Zukunftsbranchen sterben leise
Es sind nicht nur die steigenden Insolvenzzahlen, die Anlass zur Sorge geben. Auch die Unternehmensschließungen insgesamt haben 2024 neue Höchststände erreicht.
Zusammen mit dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) beobachtet Creditreform das Gründungs- und Schließungsgeschehen in Deutschland bereits seit vielen Jahren. Im Vorjahr haben insgesamt 196.100 Betriebe ihre Pforten geschlossen. Gegenüber 2023 stellt diese Zahl eine Steigerung um 16 Prozent dar – eine etwas geringere Zahl als der Zuwachs bei den Insolvenzen in Deutschland mit einem Plus von über 24 Prozent, dennoch ein weiterer Fall, der für das Ausdünnen der Unternehmenslandschaft steht. Anzumerken ist, dass die Insolvenzen keine Teilmenge des gesamten Schließungsgeschehens darstellen, weil viele Betriebe die Möglichkeiten einer Sanierung im Zuge eines geordneten juristischen Verfahrens nutzen. „Sanieren steht vor liquidieren“, heißt es gerade für größere Unternehmen immer häufiger.
Die Zahl von fast 200.000 Schließungen stellt einen neuen negativen Rekord dar. Die Betriebsaufgaben sind ein Zeichen der Krise, wie der Blick auf die Jahre 2009 bis 2011 zeigt. Damals hatte die weltweite Finanzkrise von den USA ausgehend auch Deutschland erreicht und führte nicht nur zu neuen Höchstständen bei den Insolvenzen, sondern auch bei den Liquidationen: Mit Werten deutlich über 200.000 Fällen wurde ein Gipfel erreicht, in den Jahren danach bewegten sich die Schließungen zwischen 150.000 und 170.000 Fällen.
Große Unternehmen betroffen
Aber nicht nur in der absoluten Zahl der Schließungen spiegelt sich die prekäre gesamtwirtschaftliche Lage, auch ein Blick in die betroffenen Größenklassen macht deutlich, wo in Deutschland die Probleme liegen. Wie in allen Vorjahren auch, stellten Mikro-Betriebe mit höchstens vier Mitarbeitern den weitaus größten Teil der Schließungen: Über 170.000 Fälle betrafen 2024 diese Größenklasse. Dagegen waren in der Klasse von Unternehmen mit mindestens 20 Mitarbeitern nur knapp 4.100 Schließungen zu registrieren. Den Unterschied aber machen die Zuwachsraten: Bei den kleinen Betrieben liegen sie bei 15 Prozent, bei den großen Unternehmenseinheiten aber bei über einem Viertel (27 Prozent). Während es sich also bei der großen Zahl kleinster Betriebe auch oft um Solo-Selbstständige handelt, die etwa in eine angestellte Tätigkeit wechseln wollen, ist der volkswirtschaftliche Verlust bei den großen Betrieben wesentlich erheblicher. Nicht nur im Hinblick auf die betroffenen Arbeitnehmer, sondern auch auf das betriebliche Know-how, das bei der Aufgabe verloren geht.
Nun gehören Schließungen zur Entwicklung einer jeden Volkswirtschaft. Betriebe, die aufgrund ihrer Ausrichtung, ihres Innovationsverhaltens oder schlicht ihrer Umsätze nicht mehr marktgerecht sind, verschwinden aus dem marktwirtschaftlichen Geschehen. Neugründungen ersetzen sie. Es geht um das Überleben des „Fittesten“, um eine von Schumpeter so bezeichnete „Creative Destruction“. Dem aber widerspricht nicht nur das dürftige Gründungsgeschehen, das von Jahr zu Jahr schwächer ausfällt, sondern etwa auch die Betroffenheit der Hightech-Branchen im aktuellen Schließungsgeschehen. Im Sektor der technologieintensiven Dienstleistungen etwa stiegen die Liquidationen um 24 Prozent überdurchschnittlich. Fast 14.000 Betriebe, etwa aus den Branchen der Informationstechnologie, der Produktentwicklung, der Umwelttechnik oder der Diagnostik haben dicht gemacht. Für Deutschland, das sich immer als Hightech-Region gesehen hat, geht damit ein Stück Zukunft verloren. Dabei spielt hier wohl der Fachkräftemangel eine besondere Rolle. Die bekannten MINT-Fächer finden bei den Studenten immer noch zu wenig Anklang.
Wohnungsnot bleibt wohl
Überdurchschnittlich stark legten auch die Schließungen im Grundstücks- und Wohnungswesen zu (plus 20 Prozent) – 2024 gaben hier fast 9.700 Unternehmen auf. Auch die Betroffenheit dieser Branche ist für die gesamte Wirtschaft prekär. Die neue Regierung hat sich einen verstärkten Wohnungsbau auf die Fahnen geschrieben, doch es fehlt an Unternehmen, die dies auch umsetzen können. Neben der schwierigen Finanzierung und den Preissteigerungen für Baumaterialien durch die Inflation kommt also für den Neubau hinzu, dass es an Baubetrieben fehlt.
Für die Wirtschaftspolitik spielt auch die schwierige Lage im Gesundheitswesen eine Rolle. Medizinische Leistungen werden immer teurer, die Arztpraxen immer voller. Wenn dann auch noch die Schließungen im Gesundheitswesen einen neuen Höchststand erreichen, ist ein Ende der Misere nicht abzusehen. Rund 10.800 Betriebe aus dem Gesundheitswesen haben 2024 geschlossen, 2003 waren es mit gut 5.700 Fällen noch etwas mehr als die Hälfte. Wenn Apotheken und Arztpraxen schließen, steht die Versorgung für Patienten infrage. Hier spielt sicher nicht nur auf der Patientenseite, sondern auch auf der Versorgungsseite die demografische Entwicklung eine wichtige Rolle. Viele Ärzte haben die Altersgrenze erreicht und schließen ihre Praxis. Angesichts einer schwierigen Kostensituation und mancher bürokratischer Anforderungen geraten klassische kleine Praxen in Schwierigkeiten, junge Ärzte scheuen die Selbstständigkeit und gehen den Weg in die großen medizinischen Versorgungszentren.
Wer soll das bezahlen?
Ein besonderes Augenmerk gilt auch der energieintensiven Industrie. Ein weit überdurchschnittlicher Anstieg von 26 Prozent bei den Schließungen ist ein Spiegel der Verteuerung der Energie, aber auch der Probleme, die gerade für kleinere Betriebe dieser Branchen durch die Anforderungen des Umweltschutzes auf sie zu kommen. Dies betrifft auch etwa Branchen wie die Pharmaindustrie oder die Chemie – Bereiche, in denen Deutschland weltweit einen Spitzenplatz einnimmt.
Die betroffenen Branchen Gesundheitswesen, Pharma und Chemie, Wohnungsbau und High End-Technologie, verdeutlichen, wie kritisch das Geschehen bei den Unternehmensschließungen in Deutschland ist. Eine so hohe Zahl von Schließungen gerade in den Sektoren, die für den Standort Deutschland so wichtig sind, ist nicht weiter hinnehmbar.
Quellen: Creditreform, ZEW