Creditreform Magazin

Corona-Krise: Führung unter Hochdruck

In schwierigen Situationen reicht es nicht, auf formale Hierarchie zu setzen. Erfolgreich führen kann nur, wer Kompetenz beweist und Vertrauen gewinnt.

Corona brachte Smart Living an den Start. Die Ingenieure der Ingolstädter Automotive-Firma Sparks hatten nicht genug Steuergerätesoftware von den Autobauern zum Testen erhalten. Also spielten sie in der unfreiwillig freien Zeit Ideen zum digitalen Wohnen durch, probierten aus, was sich alles mit Siri fernsteuern lässt. „So purzelte in der Mittagspause ein neues Geschäftsfeld heraus“, sagt Sarah Schwaiger, „eines, das unabhängig ist von der Autoindustrie.“ Die Sparks-Geschäftsführerin ist für die IT, für Personal und Finanzen verantwortlich und steht für rasche Entscheidungen – in unaufgeregten Zeiten und erst recht, wenn ein Virus wie SARS-CoV-2 Mitarbeiter und Kunden behindert.

„Wir sind im Vorteil, weil wir als junges Unternehmen vom Start weg digitalisiert arbeiten Mobile-Office normal ist“, erklärt die Informatikerin. Die Leiter an den zwei Standorten, dem baden-württembergischen Heimsheim mit dem Hauptkunden Porsche und dem bayerischen Gründungsstandort Ingolstadt nahe beim Kunden Audi, kommunizieren jetzt täglich 30 Minuten online. Präsenzsitzungen hatten die Führungskräfte ohnehin längst ersetzt durch wöchentliche digitale Meetings mit knapper Agenda. „Jetzt gucken wir von Tag zu Tag“, sagt Schwaiger. Aufgaben werden umverteilt, Kurzarbeit wird gestaffelt gefahren und das Kurzarbeitergeld aufgestockt. Über regelmäßige Podcasts und einen Corona-Liveticker informieren sich die 150 Mitarbeiter, ganz gleich, wo ihr Laptop gerade steht.

Glaubwürdiger Führungsstil

Diese Beweglichkeit, Entwicklungs- und Entscheidungsfreude sind genau die Themen, mit denen sich die Autoren Ingo Hamm und Wolf-Bertram von Bismarck in ihrem Buch „True Leadership“ auseinandergesetzt haben. Sie suchten Beispiele für ihre These, dass Führen in Extremsituationen nur mit einem echten, einem glaubwürdigen Führungsstil gelingt. Dafür sprachen sie mit zwölf Menschen, die ihre Exzellenz in extremen Lagen bewiesen haben und von denen jeder für seinen Chefalltag lernen kann, sich selbst und damit andere erfolgreich zu führen.

Zu den Interviewten gehören Promis wie Polarforscher Arved Fuchs und Extrembergsteiger Reinhold Messner, die Expeditionen leiten. Aber auch Leitende in den Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen, der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger und dem Technischen Hilfswerk (THW) beschreiben ihre Arbeit in Notsituationen. Wie Inga-Mirjana Genz. Sie koordiniert ehrenamtlich regelmäßig Großeinsätze im Führungsteam des Bereitschaftsraums THW Nord. Die Gymnasiallehrerin unterstützte etwa 16 Tage am Stück die Feuerwehr beim Löschen eines riesigen Torfbrandes, den die Bundeswehr bei Übungen auf einem Gelände im niedersächsischen Meppen 2018 verursachte. Die 33-Jährige wird für solche Katastrophen in ruhigen Zeiten geschult: Klarheit, Struktur und Menschenkenntnis entscheiden über den Einsatzerfolg. Den Interviewer von Bismarck beeindruckte vor allem, dass „die THW-Ehrenamtlichen physisch üben, ihre Einsatzpläne ausprobieren und dass die Leiter mal vorne an der Linie stehen und dann wieder hinten in der Logistik“. Denn die Redensart „Übung macht den Meister“ gilt für den Bereitschaftspolizisten, den Piloten, die Skipperin – wie auch für den Manager, dem Mitarbeiter folgen sollen. „Der Chef muss das Handwerk beherrschen.“ Und zwar ganz praktisch, sagt Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm. „Fachkompetenz wächst aus Wissen und Erfahrung.“

 „Übung macht den Meister“ – auch bei Managern

Bei Frank Schwarz zweifelt niemand daran, dass der Gastro-Unternehmer Profi ist. Der Geschäftsführer der Frank Schwarz Gastro Group (FSGG) in Duisburg ist gelernter Fleischermeister und Koch. 1989 machte er sich mit seinem ersten Partyservice selbstständig. Heute plant der 55-Jährige das Catering vom Messe-Event bis zur privaten Feier, ein silberglänzender Genuss-Trailer fährt vor und die Kochschule auf dem Großmarkt wird Erlebnisort für Freunde oder Firmenteams. Das Familienunternehmen floriert, die Ehefrau Christine und die Kinder Sven und Gina sind dabei – auch, als das Coronavirus alle Aktivitäten auf null setzte. Kurzarbeit für die 85 Mitarbeiter, denen die FSGG das Gehalt aufstockt, Schnellkredite, schlaflose Nächte, davon erzählt Frank Schwarz: „Catering, Messe, Gastro, Eventgeschäft – da blieb nichts mehr.“ Und vieles kommt nicht wieder, denn „Hybridmessen brauchen keinen Caterer“. Aber der Mann, der seit 40 Jahren an der feinen Kost arbeitet, schickt sein Credo sofort hinterher: „Ich bin Unternehmer und kein Unterlasser.“


„Ich bin Unternehmer und kein Unterlasser.“
Frank Schwarz, FSGG


Genussboxen für die Lieferung außer Haus mit leichtem Fingerfood, aber auch mit der schweren gebratenen Freilandgans waren jüngst im November bei der erneuten Schließung stationärer Gastronomie ein Geschäftsfeld, das beackert werden konnte. Kunden wie Kitas, Schulen und Familien wurden weiter bekocht. Aber vor allem: Frank Schwarz investiert bei einem Partner in Oldenburg in eine patentierte Verpackungsmaschine für Buffetplatten. Der Clou: Die Folien legen sich konturenfixiert über die köstlichen Happen, die unverrutscht und nicht zerdrückt beim Kunden ankommen und länger haltbar bleiben. Mitten im Corona-Tief plant Frank Schwarz die perfekte Verpackung, steckt 600.000 bis 750.000 Euro in das Projekt und will im März 2021 mit dem neuen Geschäftsfeld starten. „Wir gehen mit unserer Food-Produktion in den Onlineversand“, sagt der Gastronom. „Deshalb ist es ein Glück, dass wir die Gewinne im Unternehmen gelassen haben.“

Was das Automotive-Startup Sparks und den Genussunternehmer Schwarz eint, sind Kreativität, Kompetenz und Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten. So entsteht Höchstleistung unter Hochdruck. Genau das also, was die Buchautoren Hamm und von Bismarck für die Basis halten, auf der Manager ihre Ziele ansteuern sollten.


Das Einmaleins der Entscheidung

  • Fachkompetenz und glaubwürdige fachliche Erfahrung legitimieren Entscheidungen.
  • Führung ist situationsspezifisch. Jeder Entscheider benötigt mehr als einen Führungsstil – unter (Zeit-)Druck wird weniger diskutiert als in ruhigem Fahrwasser. Dennoch wird der Beschluss im Rückblick erklärt und legitimiert.
  • Ob die Mitarbeitenden der Führungskraft folgen, entscheiden sie selbst. Der Boykott hat viele Facetten. Vertrauen in Führung funktioniert bottom-up.
  • Zu viel Nähe unterminiert die Qualität von Entscheidungen. Der Vorgesetzte ist kein Kumpel. Er ist nahbar und unprätentiös, wahrt aber professionelle Distanz. Das hilft vor allem in Krisensituationen.
  • Risikoszenarien muss man üben, Situationen simulieren. Planung alleine reicht nicht. Krisenpläne gehören in die Köpfe, nicht nur in die Notfall-Schublade.
  • Es ist das Ziel, Fehler zu vermeiden. Wenn sie dennoch passieren, ist nicht die Schuldfrage entscheidend, sondern die Lösungssuche.

 

Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Ruth Lemmer