KI einführen – aber kostenbewusst
Künstliche Intelligenz kann ein pragmatisches Werkzeug sein – wenn Unternehmen die richtigen Prioritäten setzen. Welche Ansätze schnell Mehrwert schaffen und unnötige Kosten vermeiden.

Eine Tankstelle in Duisburg an einem Mittwochmorgen: Es herrscht Hochbetrieb. Direkt nach Benzin und Diesel ist Kaffee der gefragte „Kraftstoff“ für Pendler. Jeder fünfte Kaffee in Deutschland wird laut Statista bei Tankstellen, Bäckereien und in der Gastronomie gekauft. Würde jetzt die Maschine ausfallen, wäre das nicht nur ein Verdienstausfall für den Betreiber, sondern auch ein Stimmungstief für die Autofahrer. Das Gerät, um das sich hier so viel dreht, stammt vom Mindener Hersteller Melitta. Und damit die Heißgetränke im Fall der Fälle schnell wieder fließen, setzt das Unternehmen mittlerweile auch auf Künstliche Intelligenz (KI).
Paul Töws, Head of AI bei Melitta, betont: „Kundenservice ist für uns extrem wichtig. Hotels, Restaurants oder eben Tankstellen wollen, dass 24 Stunden am Tag Kaffee fließt.“Um diese Herausforderung zu meistern, setzt Melitta neben menschlichen Experten auf Chatbots. Sie helfen zum Beispiel dabei, Technikereinsätze bei Fehlern, denen kein Defekt zugrunde liegt, zu vermeiden. Muss doch ein Techniker ausrücken, nutzt dieser ebenfalls einen eigenen Chatbot. „Unsere Techniker finden damit schneller Lösungen, und neue Kollegen werden schneller angelernt“, erläutert Töws.
Die Nutzung von KI durch Melitta ist beispielhaft für eine bemerkenswerte Veränderung: Der Anteil deutscher Unternehmen, die KI einsetzen, hat sich laut Daten des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung allein in den Jahren 2023 und 2024 mehr als verdoppelt. Dieses Wachstum wurde vom verarbeitenden Gewerbe angeführt, wo fast ein Drittel der Unternehmen angibt, KI zu nutzen. Dort kommen häufig selbstlernende Algorithmen, sogenanntes Machine Learning, (siehe Kasten) zum Einsatz. Sie unterstützen beispielsweise bei Qualitätskontrollen oder steuern Produktionsanlagen – und taten das lange, bevor KI dank Chatbots einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.
Melitta startete ebenfalls schon vor dem „ChatGPT-Moment“ Ende 2022 mit einem eigenen Transformations-Team die Digitalisierung seiner Geräte und Geschäftsmodelle. Mit dem Aufkommen der Sprachmodelle und Chatbots hat sich der Bereich der Künstlichen Intelligenz im Unternehmen laut Töws dann allerdings nochmals dynamisiert. „Das Thema KI haben wir bewusst außerhalb der zentralen IT-Struktur positioniert, weil es nicht nur das nächste IT-Projekt ist, sondern einen viel größeren Transformationseffekt hat“, sagt der Informatiker.
Die Einführung von KI bei Melitta erfolgte strukturiert. Zuerst entwickelte das Unternehmen mit einem lokalen Startup eine interne Plattform, um Datenschutz und konformen Zugang zu verschiedenen KI-Technologien zu gewährleisten. Darauf folgte ein zwölfwöchiges, freiwilliges KI-Manager-Programm mit Schulungen und Testzugängen. Die Grundregel für die Teilnahme war pragmatisch: Wer mitmachen wollte, musste einen realen Anwendungsfall vorweisen können, der sich aus einem Problem im täglichen Arbeitsablauf ergab.
Empfehlungen zur KI-Einführung
Dieser Ansatz führte schnell zu Ergebnissen. „In den ersten sechs Monaten haben wir mit der Initiative über hundert verschiedene Use-Cases generiert“, resümiert Töws. Die meisten Anwendungen fanden sich in volumenstarken, mitarbeiterorientierten Funktionen wie dem Marketing und Vertrieb, gefolgt von Backoffice- und Managementaufgaben.
Wie die Einführung von KI auch für andere Unternehmen funktionieren kann, weiß Jens Polomski. Mit snipKI berät der Marketingexperte andere Unternehmen beim Aufbau von KI-Expertise. Was der beste Weg zur Einführung von KI ist, kommt laut Polomski stark auf das Unternehmen, die Branche und den spezifischen Einsatzzweck an. Zentrale Empfehlungen hat er jedoch für alle.
- Vorstellungskraft entwickeln: „Viele Use-Cases sind sehr klein und individuell. Generell sollte man bei KI immer schauen, wo ein Einsatz im eigenen Kontext funktioniert und Sinn macht. Hier fehlt vielen Mitarbeitern noch die Vorstellungskraft – das versuchen wir zu ändern.“
- Prozesse zuerst optimieren: Groß angelegte KI-Projekte erfordern laut dem Experten umfangreiche Vorarbeit. „Prozessautomatisierung geht immer vor KI und erst recht vor Agenten“, sagt Polomski. Mit Agenten sind autonome KI-Systeme gemeint, die ihre Aufgaben ohne menschliches Zutun erledigen sollen – eine Technologie, die noch am Anfang steht.
- KI-Tools verstehen und in der Praxis testen: „Ich muss meine Werkzeuge verstehen. Also wissen, was KI schon kann – aber auch, was sie noch nicht kann und wo die Limitierungen sind. Dann kann ich mir überlegen, welche meiner täglichen Aufgaben vielleicht eine KI übernehmen kann.“
Kostenfallen vermeiden
Polomski empfiehlt zudem, Mitarbeitern diesen Schritt durch interne und externe Workshops, Lernplattformen oder das Aufstellen einer KI-Taskforce zu ermöglichen. Eine Taskforce hilft auch bei der Priorisierung der Ausgaben. Denn KI-Zugänge nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen und auf bessere Prozesse zu hoffen kann ein teures Vergnügen sein. ChatGPT, das bekannteste System zur Generierung von Textinhalten, kostet in der Bezahlversion pro Nutzer pro Monat 20 Euro. Bei nur 100 Zugängen also ein Kostenpunkt von fast einer Viertelmillion Euro im Jahr.
„Am Anfang steht auch hier die Frage: Für wen macht das Sinn? Zum Ausprobieren reichen oft die kostenlosen Pakete, und je nach Bereich kann es unterschiedliche Lösungen geben“, sagt Polomski. Für ihn ist jedoch klar: „Wenn sich die 20 Euro im Monat nicht lohnen, nutzt man das Tool noch nicht richtig. Wer die Personalkosten dagegen aufrechnet, muss kaum Stunden sparen, um einen Mehrwert zu haben.“ Damit dieser Mehrwert auch im Mittelstand ankommt, haben die beiden letzten Bundesregierungen erhebliche finanzielle Zusagen gemacht und in einer nationalen KI-Strategie zusätzlich zu den bisherigen Mitteln 5,5 Milliarden Euro für den Zeitraum 2025 bis 2030 bereitgestellt. Abrufbar ist das Geld je nach Unternehmensgröße und -ausrichtung über verschiedene Förderprogramme.
So stehen die Zeichen gut, dass Künstliche Intelligenz neben der Kaffeebranche bald auch in viele weitere mehr oder weniger unerwartete Bereiche des Mittelstands einzieht. Apropos Kaffee: Neue Zukunftsideen rund um Künstliche Intelligenz und das beliebte Heißgetränk hat Melitta übrigens auch schon. So kann sich Paul Töws vorstellen, dass Kunden in nicht allzu ferner Zukunft mit ihrer Kaffeemaschine über ihre Getränkebestellung sprechen und diese gleich zubereitet bekommen. In Duisburg funktioniert das heute noch klassisch bei der Kassiererin: „Einen großen Kaffee zum Mitnehmen bitte!“
Künstliche Intelligenz: Diese Begriffe sollten Sie kennen
Künstliche Intelligenz (KI): Ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens befasst. Die Technologie ermöglicht es Maschinen, Aufgaben zu lösen, die üblicherweise menschliche Intelligenz erfordern, wie Lernen, Planen und das Verstehen von Sprache.
Maschinelles Lernen (Machine Learning, ML): Eine Technologie für Systeme, die nicht programmiert werden, sondern aus Beispieldaten lernen und anschließend auf neue, unbekannte Daten angewendet werden können.
Generative KI: KI-Modelle, die neue Daten erzeugen, die ähnliche statistische Eigenschaften wie der Trainingsdatensatz haben. Unterschiedliche Modelle können Text, Bilder oder Videos kreieren.
Große Sprachmodelle (Large Language Models, LLM): Modelle, die komplexe Aufgaben der natürlichen Sprachverarbeitung wie Textgenerierung oder Übersetzung beherrschen. Der bekannte Chatbot ChatGPT basiert auf einem solchen Modell.
Big Data: Bezeichnet extrem große Datenmengen, die aufgrund ihrer Komplexität, Geschwindigkeit und ihres Volumens mit herkömmlichen Methoden nur schwer zu verarbeiten sind. Sie bilden die Grundlage für das Training moderner KI-Systeme.
Autonome Systeme / KI-Agenten (Agentic AI): Systeme, die ohne Steuerung durch den Menschen und ohne vorprogrammierte Abläufe selbstständig agieren und reagieren. Sie sind in der Lage, eigenständig Entscheidungen zu treffen und Handlungen auszuführen, um ihre Ziele zu erreichen.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Calvin Major
Bildnachweis: Getty Images