Exportflaute: Neustart für den Mittelstand?

Kaum jemand ist näher dran an den Entscheidern im deutschen Mittelstand als Hermann Simon. Der Erfinder des Begriffs der „Hidden Champions“ steht Top-Managern seit mehr als fünf Dekaden als Unternehmensberater zur Seite. Im Podcast erklärt er über die wichtigsten Trends der Globalisierung und wie kleine und mittlere Unternehmen davon profitieren können.

Lesen statt hören: Die Podcast-Folge #38 zum Nachlesen

Tanja Könemann: Wenn gerade von Globalisierung die Rede ist, geht es oft um Risiken, zum Beispiel Handelskriege, geopolitische Spannungen oder auch unterbrochene Lieferketten. Aber ist wirklich alles so düster, wie es wirkt? Unser heutiger Gast sagt, der Welthandel wächst weiter. Globalisierung ist nicht gescheitert, sie wird neu justiert. Was das für Unternehmen bedeutet, wo neue Märkte entstehen und warum deutsche Hidden Champions besser aufgestellt sind, als viele denken, das erklären wir jetzt.

Jingle: Gute Geschäfte. Business Wissen in 10 Minuten. Der Creditreform-Podcast.

Tanja Könemann: Mein Name ist Tanja Könemann. Ich bin Chefredakteurin des Creditreform-Magazins und Host dieses Podcasts. Und mein Gast hat nicht nur mit „Simon sagt!“ gerade einen Leadership-Bestseller geschrieben. Nein. Er hat in seiner langen Karriere, auch den Begriff der Hidden Champions erfunden. Herzlich willkommen, Hermann Simon.

Hermann Simon: Hallo Tanja, ich freue mich auf unser Gespräch.

Tanja Könemann: Wie bewertest du die aktuelle wirtschaftliche Lage?

Hermann Simon: Wenn man vor fünf Jahren jemanden gefragt hätte: ,Wie sieht die Welt in 2025 aus?‘, dann hätte keiner den Ukraine-Krieg, auch keiner den Gaza-Krieg in dieser Form und auch keiner die Zoll-Eskapaden von Trump prognostiziert. Diese Einflüsse sind da, die können wir auch schlecht so sehen, als wären sie außerhalb unserer Welt. Aber meine Schlussfolgerung ist, dass sie für die Wirtschaft und insbesondere für die Globalisierung eine weit geringere Rolle spielen, als wir annehmen.

Tanja Könemann: Wie kommst du zu der Annahme?

Hermann Simon: Trotz dieser enormen Barrieren, Behinderungen etc. ist der Welthandel weitergewachsen. Und meines Erachtens wird die Globalisierung auch nicht aufhaltbar sein. Es gibt ungeheure Potenziale für Wachstum. Und eben auch für globale Märkte. Um mal ein Beispiel zu bringen: Der deutsche Export nach Gesamtafrika – das sind ungefähr 28 Milliarden – ist kleiner als der deutsche Export nach Schweden, das sind ungefähr 31 Milliarden; also 28 im Vergleich zu 31. Afrika hat 1,2 Milliarden Menschen, Schweden hat zehn Millionen; um nur ein Beispiel zu nennen. Oder wenn wir Indien nehmen: Das pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in China ist 13.800 Dollar. In Indien sind das 2.800 Dollar. Indien hat also einen Bedarf und muss wachsen und ist noch weit von beispielsweise China entfernt. Aber China ist genauso weit von Deutschland oder USA entfernt. Ich sagte ja, das pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in China beträgt 13.800 Dollar. Bei uns ist das Bruttoinlandsprodukt 56.000 Dollar, in den USA 82.000 Dollar. Also, trotz dieser politischen Einflüsse ist der Bedarf der Welt nach wie vor ungestillt. Und das ist letztlich Wachstumspotenzial.

Tanja Könemann: Also werden falsche Prioritäten gesetzt, deiner Meinung nach?

Hermann Simon: Ja, teilweise schon. Wir hatten so große Chancen in China, dass wir uns auf China konzentriert haben. In China haben mehr als 2.000 deutsche Firmen eigene Fabriken. Ich habe nicht die genaue Zahl für die USA, aber die ist weitaus geringer. Und wir müssen jetzt natürlich unsere Prioritäten anpassen, ich nenne das ,Rebalancing‘. Ich nehme ein Beispiel: Unser größtes Exportgut nach USA sind nicht Autos, sondern Pharmazeutika. 80 % der Gewinne der Welt aus Pharmazeutika werden in den USA gemacht. Wenn Trump jetzt die Preise dort drückt, werden die US-Gewinne natürlich stark zurückgehen und man muss das gesamte Preissystem in der Welt anpassen. Also, es ist keineswegs so, dass die Maßnahmen von Trump auf den amerikanischen Markt beschränkt werden, sondern man muss sehen, dass man eine neue Balance – deshalb Prebalancing – in den globalen Märkten gewinnt. Sehr gut darin sind zum Beispiel die Chinesen. Ihre Exporte haben in diesem Jahr sehr stark gelitten nach USA und nach Südostasien, deren Exporte wiederum um 20 bis 30 Prozent gewachsen sind. Die haben also sehr schnell das Ruder rumgerissen, neue Märkte erschlossen, um die in USA entstandene Lücke zu schließen.

Tanja Könemann: Direkt-Investitionen versus Exporte, welche Rolle spielen Direkt-Investitionen jetzt?

Hermann Simon: Ja, das ist der vielleicht wichtigste Trend in der Globalisierung. Bereits seit 2010 wachsen die globalen Exporte weniger als das globale Bruttoinlandsprodukt. Ich nenne das ,relative Deglobalisierung‘. Sie wachsen zwar weiter, aber weniger als das Bruttoinlandsprodukt. Und das bedeutet aber keineswegs ein Ende der Globalisierung. Sondern: Exporte werden ersetzt durch Direkt-Investitionen. Mehr als 2000 deutsche Fabriken gibt es in China, zum Beispiel Trumpf, der Laserproduzent, hat die größte Fabrik in China. Ich bin auch diese Woche wieder in China, habe kürzlich eine Fabrik von Kärcher, Hochdruckreiniger, besucht, auch ein gigantisches Werk. Und das macht sowohl unter politischen als auch Umweltaspekten Sinn: Statt etwas in Deutschland zu produzieren, und nach China zu transportieren, produzieren wir es in China. Gleiches gilt übrigens umgekehrt. Ich erwarte in den nächsten zehn Jahren eine massive chinesische Investitionswelle in Europa, in Deutschland. CATL, der größte Batteriehersteller, hat bereits ein großes Werk in Thüringen. BYD, die Auto- und Batteriefirma, baut ein großes Werk in Ungarn. Und Trump erzwingt ja diesen Trend dann für USA, durch die hohen Zölle. Ich halte das für eine sehr sinnvo

Tanja Könemann: Also empfindest du das, was vielerorts als Polykrise beschrieben wird, gar nicht als Krise?

Hermann Simon: Ja, es ist natürlich auf Deutschland bezogen eine Krise, aber ich halte sie für bewältigbar. Wir sind nach wie vor ein sehr attraktiver Standort, auch wenn einige Projekte wie Intel in Magdeburg oder Northvolt im Saarland und Schleswig-Holstein etc. geplatzt sind. Wenn ich mit Firmen in Amerika, in anderen Ländern spreche, bleibt Deutschland für diese ein attraktiver Standort. Und da müssen wir uns natürlich bemühen, das noch zu verbessern.

Interessant ist, was der Intel-Chef zu Magdeburg gesagt hat. Er wurde gefragt (obwohl das jetzt geplatzt ist, aber das ist mehr geplatzt wegen der Schwierigkeiten, die Intel als Unternehmen hat): Warum Deutschland? Er sagte, in Deutschland gibt es erstens Top-Talente, zweitens Logistik, drittens politische Stabilität und erst an vierter Stelle Kosten.

Tanja Könemann: Das ist wirklich interessant.

Hermann Simon: In Sachen Logistik sind wir bei der Infrastruktur, aber auch unserer zentralen Lage in Europa und in der Welt ; wird auch vergessen. Ich kann morgens mit unserem Büro in Tokio telefonieren und abends mit unserem Büro in San Francisco. Wenn Sie in New York sitzen und mit Indien Geschäft machen, das ist ein Albtraum. Da müssen Sie morgens um sechs Uhr aufstehen. Oder abends um zehn Uhr telefonieren. Von den Zeitzonen her – ganz Afrika liegt praktisch auf derselben Zeitzone – haben wir für die Welt und für Europa eine absolut zentrale Stellung, einen zentralen Standort.

Tanja Könemann: Was bedeuten alle diese Entwicklungen für Hidden Champions?

Hermann Simon: Die Hidden Champions können in der Tendenz so weitermachen wie bisher. Ihre größte Stärke ist noch nicht mal die Technologie, sondern die Kundennähe. Das präsentiere ich zum Beispiel bei meinen ausländischen Vorträgen. Da vergleiche ich, wie viele Tochtergesellschaften haben deutsche Hidden Champions, als Auswahl. Und wie viele haben die ähnlichen Firmen aus ihrem Land. Bei den Deutschen sind das fast immer über 50, manchmal über 100. Und in den anderen Ländern sind das mal zehn. Wir, also gerade der Mittelstand, die Hidden Champions, sind weitaus stärker globalisiert, international, auch mental, als Firmen aus Frankreich, Japan, USA, China. Dort haben wir einen unglaublichen Vorsprung.

Tanja Könemann: Hermann, wir sind am Ende unseres Gesprächs angelangt. Unser Ziel im Podcast ist es immer, ein Resümee zu ziehen und Handlungsempfehlungen zu geben. Wenn du drei Tipps geben könntest, wie Manager und Führungskräfte die aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen erfolgreich meistern könnten, ein ,Hermann-Simon-How-to-survive-Poly-Krise‘: was wäre das?

Hermann Simon: Dann nehme ich mal drei Tipps wirklich aus dem Buch. Der erste ist: Persönlichkeit ist unabhängig vom Applaus der Masse. Wenn du führen willst, dann musst du das aus dir heraus tun und nicht auf Applaus hoffen. Und das ist insbesondere in der modernen Welt, wo sich sehr viel ändert, wichtig, weil Änderungen erzeugen Angst bei den Geführten. Mein zweiter Ratschlag ist ein lateinischer Spruch: Per aspera ad astra. Das heißt: ,Auf rauen Pfaden zu den Sternen‘. Du musst die Sterne im Blick behalten. Das heißt, du musst eine Vision haben, wo dein Unternehmen in fünf Jahren stehen soll. Gehe aber nicht davon aus, dass dein Unternehmen auf einer glatten Straße geht. Du wirst widerständig Stolpersteine erleben.

Tanja Könemann: Und der dritte Tipp?

Hermann Simon: Wollen kann man nicht lernen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Und das ist natürlich der entscheidende Antrieb für Unternehmen. Das kommt in der Betriebswirtschaftslehre nicht vor, das Element Wille, etwas zu wollen. Und mein erster Befund bei den Hidden Champions ist ja, dass diese die Ambition haben, der Beste in ihren Märkten zu sein. Wollen kann man nicht lernen.

Tanja Könemann: Das ist ein tolles Schlusswort. Hermann, ganz herzlichen Dank, dass du bei uns warst, heute bei Gute Geschäfte.

Hermann Simon: Es hat mir Spaß gemacht.

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