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Armut und Überschuldung

Der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes für 2021 liegt nun aktuell vor. Der Verband stellt fest, dass die Armutsquote 2021 mit einem Wert von 16,6 Prozent der Bevölkerung gegenüber dem ersten Pandemie-Jahr einen neuen Höchststand erreicht hat. In Zahlen bedeutet diese Quote, dass 13,8 Millionen Menschen als arm bezeichnet werden müssen. Das sind 600.000 Betroffene mehr als vor der Pandemie.

Der Wohlfahrtsverband bezeichnet nach einer gängigen Definition als arm, wer unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. An dieser Abgrenzung ist viel Kritik geübt worden. Tatsächlich liegt ihr ein Konzept relativer Einkommensarmut zugrunde. Andere Definitionen gehen von den finanziellen Möglichkeiten der Menschen aus. Sie Fragen unter anderem danach, ob Haushalte sich den Ersatz etwa einer Waschmaschine leisten können oder einen kurzen Urlaub. Wichtig ist, zu erkennen, dass unterschiedlich wohlhabende Gesellschaften höchst unterschiedliche Formen der Armut kennen. So mögen in gesamtwirtschaftlich schwachen Entwicklungsländern nur die Menschen als arm gelten, die hungern und nicht ärztlich versorgt sind. Deutschland, nach der Definition des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, bezieht auch den gesellschaftlichen Ausschluss und die mangelnde soziale Teilhabe durch ein geringes Einkommen ein und setzt nicht erst bei einer elenden Lage eines Betroffenen an. Der Bericht spricht davon, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse auch in ein und derselben Gesellschaft verändern, so dass die Einkommensschwäche zu Barrieren der Teilhabe führt, wenn der geschaffene wirtschaftliche Wohlstand nicht allen gleichermaßen zur Verfügung steht.

Die Rolle der Pandemie

Die sogenannten „Armutsquoten 2021“ sind die Fortsetzung einer Entwicklung, die bereits mit einem Aufwärtstrend 2006 begonnen hat. Mit dem konjunkturellen Einbruch durch die Corona-Pandemie kamen die Folgen erst 2021, also nicht gleich im ersten Jahr, zum Tragen. Wie sich der Lockdown und die wirtschaftlichen Engpässe auf die Einkommenssituation ausgewirkt haben, zeigt insbesondere die Situation der Selbstständigen. Auffällig ist, dass „unter den Erwerbstätigen vergleichsweise mehr Selbstständige als abhängig Beschäftigte unter die Armutsgrenze gerutscht sind“. Insgesamt aber entspricht das soziodemografische Profil der Armut in Deutschland in etwa dem der Vorjahre. Die Haushaltsgröße spielt eine große Rolle: Sind drei oder mehr Kinder vorhanden oder handelt es sich auf der anderen Seite um Alleinerziehende, so findet sich Armut in 31,6 bzw. 41,6 Prozent der Haushaltstypen. Erwerbslose und Menschen mit einem niedrigen Bildungsniveau sind ebenfalls besonders von Armut betroffen. Betroffen sind auch im starken Maße Mitbürger mit Migrationshintergrund (28,1 Prozent) sowie Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,3 Prozent).

Nach den Analysen des Armutsberichts sind unter regionalen Gesichtspunkten die Bürger in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Bremen überdurchschnittlich stark von Armut betroffen. Dagegen liegen die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg und Schleswig-Holstein positiv über dem Durchschnitt. Als „armutspolitisches Problemgebiet Nr.1“ wird das Ruhrgebiet bezeichnet. Der Blick auf die Regionen erlaubt einen Vergleich mit dem Creditreform SchuldnerAtlas. So liegen die Überschuldungsquoten in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Sachsen-Anhalt und Bremen mit über 10 Prozent über dem Durchschnitt aller Bundesländer. Und auf der anderen Seite stehen Bayern und Baden-Württemberg, die mit 6 bzw. knapp 7 Prozent Überschuldungsquote positiv hervorstechen. Vergleichbar sind die Auswertungen für Überschuldung und Armut gleichermaßen, wenn es um die betroffenen Städte geht: Auch im SchuldnerAtlas sind besonders Gelsenkirchen, Herne, Duisburg und Hagen mit zweistelligen Quoten der Überschuldung zu finden. Weitere Hotspots finden sich in Pirmasens, Neumünster oder Wilhelmshaven.

Beide Ansätze sind wichtig

Es ergeben sich auch markante Unterschiede zwischen beiden Untersuchungen. Während der Armutsbericht einerseits eine starke wirtschaftliche Verbesserung in den letzten Jahren seit 2006 auf der Basis des BIP pro Einwohner feststellt und damit einhergehend eine ständig steigende Armutsquote, so ist andererseits im SchuldnerAtlas eine Abnahme der Überschuldungsquote im selben Zeitraum von 10,68 (2006) auf 8,48 Prozent (2022) festzuhalten.

Entscheidend für die Unterschiede sind die verschiedenen Definitionen und die daraus folgende Begrifflichkeit. So spricht der SchuldnerAtlas von Überschuldung, wenn der Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen längeren Zeitraum nicht begleichen kann und ihm zur Deckung seines Lebensunterhalts weder Vermögen noch weitere Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen. In Kürze: Die zu leistenden Gesamtausgaben sind höher als die Einnahmen. So sind tatsächlich viele Überschuldete nicht arm. Sie sind nur in einer wirtschaftlichen Situation, in der sie sich Forderungen zur Lebenshaltung gegenübersehen, die sie nicht begleichen können (oder wollen). Diese Forderungen können etwa auch aus einem Lebensstil erwachsen sein, der mit der Erwerbstätigkeit nicht Schritt hält.

Beide Definitionen, die der Armut auf der einen Seite und die der Überschuldung auf der anderen Seite sind auseinanderzuhalten, geben aber beide für sich unter jeweils eigener Perspektive einen aufschlussreichen Blick auf die prekäre wirtschaftliche Situation der Menschen in Deutschland.

Quelle: Paritätischer Armutsbericht 2022, Creditreform SchuldnerAtlas 2022