Creditreform Magazin

Die Energiewende braucht Macher

Das Tempo bei der Gebäudesanierung, dem Austausch von Heizungen, dem Ausbau von Wind- und Solarenergie soll steigen. Aber wer soll es machen? Das Handwerk leidet schon heute unter Azubi- und Fachkräftemangel. Wie können die Betriebe mehr junge Menschen für eine Ausbildung gewinnen?

Handwerk liegt in der Natur des Menschen“, sagt der Sprecher im neuen Werbespot des Deutschen Handwerkskammertags. „Was hindert so viele daran, es zum Beruf zu machen?“ Ein wenig Verzweiflung klingt da mit – und ganz viel Frust. Die Antwort auf die Frage indes ist einfach: Weil junge Menschen lieber Oberarzt oder Controller werden wollen, Marketingmanager oder Influencer. Ohne ausgebildete Fachkräfte aber, die Hand anlegen, knarzt und knackt es im Gebälk. Es sind Elektroinstallateure, Klimatechniker, Elektroniker, Heizungsbauer und Glaser, die das Land werden umbauen müssen, die Häuser energiesparend machen und die Stromerzeugung lokal und erneuerbar.

Insgesamt 250.000 Fachkräfte könnten die Handwerksbetriebe vom Fleck weg einstellen, schätzt der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Auch in der aktuellen Creditreform-Analyse zur Wirtschaftslage im Handwerk beklagen die Betriebe, dass der Fachkräftemangel ihren Aufschwung bremst. Besonders hoch ist der Personalbedarf im Metallhandwerk, im Handwerk des gewerblichen Bedarfs sowie im Baugewerbe. Als Strategien gegen den Mangel nennen die Betriebe eigene Ausbildung, höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen.

Was ist Handwerk wert?

„Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass all die zusätzlichen Vorhaben der neuen Bundesregierung besonders im Klima- und Umweltschutz mit dem jetzigen Stamm an Beschäftigten im Handwerk nicht hinzubekommen sind“, sagte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer Anfang des Jahres in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Es klang wie eine Drohung. 

Seit Monaten beklagt Wollseifer, dass der beruflichen Ausbildung die Wertschätzung fehle. Und Wertschätzung drückt sich nun einmal – auch – in harten Euro aus. „Die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung muss im Gesetz festgeschrieben werden, damit dies bei den Finanzplanungen auch entsprechend beherzigt wird“, forderte Wollseifer in der „Welt am Sonntag“. 

Die Bundesregierung will die Taschen öffnen, den Ausbildungsfreibetrag von 924 auf 1.200 Euro erhöhen, die Kosten von Meisterkursen und Meisterbriefen senken, den Berufs- und Branchenwechsel durch eine Bildungszeit erleichtern. Im Koalitionsvertrag steht außerdem, dass „die vollzeitschulische Ausbildung vergütet und frei von Schulgeld sein muss“. Die Begabtenförderungswerke des Bundes wie die Friedrich-Ebert-Stiftung, über die Studierende so fleißig mit Stipendien versorgt werden, öffnen sich nach dem Willen der Ampel auch für Azubis. Darüber hinaus müssten die Berufsschulen und Bildungsstätten des Handwerks besser ausgestattet werden, fordert der ZDH. Bessere Wohnangebote für Lehrlinge und bundesweite Azubitickets stehen ebenfalls auf seiner Wunschliste. 

Studierende fahren meist günstiger Bus und Bahn

Tatsächlich manifestiert sich im ÖPNV die Ungleichbehandlung von Akademikern und Azubis deutlich. Beispiel Lübeck: Die günstigste Monatskarte für Auszubildende im örtlichen Nahverkehr – Jobtickets nicht mit eingerechnet – kostet aktuell 28,70 Euro. Studierende der Universität Lübeck zahlen über ihr Semesterticket nicht mal zehn Euro im Monat. Schleswig-Holstein ist eines der wenigen Bundesländer, das noch kein preisgünstiges Azubi-Ticket eingeführt hat. Zuletzt haben Baden-Württemberg und Bremen eins auf den Weg gebracht. Durch Bremen fahren Auszubildende ab August 2022 für 30 Euro monatlich, Studierende zahlen für ihr Semesterticket etwa 37 Euro – Vorteil Azubis. Es kommt immer darauf an, was die Länder aufbringen können. So rechnet der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund für sein neues Schüler- und Azubiticket mit Mindereinnahmen von 30 Millionen Euro im Jahr. Die Rechnung zahlen der Freistaat Bayern, die Stadt München und acht Verbundlandkreise.

Mobilität gilt als einer der Schlüsselfaktoren, um die Passungsprobleme auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu lindern. Übersetzt heißt das: Wären mehr junge Menschen zu einem Umzug bereit, könnten mehr offene Stellen besetzt werden. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sind die Leidtragenden der Situation – und sie könnten auch von einem größeren Wohnangebot speziell für Azubis profitieren. Besonders groß ist der Bedarf in Städten wie Hamburg. Dort hat die Stiftung Azubiwerk, finanziell gefördert von der Hansestadt, 2016 im Stadtteil Wandsbek das erste Auszubildendenwohnheim mit 68 Wohnungen und 156 WG-Zimmern eröffnet. 2020 folgte das Wohnheim Harburg mit 92 Wohnungen und 191 Zimmern. Alle Plätze sind aktuell belegt. In diesem Jahr soll daher schon das dritte Wohnheim seine Türen aufsperren, im Münzviertel am Hauptbahnhof.

Sinkende soziale Kompetenzen

Doch gibt es noch weitere Probleme bei der Handwerkersuche. „Die beruflichen und sozialen Kompetenzen der Bewerber scheinen sich von Jahr zu Jahr zu verschlechtern“, heißt es in der Evaluation des Förderprogramms „Passgenaue Besetzung“ durch das Beratungsunternehmen Ramboll im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK). Das Förderprogramm läuft vorerst noch bis 2023 und richtet sich vor allem an kleinere und mittlere Betriebe, denen die Ressourcen für eine ausgedehnte Personalsuche fehlen. Die Berater ermitteln den jeweiligen Bedarf des Betriebs an Auszubildenden, erstellen Anforderungsprofile, suchen nach potenziellen Lehrlingen, sichten Bewerbungsunterlagen, führen Auswahlgespräche und nehmen Einstellungstests vor. 27.000 Ausbildungsplätze wurden nach Angaben des BMWK auf diese Weise seit 2007 besetzt.

Der Instrumentenkasten der Politik ist groß – und soll es auch bleiben. Im Koalitionsvertrag betonte die Ampel, Werkzeuge wie die Einstiegsqualifizierung, die assistierte Ausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfen und Verbundausbildungen ausbauen zu wollen. Die assistierte Ausbildung etwa gibt es seit 2015, sie soll Jugendliche und junge Erwachsene zum Berufsabschluss lotsen. Das Konzept sieht vor, eine betriebliche Ausbildung mit zahlreichen Beratungsgesprächen, Hilfen zur Konfliktlösung oder Nachhilfeunterricht zu flankieren. Eine Kontrollprüfung des Bundesrechnungshofs förderte allerdings zutage, dass es nur rund fünf Prozent der Teilnehmer gelang, mit der assistierten Ausbildung erfolgreich zum Abschluss zu kommen. 80 Prozent beendeten die Ausbildung vorzeitig. Fehlende Motivation wurde bei vielen als Hauptgrund genannt.

Neu kommen soll nun die Ausbildungsgarantie. In Österreich gibt es sie schon, auch die deutsche Bundesregierung will sie einführen. Der Staat würde jedem Jugendlichen eine Berufsausbildung garantieren – auf Staatskosten, entweder rein schulisch in der Berufsschule oder in Kooperation mit einem Betrieb. Rund acht Prozent aller Azubis in Österreich gehen diesen Weg. Laut Studie der Bertelsmann-Stiftung könnte die Ausbildungsgarantie in Deutschland jedes Jahr 20.000 zusätzliche Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt spülen, fix und fertig ausgebildet. Kritiker wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag halten sie jedoch für fehlgeleitet und überflüssig, zudem kostet das Vorhaben nach Bertelsmann-Berechnungen 1,44 Milliarden Euro pro Jahr. 

Neue Zielgruppen suchen

Aus Sicht der Betriebe führt wohl kein Weg daran vorbei, vermehrt Menschen anzusprechen und auszubilden, die nicht ins favorisierte Beuteschema passen – Bildungsferne und Schulabbrecher, Migranten und Flüchtlinge, Alleinerziehende und Ältere. Der Bundesrechnungshof bemängelt etwa, dass sich die Jobcenter bislang zu wenig auf die Zielgruppe arbeitsloser, nicht alleinerziehender Frauen fokussiert hätten. Die Initiative Zukunftsstarter der Bundesagentur für Arbeit ermöglicht Erwachsenen im Alter von 25 bis 35 Jahren, einen Berufsabschluss nachzuholen.

Lieber wäre es dem Handwerk freilich, es würden sich wieder mehr Abiturienten für eine Karriere als Heizungsbauer begeistern. Doch die Berufsberatung an den Gymnasien orientiert sich an den Verheißungen, die ein Studium bietet. Die Möglichkeiten einer Ausbildung werden nur am Rande oder gar nicht erwähnt, in der Oberstufe ist das Handwerk kein Thema. Hinzu kommt, dass in den zurückliegenden Jahren viele Berufsberatungen erheblich zurückgefahren wurden.

Dabei kann das Handwerk eine Menge in die Waagschale werfen – neben Arbeitsplatzsicherheit und steigenden Löhnen auch Klimaschutz, Selbstverwirklichung und Sinn. Argumente, die bei der Fridays-for-Future-Generation eigentlich verfangen müssten. Und etliche Bewerbungen müsste ein Gymnasiast wohl auch nicht schreiben. In der Energietechnik kamen laut Bundesagentur für Arbeit zuletzt auf 100 Ausbildungsstellen nur 67 Bewerber. Noch besser sieht es für angehende Mechatroniker und Automatisierungstechniker, Klempner, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker aus.

Auf einem Plakat der neuen Werbekampagne des Handwerks steht: „Die meisten Kinder wollen irgendwann mal was mit Handwerk machen. Bis sich die Erwachsenen einmischen.“ Auf einem anderen: „In der Schule lernt man fürs Leben. Zum Leben gehört Handwerk. Übers Handwerk lernt man wenig.“ Mit diesem Zustand wollen sich die Betriebe nicht länger abfinden.


Weiterbildung finanzieren

Eine Wärmepumpe wird anders installiert als eine Gasheizung, für die Photovoltaikanlage samt Wallbox braucht die Elektrik mehr als nur eine Standardabsicherung. Zwei simple Beispiele, die zeigen: Neben der Ausbildung muss das Handwerk auch erfahrene Mitarbeiter weiterbilden. Ein Hebel dafür soll das „Qualifizierungsgeld“ sein, das die Bundesregierung einführen möchte, und das ähnlich wie das Kurzarbeitergeld funktionieren soll. Bis es so weit ist, unterstützt die Bundesagentur für Arbeit bereits mit der Qualifizierungsoffensive WEITER.BILDUNG! 

Was Betriebe dort bekommen: 

  • Eine aufs Unternehmen abgestimmte individuelle Qualifizierungsberatung.
  • Förderleistungen wie die Übernahme von Lehrgangskosten und Zuschüsse zum Arbeitsentgelt.
  • Eine Förderung, wenn geringqualifizierte Beschäftigte einen Berufsabschluss nachholen.
  • Einen erweiterten Zugang zu Weiterbildungsförderungen.


Die Höhe der Zuschüsse ist nach Betriebsgröße gestaffelt:

  • Weniger als 10 Mitarbeiter: Bis zu 100 % Erstattung von Lehrgangskosten; bis zu 75 % Zuschuss zum Arbeitsentgelt.
  • 11 bis 249 Mitarbeiter: Bis zu 50 % Erstattung von Lehrgangskosten; bis zu 50 % Zuschuss zum Arbeitsentgelt.
  • Ab 250 Mitarbeiter: Bis zu 25 % Erstattung von Lehrgangskosten; bis zu 25 % Zuschuss zum Arbeitsentgelt.


Förderung von Weiterbildung - Bundesagentur für Arbeit (arbeitsagentur.de)


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Sebastian Wolking