Creditreform Magazin

US-Handel: Berechtigtes Hoffen auf Joe Biden?

Mehr Planbarkeit, wieder bessere Handelsbeziehungen, mehr Klimaschutz. Mit Joe Biden regiert nun ein US-Präsident im Weißen Haus, auf dem große Hoffnungen ruhen. Auch die der deutschen Wirtschaft. Wie berechtigt sind sie?

Seit seiner Vereidigung am 20. Januar ist es offiziell. Joe Biden ist für die kommenden vier Jahre der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er tritt ein Amt an, das schon in normalen Zeiten herausfordernd ist. In der Nachfolge auf Donald Trump mitten in der Corona-Pandemie lasten nochmals schwierigere Aufgaben auf Bidens Schultern. Und große Hoffnungen. Nicht nur die seiner Wähler.

Unternehmer, Politiker, Ökonomen in Deutschland und Europa erwarten von dem 78-Jährigen wieder mehr Planungs- und Investitionssicherheit in der Wirtschaft, den Abbau von Handelsschranken und Zöllen und nicht zuletzt ein entschlosseneres Vorgehen gegen das in den USA besonders stark grassierende Coronavirus. „Welche Erleichterung“, sagte etwa Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des Ifo- Instituts für Wirtschaftsforschung, kurz nach der Wahl dem Handelsblatt.

Die Bilanz von vier Jahren US-Außenwirtschaftspolitik unter Donald Trump fällt auf den ersten Blick ernüchternd aus. Er trug das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zu Grabe, verhängte Strafzölle auf EU-Importe wie Aluminium und Stahl und drohte mit immer wieder neuen Beschränkungen. Und doch blieb vieles beim Alten. Die USA sind für deutsche Unternehmen noch immer ein wichtiger Markt. 2019 exportierten sie Waren und Dienstleistungen im Wert von fast 119 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten, gegenüber Importen im Wert von 71,4 Milliarden Euro. Besonders pharmazeutische Erzeugnisse sowie Fahrzeuge, Fahrzeugteile und Maschinen werden jenseits des Atlantiks nachgefragt.

Zudem sind Deutschland und die USA auch bei den Investitionen noch immer stark verbandelt. Laut Zahlen der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Washington konnten sie in den USA einen Investitionsbestand von mehr als 470 Milliarden Dollar aufbauen. In keinem anderen Land der Welt haben deutsche Unternehmen, darunter auch viele Mittelständler, so viel investiert. Das Land sei groß und innovativ und die Verbraucher Neuem gegenüber grundsätzlich sehr aufgeschlossen, so die Einschätzung der Experten.

USA: Einfuhrzölle schmerzten

„Der Absatzmarkt ist nach wie vor riesig, mit unendlichen Möglichkeiten“, sagt auch Gunther Wobser. Der Geschäftsführer der Lauda Dr. R. Wobser GmbH & Co. KG hat von 2017 bis 2018 mit seiner Familie ein Jahr lang in den USA gelebt. Lauda, ein mittelständischer Spezialist für Temperiergeräte und -systeme, hatte ebenfalls ein kleines Unternehmen in Kalifornien zugekauft. Um es zu integrieren und die Innovationskultur des Silicon Valley besser kennenzulernen, wollte Wobser selbst vor Ort sein.


„Der Absatzmarkt ist nach wie vor riesig. Wir konnten in den vergangenen Jahren deutliche Umsatzzuwächse verzeichnen.“
Gunther Wobser, Lauda Dr. R. Wobser GmbH & Co. KG


Dabei bekam er auch die zwei Seiten der jüngeren US-Politik hautnah zu spüren. „Wir konnten in den vergangenen Jahren deutliche Umsatzzuwächse verzeichnen“, sagt der 50-Jährige. „Vor allem getrieben durch die in den USA starke Bioproduktion“. Auf der anderen Seite schmerzen ihn die Zölle, etwa bei der Einfuhr von Lauda-Geräten aus der Produktion in China „und umgekehrt beim Einkauf von chinesischen Komponenten für unsere in den USA hergestellten, weltweit vertriebenen Temperiergeräte“, sagt er.

An eine Kehrtwende dieser Politik glauben Experten auch unter Joe Biden nicht. Im Wahlkampf konterte Biden den Trump-Slogan „America First“ etwa mit seiner eigenen Version „Buy American“. So sollen Aufträge der US-Regierung in erster Linie an US-Firmen gehen. Auf der anderen Seite können Unternehmen, die in den USA investieren, mit Steuererleichterungen rechnen. Gemeinhin gelten die Demokraten in den USA als noch überzeugtere Protektionisten als die Republikaner. „Ich hoffe auf ein sorgfältigeres Abwägen“, sagt Gunther Wobser. „Fast alle wissen, dass sich Zölle und Protektionismus mittel- und langfristig negativ auswirken“, hofft er auf ein Ende der bisherigen Eskalations- und Konfrontationspolitik.

Bidens Wahlprogramm: Billionen für den Klimaschutz

Doch nicht nur auf einen veränderten Ton können deutsche Unternehmen im US-Geschäft hoffen. Biden benennt in seinem Wahlprogramm konkrete Bereiche, die Geschäftschancen für deutsche Unternehmen bedeuten. So soll die US-Infrastruktur mit Investitionen in Billionenhöhe auf Vordermann gebracht werden. „Da gibt es einen großen Nachholbedarf“, sagt Gerhard Schneiders, Senior Principal bei Rödl & Partner in Atlanta. Die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft betreut an acht Standorten in den USA rund 2.000 deutsche Unternehmen, darunter vor allem Mittelständler und Familienunternehmen. „Trump hat zwar auch immer Infrastrukturinvestitionen versprochen, aber leider nicht wirklich geliefert“, sagt Schneiders.

Zudem bedeuten Ausgaben für die Infrastruktur künftig nicht nur Projekte im Straßen- und Brückenbau. Joe Biden will die grüne Infrastruktur massiv fördern und ausbauen. Für das Jahr 2050 strebt er die CO2-Neutralität der USA an. „Hier gibt es mit Blick auf die Versäumnisse der vergangenen vier Jahre viel nachzuholen“, weiß Schneiders. „Im Bereich der erneuerbaren Energien habe ich jetzt schon eine Reihe von Anfragen von Unternehmen, die nun große Marktchancen sehen und sofort herkommen möchten, sobald sie können.“

Biden als Krisenmanager gefragt

Zustände wie in den vergangenen Monaten, als deutsche Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten hatten, Fachkräftevisa für die USA zu erhalten, werden schon bald der Vergangenheit angehören. Schneiders, der seit 16 Jahren in den USA lebt, erwartet, dass diese Beschränkungen schnell wieder fallen: „Ich bin insgesamt – nicht nur wegen unseres eigenen Geschäfts – sehr zuversichtlich, dass sich nun schnell etwas ändern wird“, sagt er. „Der einzige Wermutstropfen ist die anhaltende Corona-Pandemie. Wäre sie nicht, würde ich sogar sagen, dass wir einen Boom in den USA bekommen, insbesondere wenn die zu erwartenden Steuererhöhungen erst verzögert eingeführt werden.“ Zwar zeige die US-Wirtschaft Erholungsanzeichen, so die Delegation der Deutschen Wirtschaft in Washington, doch steigende Corona-Infektionszahlen und damit verbundene Einschränkungen der Geschäftstätigkeit verlangsamen den Fortschritt. Immerhin: Das verarbeitende Gewerbe in den USA erholt sich langsam und wuchs im Dezember 2020 den achten Monat in Folge – trotz Problemen in den Lieferketten, Betriebsstillständen und Covid-Ausbrüchen unter den Mitarbeitern.

Doch die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen wird Joe Biden in den ersten Wochen und Monaten seiner Präsidentschaft massiv fordern – und möglicherweise andere Vorhaben in den Hintergrund rücken lassen. Gut auch für Unternehmen. Eine Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zeigt: Am hinderlichsten fürs Geschäft seien die Reiseeinschränkungen. Auch Gunther Wobser hofft auf ein gutes Krisenmanagement der neuen US-Regierung: „Ich selbst hatte mein Fünfjahres-Visum nicht verlängert, weil ich sowieso nicht reisen konnte“, sagt der Lauda-Geschäftsführer. „Doch jetzt gehe ich die Sache wieder an, denn ich vermisse dieses trotz aller Unkenrufe großartige Land schon sehr.“


Für diese Wirtschaftspolitik steht Joe Biden


Corona
Zur Bekämpfung der Corona-Krise strebt Biden ein weiteres großes Konjunkturpaket an – zusätzlich zum Dezember-Paket über rund 900 Milliarden Euro.

Steuern
Biden plant große Ausgaben, die natürlich finanziert werden müssen. Unter anderem sollen die Unternehmenssteuer und der Spitzensatz der Einkommensteuer steigen.
 
Zölle
Importaufschläge auf bestimmte EU-Güter sollen abgeschafft werden. Ein großes neues transatlantisches Handelsabkommen oder eine Wiederbelebung von TTIP stehen derzeit nicht zur Debatte.

Klimaschutz
Biden setzt sich für eine Rückkehr zum ­Pariser Klimaabkommen ein. Erklärte Absicht: Bis 2050 sollen die USA klimaneutral sein, zwei Billionen Dollar will er in erneuerbare Energien investieren.

Infrastruktur
Innerhalb der kommenden zehn Jahre will Biden in die Erneuerung der US-amerikanischen Infrastruktur investieren – unter anderem in die Instandsetzung von Autobahnen, Straßen, Brücken und Flughäfen sowie in den Ausbau von Bahn- und Breitbandnetz.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke