Warum Wertschätzung erfolgreich macht

Hohe Krankenstände sind längst mehr als ein medizinisches Problem – sie sind eine Frage der Führung. Wer als Firma auf flexible Strukturen und präventives Gesundheitsmanagement setzt, kann Ausfälle senken und die Motivation der Belegschaft steigern.

Die Zahl der Krankmeldungen in Deutschland war 2023 so hoch wie nie: Die gesetzlichen Krankenkassen meldeten rund 800 Millionen Fehltage, die einen volkswirtschaftlichen Schaden von mehr als 130 Milliarden Euro verursachten. Besonders alarmierend: Psychische Erkrankungen wie Burn-out, Depressionen oder Erschöpfungssyndrome nehmen stark zu. Hinter der nüchternen Statistik steht ein ernster Trend: Verdichtung der Arbeit, Fachkräftemangel, ständige Erreichbarkeit und wirtschaftliche Unsicherheit treiben die Fehlzeiten in neue Höhen. Die bevorstehende Grippesaison könnte die ohnehin hohen Krankenstände weiter verschärfen.
 

Ursachen? Der Druck wächst

Die Arbeitswelt verändert sich rasant – und mit ihr die Belastungen. Unternehmen erwarten immer mehr Leistung von immer weniger Köpfen. Professor Volker Nürnberg, BWL-Professor und Head of Healthcare BearingPoint, spricht von einer „Teufelsspirale“: Weniger Personal führt zu mehr Überstunden, diese wiederum zu mehr Krankheiten – was den Personalmangel weiter verschärft.

Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben. „Unrealistische Workloads kann niemand wegmeditieren“, warnt Nora Dietrich, psychologische Psychotherapeutin und Expertin für Mental Health at Work. Zwar habe New Work das Potenzial, Beschäftigte zu entlasten, doch die Realität sei oft eine „interessierte Selbstgefährdung“ – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter opfern ihre Gesundheit im Glauben, für das große Ganze arbeiten zu müssen.

Die hohen Krankenstände sind längst nicht nur ein Gesundheitsthema – sie bedrohen auch die Wettbewerbsfähigkeit. Jeder Ausfalltag kostet Unternehmen pro Person im Schnitt rund 400 Euro. Werden die Produktivitätsverluste und Ersatzkosten hinzugerechnet, summiert sich der Schaden laut Gesundheitsökonom Nürnberg hierzulande insgesamt auf mindestens 250 Milliarden Euro jährlich.
 

Prävention statt Reparatur

Trotz dieser Dimensionen reagieren viele Unternehmen noch immer zu spät. „In Deutschland gilt die Devise: Erst reparieren, wenn die Krankheit da ist“, beobachtet Nürnberg. Doch Prävention sei wirtschaftlich besser: Ein verhinderter Bandscheibenvorfall spare langfristig mehr, als ihn später operativ zu behandeln. Ähnliches gilt für psychische Erkrankungen: Wer einmal ausfällt, hat ein hohes Risiko für einen späteren Rückfall.

„Krankenstand ist selten die Ursache, sondern meist das Symptom“, sagt Caroline von Kretschmann, geschäftsführende Gesellschafterin des Europäischen Hofs Heidelberg. Für die Hotel-Chefin ist klar: Wenn Menschen krank werden, weil Strukturen oder Management versagen, ist das eine ureigene Führungsaufgabe. Führungskräfte können zwar niemanden gesund machen, „aber sie gestalten Rahmenbedingungen, in denen Mitarbeitende gesund bleiben können“.

Julia Schorlemmer, Professorin für Gesundheitsmanagement und Gesundheitspsychologie an der FOM Hochschule Berlin, plädiert dafür, psychische Erkrankungen differenzierter zu betrachten. Viele Betroffene – etwa mit leichten depressiven Phasen – könnten in Teilzeit weiterarbeiten. Das würde die Leistungsfähigkeit erhalten, den Gesundheitszustand stabilisieren und Totalausfälle verhindern – vorausgesetzt, die jeweiligen Aufgaben werden entsprechend reduziert. Und: Autoritäre Chefs erhöhen die Ausfälle, kooperative Führung dagegen hält Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesund. Deshalb müsse „gesunde Führung“ systematisch geschult werden – bislang ein blinder Fleck in vielen Betrieben.

Neben der Prävention braucht es vor allem Flexibilität als „gesundheitsfördernde Maßnahme“: So können etwa bei Angsterkrankungen zusätzliche Homeoffice-Tage oder ein Schichtwechsel helfen, die Belastung zu senken und Rückfälle zu vermeiden. Entscheidend sind eine respektvolle Haltung gegenüber psychischen Problemen und der Abschied vom althergebrachten Dogma „40 Stunden oder gar nicht“, sagt Schorlemmer.

New-Work-Expertin Nora Dietrich fügt hinzu: „Gesunde Führung bedeutet vor allem, dass ein Umfeld geschaffen wird, in dem Menschen ihre bestmögliche Arbeit machen können. Dazu gehört emotionale Intelligenz – also die Fähigkeit zu erkennen, wo Belastungsfaktoren im Team liegen.“

Hotel-Geschäftsführerin von Kretschmann ergänzt: „Stress entsteht meist dort, wo Erwartungen und Ressourcen auseinanderklaffen.“ Im Europäischen Hof wird gegengesteuert, indem beispielsweise Reservierungssysteme geschlossen werden, wenn viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen. So soll die übrige Belegschaft vor Überlastung geschützt werden. 

Welchen Stellenwert gute Führung und emotionale Bindung der Beschäftigten an ihren Arbeitgeber haben können, zeigt der „AOK-Fehlzeiten-Report 2024“: Laut Studie gibt es bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit hoher emotionaler Bindung an ihr Unternehmen deutlich weniger Krankschreibungen. Wer sich wertgeschätzt fühlt und Vertrauen in sein Unternehmen hat, ist seltener krank. Für Unternehmen ist emotionale Bindung damit ein entscheidender und häufig noch unterschätzter Gesundheits- und Wirtschaftsfaktor. Nora Dietrich folgert daraus: „Investitionen in Menschen zahlen sich dreifach aus – für Gesundheit, Motivation und Unternehmenserfolg“, sagt sie.
 

Belastungen frühzeitig erkennen

Und so gehen moderne betriebliche Gesundheitskonzepte längst über Gymnastikkurse oder üppige Obstkörbe hinaus. Sie verknüpfen Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und psychologische Betreuung. Entscheidend ist, seelische und körperliche Belastungen früh zu erkennen und niedrigschwellige Angebote zu schaffen – von telefonischen Helplines bis zu digitalen Plattformen.

Wie moderne Prävention aussehen kann, zeigt das Start-up Bloom. Das Unternehmen bietet eine All-in-one-Lösung, die gesetzliche Vorgaben erfüllt und zugleich gesundheitliche Fortschritte messbar macht. CEO und Co-Gründerin Viktoria Lindner betont, dass die Bloom-Software neben klassischem Arbeitsschutz auch auf Prävention setzt – etwa durch Angebote zu regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen und zur mentalen Gesundheit oder ein strukturiertes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM).

Die Mental-Health-Plattform von Bloom bietet zudem Videokurse, Online-Workshops und Chats mit Psychologen an. Die Nutzung ist niedrigschwellig und anonym – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können über die App jederzeit Unterstützung suchen. Ein entscheidender Aspekt bei Bloom ist der Datenschutz: Einzelpersonen werden nicht überwacht, sensible Diagnosen bleiben tabu. Lindner: „HR-Abteilungen erhalten nur die Informationen, dass eine Vorsorgeuntersuchung stattgefunden hat, und nicht deren Ergebnis. Zudem läuft die Software ausschließlich auf deutschen Servern.“ Diese „roten Linien“ seien auch Basis für die positive Zusammenarbeit mit Betriebsräten und Mitarbeitervertretungen, die das Angebot unterstützen.
 

Das Ziel: langfristig Resilienz aufbauen

Ein Beispiel für die erfolgreiche Nutzung der Bloom-Software liefert der private Hamburger Kita-Träger KMK Kinderzimmer mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Mentale Gesundheit in Kitas darf kein Luxus sein, sondern ist Grundvoraussetzung für Qualität und Verlässlichkeit in der Betreuung“, sagt Helene Braasch, Head of People Development. Das Unternehmen nutzt die Bloom-Plattform seit 2024, um sowohl in akuten Krisen zu unterstützen als auch langfristig Resilienz im Team aufzubauen. Besonders geschätzt werden Einzelsitzungen, die vertraulich und anonym via Bloom angeboten werden. „Schon nach wenigen Monaten haben wir mehr Offenheit im Umgang mit Be- und Überlastungen erlebt. Die Mitarbeitenden fühlen sich gesehen und ernst genommen“, berichtet Braasch. Rund 30 bis 40 Prozent der Belegschaft haben sich bereits auf der Bloom-Plattform registriert.

Auch im Europäischen Hof setzt Geschäftsführerin von Kretschmann auf niedrigschwellige Angebote: flexible Pausen, Vier-Tage-Woche, Wunschdienstpläne und offene Gespräche. „Wichtig ist Freiwilligkeit. Zwang macht eher krank.Angebote wirken vor allem dann, wenn sie als Unterstützung erlebt werden und nicht als Kontrolle“, erklärt von Kretschmann. Absolute Vertraulichkeit und eine Kultur, in der auch psychische Probleme ohne Tabu angesprochen werden können, seien entscheidend für ein wirksames betriebliches Gesundheitsmanagement. „Der größte Hebel ist eine Kultur der Wertschätzung“, sagt von Kretschmann. 

Gesundheit im Betrieb – Tipps für Unternehmen

Firmenfitness fördern: Mit Anbietern wie Urban Sports Club, Hansefit oder ClassPass trainieren Beschäftigte flexibel – vom Schwimmen bis zum Yoga. Vorteil: die Angebote sind ortsunabhängig nutzbar – auch auf Dienstreisen. Arbeitgeber können bis zu 50 Euro pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter steuerfrei bezuschussen.

Digitale Angebote nutzen: Apps wie rebirth:active setzen auf kleine Routinen („dreimal Gemüse am Tag“) und bieten Coachings sowie Expertenchats. Niedrigschwellig, datenschutzkonform und ideal für Schichtdienste.

Weitere Empfehlungen:

  • Psychische Belastungen früh erkennen, etwa durch Team-Check-ins.
  • Stufenweise Wiedereingliederung mit echter Aufgabenreduktion.
  • Individuelle Lösungen wie Remote-Tage oder flexible Schichtmodelle.
  • Führungskräfte in gesunder, empathischer Führung schulen.
  • Prävention von den Azubis bis zum Management strategisch verankern.
  • Niedrigschwellige Zugänge zu Beratung, Vorsorge und Impfungen möglich machen.


Quellen: eigene Recherche, AOK, Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag, Audi BKK


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Gerhard Walter
Bildnachweis: Getty Images



Creditreform in Mecklenburg-Vorpommern