitswelt ändere sich ständig, manche Jobs fielen weg, neue kämen dazu, Anforderungsprofile seien im stetigen Wandel. „Mit bestehenden Mitarbeitern kann man offen besprechen, wie es innerhalb der Organisation weitergehen soll und welche neuen Aufgaben für sie interessant wären. Dies ist auch fixer Bestandteil unserer jährlichen Mitarbeitergespräche“, sagt Lautner.

Sie hält es für richtig, beim Ausschreiben neuer Stellen eine gute Balance zwischen interner und externer Besetzung zu finden. „Es ist wichtig, die Perspektive von außen nicht zu verlieren. Das Know-how und der Erfahrungsschatz von neuen Mitarbeitern weitet den Blick und vermindert das Risiko, zu sehr im eigenen Saft zu schmoren.“ Es lohne sich aber, bei jeder neuen Stelle zu überprüfen, ob es dafür nicht bereits jemanden im eigenen Haus gibt, der diese Funktion gerne übernehmen würde – sonst laufe man Gefahr, kompetente Mitarbeiter zu verlieren. „Unternehmen, die das nicht oder zu wenig tun, werden es in den kommenden Jahren sehr schwer haben.“


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Gesa van der Meyden
Bildnachweis: Andrii Sedykh / iStock