Forderungsmangement: Wer zahlt wie gut?

Die Wirtschaft steckt in der Rezession. Lieferengpässe, Inflation und Fachkräftemangel machen den Unternehmen zu schaffen. In vielen Betrieben leidet die Liquidität – und mit ihr die Zahlungsmoral. In der Baubranche etwa werden überfällige Rechnungen im Schnitt erst 14 Tage später beglichen als vereinbart. Das ist eine schwierige Situation für Lieferanten, die sich entscheiden müssen. Mit wem machen sie noch Geschäfte und zu welchen Konditionen?

Tina Haus-Bienerth (Leiterin Corporate Credit Management beim Agrar- und Baustoffhändler BayWa) verrät im Gespräch mit Jana Samsonova (Handelsblatt Media Group), wie sie mit unbezahlten Rechnungen umgeht und was jeder Unternehmer tun kann, um seine Ausfallrisiken zu minimieren.

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Jana Samsonova [00:00:00] Haben Sie in letzter Zeit mal versucht, einen Handwerker zu finden? Oder haben Sie vielleicht, so wie ich, einen größeren Um- oder Neubau geplant? Dann dürften Sie schon gemerkt haben, dass es im Handwerk und der Bauwirtschaft gerade nicht so richtig rund läuft. Lieferengpässe, Inflation und Fachkräftemangel haben ihre Spuren hinterlassen. Auf der anderen Seite wächst die Nachfrage enorm, vor allem in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Kurz gesagt: Im Handwerk und der Baubranche treffen gerade zwei Extreme aufeinander. Und in vielen Betrieben hat das wiederum Auswirkungen auf die Liquidität. Der Zahlungsverzug im Baugewerbe lag zuletzt bei 14 Tagen - und damit vier Tage höher als der Durchschnitt aller Branchen. Auch die Insolvenzzahlen steigen. Meine heutige Gästin arbeitet bei einem Handelskonzern, der im Jahr rund 27 Milliarden Euro Umsatz macht, davon rund 2,3 Milliarden Euro mit Produkten für die Baubranche. Wie man als Lieferant mit der aktuellen Situation umgeht und was zu beachten ist, um die Ausfallrisiken zu minimieren, darüber spreche ich mit Tina Haus-Bienerth. Sie ist Leiterin Corporate Credit Management bei der BayWa AG. Mein Name ist Jana Samsonova und damit herzlich willkommen bei "Gute Geschäfte".

Jingle: Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast.

Jana Samsonova [00:01:38] Frau Haus-Bienerth, erst mal herzlich Willkommen!

Tina Haus-Bienerth [00:01:41] Hallo und danke sehr.

Jana Samsonova [00:01:43] Ganz offen gefragt: Wie lange müssen Sie im Moment ungefähr warten, bis Ihre Kunden aus der Baubranche offene Rechnungen bei der BayWa begleichen?

Tina Haus-Bienerth [00:01:51] Also in Tagen ist es jetzt nicht so viel schlechter als in den Jahren davor, wenn man das jetzt mal gesamt sieht. Allerdings stellt man fest, dass der eine oder andere Kunde, der vorher mal skontiert hat oder auch vorfällig gezahlt hat, dass der jetzt das Zahlziel voll ausnutzt oder auch mal eine Mahnung bekommt. Oder wenn wir ein Lastschriftverfahren haben, eben eine Lastschrift mal zurückgeht. Aber grundsätzlich noch ein gutes Zahlungsverhalten von unseren Kunden. Da sind wir ganz, ganz froh darum, dass wir grundsätzlich gut zahlende Kunden haben.

Jana Samsonova [00:02:21] Das ist auf jeden Fall positiv. Die BayWa betreibt ja seit vielen Jahren ein aktives Credit Management. Heißt: Schon lange vor der Corona-Pandemie und der Energiekrise. Wie hat sich denn die Zahlungsmoral über die Jahre verändert? Gibt es da etwas Bemerkenswertes?

Tina Haus-Bienerth [00:02:37] Also ich muss tatsächlich sagen, gerade während der Corona Pandemie haben wir gemerkt, dass es im Durchschnitt, also durchweg, eine gute Zahlungsweise unserer Kunden war. Das hat mit Sicherheit damit zu tun, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen da waren. Dass da ausreichend Liquidität bei den Unternehmen da war und dass eben auch dieser Materialmangel, also dass die Unternehmen auch pünktlich zahlen mussten, um an das Material zu kommen. Also das haben wir festgestellt, gerade während der Pandemie. Wir stellen jetzt gerade in der ein oder anderen Branche, weil wir ja nicht nur die Baubranche haben, so ein paar kleine Verschiebungen fest. Aber die sind noch nicht so maßgeblich.

Jana Samsonova [00:03:11] Und rechnen Sie damit, dass das noch mehr wird in Zukunft oder dass sich das eher wieder einpendelt?

Tina Haus-Bienerth [00:03:16] Also ich glaube tatsächlich, dass in der Baubranche das eine oder andere Unternehmen tatsächlich in Schwierigkeiten geraten kann. Aktuell bekommen wir das so mit. Die Unternehmen, die haben jetzt gerade noch den Auftragsbestand im Nachlauf aus dem letzten Jahr, der noch abgearbeitet wird. Und dann, wie Sie es eingangs schon erwähnt haben, dass da einfach die Flaute es sind weniger Baugenehmigungen und die Materialverfügbarkeit ist jetzt auch wieder anders. Und da rechnen wir schon damit, dass in nächster Zeit der ein oder andere Kunde in Schwierigkeiten kommen kann. Allerdings muss man auch so sehen: Die Branche hat in den vergangenen Jahren ja auch richtig geboomt. Also ich gehe mal davon aus, dass der ein oder andere Unternehmer auch wirklich ein paar Rücklagen hat.

Jana Samsonova [00:03:55] Sie haben es ja gerade selber gesagt: Es gibt solche und solche Kunden. Gibt es dann auch welche, wo Sie besonders genau hinschauen aktuell? Und wenn ja, was sind denn da die Gründe und worauf achten Sie?

Tina Haus-Bienerth [00:04:06] Es gibt tatsächlich einige Kunden, bei denen wir besonders hinschauen. Also wir haben unsere Kunden geclustert, nach verschiedenen verschiedenen Kriterien. Das eine ist, dass wir im Unternehmen eine eigene BayWa-Risiko-Klasse haben, so nennen wir das immer. Wir haben einen eigenen BayWa-Score und stufen die Kunden dann in bestimmte Risiko Klassen ein. Und je nach Risikoklasse ist die Ausfallwahrscheinlichkeit höher. Und eben die Kunden, die einer höheren Risiko Klasse sind, da schauen wir tatsächlich genauer hin. Oder die Veränderung: Wie entwickelt sich das Portfolio insgesamt? Habe ich da Verschiebungen, dass man rechtzeitig eingreifen können und.

Jana Samsonova [00:04:38] Welche Daten nutzen Sie da, um Warnzeichen zu erkennen? Und wie hat sich Ihr Blick auf diese Zahlen in den vergangenen, sehr bewegten drei Jahren verändert?

Tina Haus-Bienerth [00:04:47] Ja, das war natürlich die Wirtschaftauskünfte und Personenauskünfte. Dann haben wir, was uns ganz wichtig ist, natürlich die Daten aus dem eigenen Unternehmen. Die eigene Zahlungserfahrung unserer Kunden, die ist uns unglaublich wichtig. Auch das Bestellverhalten, wie die Buchhaltung aufgestellt ist und auch noch ein ganz wichtiges Kriterium ist der Eindruck unserer Vertriebsmitarbeiter vom Kunden. Das nutzen wir auch. Da haben wir auch eine Bewertung mit dazu. Und dann eben auch unsere Kredit Manager, wenn die vor Ort sind bei dem Kunden, die können auch noch mal eine Bewertung zu dem Kunden abgeben und das können wir alles in unserem Scoring abbilden. Und es ist für uns enorm wichtig, dass wir sehen, wo kommen wir am Schluss raus?

Jana Samsonova [00:05:25] Wissen Unternehmen selber, wo sie in dem Score gerade sind?

Tina Haus-Bienerth [00:05:28] Wenn wir mit den Unternehmen sprechen, also wenn jetzt ein Kredit Manager draußen vor Ort beim Kunden ist, dann wissen die das. Ansonsten wissen unsere Kunden das nicht. Also wir vergeben dann ein Kreditlimit, für das die Kunden auf Rechnung einkaufen können und dieses Kreditlimit kommunizieren mit dem Kunden dann auch.

Jana Samsonova [00:05:43] Und sagen Sie mir noch mal wie viele von diesen Score Stufen gibt es?

Tina Haus-Bienerth [00:05:48] Da haben wir uns nach den Schulnoten gerichtet. So von 100 bis 600 und 100 ist eben eine sehr gute Bonität und 600 ist dann nur sehr schlecht oder ein Ausfall für uns.

Jana Samsonova [00:05:58] Worauf achten Sie denn? Sagen wir mal in der Anfangszeit beim Kunden? Also welche Aspekte sind Ihnen da wichtig?

Tina Haus-Bienerth [00:06:06] Also was uns besonders wichtig ist, dass wir eine fundierte Bonitätsprüfung und Bonitätsbeurteilung von dem Kunden machen, eben die vorher schon erwähnt mit den Wirtschafts- und Personenauskünften, die wir haben und den Informationen, die wir von den Vertriebskollegen kriegen. Und dann ein Kreditlimit entscheiden, das für uns dann praktisch das Risiko zum Kunden abgrenzt, ist enorm wichtig. Und auch wieder, wie ich schon erwähnt habe, gerade mit Bonitäts schwachen Kunden vielleicht auch sichere Umsätze zu machen, dass wir da einfach dieses, dieses Kreditlinie, diese Grenze vergeben haben. Ganz wichtig dabei ist für uns auch, dass wir dann gleich zu Beginn an gucken, mit welchen Zahlzielen wir überhaupt in den Markt reingehen. Weil desto länger das Zahlziel ist, desto größer ist natürlich auch die Ausfallwahrscheinlichkeit mit diesem Ziel.

Jana Samsonova [00:06:48] Und indem Sie Zahlungsziele und Konditionen festlegen, beeinflussen Sie ja unter Umständen auch den Vertrieb. Wie bringen Sie denn diese unterschiedlichen Interessen Verkaufserfolg versus Sicherheit übereinander?

Tina Haus-Bienerth [00:07:02] Ja, grundsätzlich ist bei uns so der Tenor: Kreditmanagement und Vertrieb ist ein starkes Tandem. Also wenn wir gut miteinander zusammenarbeiten, können wir für den Vertrieb auch Umsätze mit vielleicht noch mit einem bonitätsschwachen Kunden machen. Das es trotzdem für das Unternehmen trotzdem ein sicherer Umsatz ist. Und da muss man eben sich gut abstimmen, gut, gut miteinander sprechen und auch die Zahlziele dann eben entsprechend abstimmen. Das man einfach sagt okay, gut, der Kunde hat jetzt nicht so eine ganz starke Bonität. Deshalb gucken wir  doch, wenn wir Geschäfte mit dem machen, dass wir kürzere Zahlungsziele haben, dass wir schneller unser Geld haben, so kannst du mehr Umsatz generieren und unter Umständen auch einen größeren Rohertrag haben.

Jana Samsonova [00:07:37] Es gibt ja mittlerweile kaum einen Handwerksbetrieb, der nicht längst auf seinen Transportern, auf Plakaten oder in den sozialen Medien um Mitarbeiter wirbt. Wie sehr beziehen Sie im Kredit Management inzwischen auch die Personalsituation mit ein?

Tina Haus-Bienerth [00:07:51] Da gehen wir so vor, dass wir uns angucken und mit dem Kunden sprechen. Und das tatsächlich auch in die Gespräche, wenn wir vor Ort sind, beim Kunden mit einfließen lassen und dann so ein bisschen die Augen und Ohren aufhalten. Gibt es da Lösungen oder Probleme? Also wenn das Unternehmen pfiffige Ideen hat, wie sie Mitarbeiter generiert, dann können wir das wirklich positiv beurteilen. Wenn wir nur von Problemen erzählt haben, werden wir das schon weniger gut beurteilen. Ich war vor kurzem war ich richtig begeistert, war ich bei einem Gartenlandschaftsbau Unternehmen und der hat mir erzählt: Ja, sie haben eine gute Ausbildungsquote. Sie müssen nicht mal in die Schulen gehen, sondern die Mitarbeiter aus der Region bewerben sich und haben auch aus der Ausbildung eine gute Übernahmeguote und haben da kein kein Problem Mitarbeiter zu finden. Das ist wirklich toll, wenn man so was hört. Man sagt okay, das Unternehmen hat so einen guten Stellenwert in der Region, dass die Leute da gern hinkommen. Und der Ruf vom Unternehmen passt eigentlich. Dann sieht man, die tun sozial, was für die Mitarbeiter, sie haben Ideen was, was, was sie machen. Das war auch ein unglaublich ordentlicher Betrieb. Also da hatte ich ein richtig gutes Gefühl, wo ich rausgegangen bin.

Jana Samsonova [00:08:59] Also sehr positiv. Aber ist es denn so, dass Sie im Moment immer öfter solche kreativen Ideen erleben, oder sind das eher Ausnahmen?

Tina Haus-Bienerth [00:09:06] Also da wo ich hinkomme, ist es nicht die Ausnahme. Also es haben viele schon Ideen. Also das eine Unternehmen entwickelt eine App für Mitarbeiter und auch für das Recruitment. Der andere macht das über einen Tik Tok Kanal oder Instagram. Social Media wird ganz stark genutzt, also sind ganz pfiffige Ideen dabei. Das finde ich ganz toll.

Jana Samsonova [00:09:26] Super, dann danke ich Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und bis zum nächsten Mal bei "Gute Geschäfte"!

Tina Haus-Bienerth [00:09:32] Vielen Dank!

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