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Teuerung wird zum Trauma

Lieber Leser, es ist guter Brauch, zum Ende eines Jahres einen Blick voraus zu werfen. Es geht darum, auf der Basis des noch laufenden Jahres, aber auch der Zeiten davor, abzuschätzen, was das neue Jahr bringen wird.

Am Ende des Jahres 2021 dominierte ein wiedergewonnener Optimismus. Der stützte sich darauf, dass die Corona-Pandemie, wenn nicht vorbei, so doch im Griff war. Ein Ende der Lockdown-Maßnahmen schien in Sicht, jetzt galt es, konjunkturell die Scharte durch den wirtschaftlichen Einbruch auszuwetzen. Es kam bis zum Sommer zu den vielberufenen Corona-Nachholeffekten. Hohe Auftragsbestände waren abzuarbeiten, der Arbeitsmarkt war gut durch die Krise gekommen und der Fachkräfte- sowie Personalmangel wurde deutlich spürbar. Und als sich dann auch noch die gestörten Lieferketten wieder stabilisierten und die Transportwege sich öffneten, da schien das Gröbste überstanden zu sein.

Granaten, Gas und Inflation

Aber dann griff Ende Februar Russland die Ukraine an und die wirtschaftliche Lage, besonders aber die Perspektiven, verschlechterten sich rapide. Zwar lag das gesamtwirtschaftliche Wachstum im dritten Quartal (wider Erwarten) noch bei plus 0,4 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal, doch wagen es kein Forschungsinstitut und auch kein Politiker aus diesem dünnen Plus den Schluss zu ziehen, dass eine Rezession nicht ins Haus steht. Im Gegenteil: Die Europäische Kommission geht für Deutschland im nächsten Jahr von einer Rezession in der Größe von minus 0,6 Prozent aus. Und dies, obwohl die anderen Länder nach Ansicht der Kommission doch immerhin ein kleines Wachstum erhoffen können. Wer Prognosen zur weiteren Entwicklung der Konjunktur abgeben will, der muss vom Krieg in Osteuropa ausgehen, über die Embargos zu der enormen Kostensteigerung bei der Energie kommen, um dann schließlich bei der Inflation zu landen, die auch 2023 der entscheidende Faktor sein wird. Dabei ist Deutschlands Wirtschaft von den Problemen besonders betroffen. Es ist nicht weit von Berlin nach Kiew – und schließlich bis nach Russland. Deutschland bezieht im besonderen Maße Energie aus Russland, die Abhängigkeit vom russischen Gas war schon kritisiert worden, als Nord Stream 2 noch im Bau war. Schließlich hat sich Deutschland im besonderen Maße auch im Krieg profiliert. Bei den Embargos, die auf europäischer Ebene gemeinschaftlich beschlossen wurden, ist Deutschland bei der Umsetzung stark betroffen. Es ist, gerade im Hinblick auf die Konjunkturentwicklung insgesamt, immer daran zu erinnern, dass ein Embargo nicht nur wirtschaftliche Schäden beim Zielland, also Russland, anrichtet, sondern natürlich auch in besonderem Maße beim „Verhängerland“, dem besonders mit Russland verflochtenen Deutschland. Hinzu kommt, dass ein Embargo in vielen Fällen mit ebensolchen Maßnahmen beantwortet wird, die insgesamt die Schäden noch mehr in die Höhe treiben – wie beispielsweise die Inflation, die immer neue Gipfel erklimmt.

Zwei Prozent wieder zu erreichen?

So erstreckt sich der Pessimismus bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklungen 2023 nämlich nicht nur auf die beschriebenen Zahlen zum Wachstum bzw. Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes, sondern auch auf die weiteren Teuerungen. Nach dem Rekordwert von 11,6 Prozent Inflationsrate in Deutschland im Oktober, war es im November zu einer Verbesserung auf 10,4 Prozent gekommen. Doch es gilt, sich davor zu hüten, diese Zahlen für das nächste Jahr mit ihrer kurzzeitig positiven Entwicklung fortzuschreiben. Dann wäre tatsächlich bis zum Sommer 2023 die angestrebte Inflationsrate von 2 Prozent erreicht.  Tatsächlich aber wird die Inflationsrate für 2022 wohl insgesamt nach dem vom Statistischen Bundesamt ausgewiesenen harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) bei 8,5 Prozent liegen. Die Inflationsprognose der Europäischen Kommission sieht für 2023 eine Inflationsrate von 6 Prozent und erst für 2024 eine von 2,6 Prozent. Das wäre dann ein Wert, wie ihn die EZB mit ihrer Geldpolitik anstrebt.

Dabei frisst sich die Inflation in weitere Größen der Konjunktur. Vielfach befürchtet wird eine Lohn-Preis-Spirale, weil die Arbeitnehmer natürlich einen Ausgleich für die Teuerung über ihre Löhne und Gehälter erwarten. Der Abschluss aus der Metallindustrie mit 8,5 Prozent und weiteren Boni ist durchaus zurückhaltend. Das ifo Institut hat ausgerechnet, wie hoch die realen Einkommensverluste sind. Für 2022 gehen die Fachleute von einem Realeinkommensverlust von 64 Mrd. Euro aus. Auch der erwähnte Abschluss der Metaller lässt die Arbeitnehmer ja noch mit einem realen Einkommensverlust zurück. Dabei dreht sich dann noch die Spirale weiter, denn die Unternehmen müssen nun nicht nur die Kostensteigerungen direkt beim Einkauf der Energie, sondern auch bei den höheren Lohnkosten auffangen. Sie werden ihre Preise erhöhen. So hatte eine Umfrage von Creditreform unter Handwerksbetrieben schon im Frühjahr die Klagen der Betriebe zur Kenntnis nehmen müssen, die sich deutlich teureren Einkaufspreisen gegenübersahen. Das Baugewerbe etwa ist eben nicht nur von dem Nachlassen des Baubooms im Zeichen steigender Zinsen betroffen, sondern auch von den deutlich gestiegenen Preisen beim Einkauf.

Pessimismus macht sich breit

Rückgänge verzeichnen auch die Einzelhändler. Der GfK-Konsumklimaindex zeigt, wie sich die Lust am Einkauf zunehmend eintrübt. Veranstalter, die gerade dem Lockdown entkommen sind, werden nun mit leeren Sitzplätzen konfrontiert. Weder im Handel noch in der Gastronomie sind die Preise bisher markant gestiegen. Die Kunden aber halten sich zurück, die Furcht verschließt ihnen das Portemonnaie. So spielt die Psychologie bei der Inflation eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Angst geht um – und sie betrifft nicht nur die erwartende Heizkostenabrechnung im Frühjahr, sondern das gesamte weitere wirtschaftliche Verhalten aller Player. Nun wird die Globalisierung zunehmend skeptisch gesehen. Es geht darum, Lieferketten sicherer zu machen und sich von Abhängigkeiten, nicht nur bei der Energie, zu befreien. Dabei besteht die Gefahr, dass dieser Rückzug auf Binnenmärkte und Kooperationen nur noch mit befreundeten Ländern zu deutlichem Wohlstandsverlust führen werden.

Inflation und Geldentwertung führen aber nicht nur zu finanziellen Verlusten. Immer wieder wird im Zusammenhang mit der deutschen Mentalität, mit dem Hang zu Solidität und Sparsamkeit, die Erfahrung der Inflation von 1923 und der Geldentwertung Ende der 40er Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht. Befürchtungen werden laut, dass die Inflation, wenn es nicht gelingt, sie in den Griff zu bekommen, zu ähnlich traumatischen Erfahrungen führen wird. Eine Jugend im Schatten der Inflation ist keine gute Lehre für das weitere Leben.

Quellen: Creditreform, Destatis, GfK, Sachverständigengutachten 2022