„Der Marktzugang in China wird schwieriger“

Die geopolitische Großwetterlage könnte unübersichtlicher kaum sein. Was das für Unternehmen bedeutet, weiß Timo Blenk, CEO und Partner der auf Geopolitik spezialisierten Strategieberatung Agora Strategy Group. Im Interview spricht er über die für Deutschland wichtigsten geopolitischen Entwicklungen sowie über Chancen und Risiken für den Mittelstand.

Wie würden Sie die aktuelle geopolitische Lage beschreiben?

Weltweit überlagern sich tiefgreifende Störungen – komplex, voneinander abhängig und unberechenbar. Momentan erleben wir politische Systeme zwischen Ordnung und Auflösung. Systemkonflikte zwischen Demokratien und Autokratien verschärfen sich. Beispiel China: Peking versucht verstärkt, technologisch unabhängig vom Westen zu werden, die chinesische Führung formt ihre Institutionen nach ihren eigenen Vorstellungen. In der Folge erschwert sich der Marktzugang für Unternehmen.

Was beobachten Sie noch?

Die Führungsrolle der USA ist nicht mehr gesetzt. Der Angriff auf den Iran im quasi Alleingang hat einmal mehr gezeigt: Die Bedeutung und die Verlässlichkeit von Regeln und Allianzen nehmen ab. Das Verhalten des US-Präsidenten findet zunehmend Nachahmer. Das erschwert auch für Unternehmen die Planbarkeit.

Welcher Konflikt ist für uns hier in Deutschland der gefährlichste?

Er beherrscht zwar aktuell nicht jede Schlagzeile, dennoch ist der Krieg in der Ukraine mit Abstand der gefährlichste Konflikt – ganz einfach, weil er uns besonders nah ist. Auch beeinflusst er unsere Energiepreise am stärksten und die Unterstützung der Ukraine ist teuer. Außerdem: Wenn Präsident Selenskyj zu einem Friedensschluss gezwungen wird, gehe ich davon aus, dass er danach zurücktritt. Eine solche innenpolitische Instabilität könnte Russland nutzen und die Ukraine weiter destabilisieren, was zu einer großen Fluchtbewegung Richtung Europa führen könnte, auf die wir noch nicht vorbereitet sind.

Was bedeutet das für deutsche Unternehmen konkret?

Mit Blick auf die Ukraine steigt auch die Vielzahl der Themen, mit denen sich Unternehmen beschäftigen müssen – etwa die Frage, ob sie unmittelbar oder mittelbar von Sanktionen betroffen sind. Auch kauft die EU mittelbar weiterhin Rohstoffe wie Öl und Gas aus Russland. Wenn das noch stärker sanktioniert wird, steigen die Energiepreise schnell an.

Und auf der Chancenseite?

Chancen liegen klar im Bereich Defense. Anlässlich der deutschen Wiederbewaffnung, wenn man so will, sehen wir auch, dass klassische Mittelständler in die Rüstungsbranche einsteigen. Wie etwa der Maschinenbauer Trumpf, der Laser zur Drohnenabwehr herstellen will. Es ist klug, wenn kleine und mittlere Unternehmen prüfen, ob sie im Bereich Defense tätig werden könnten.

Wo sehen Sie weitere Risiken für Unternehmen?

Das Verhältnis zwischen den USA und China kann sich sehr schnell verschlechtern – mit schwerwiegenden Folgen vor allem für Unternehmen, die mit Zukunftstechnologien ihr Geld verdienen. Denn dann steigen die Kosten für kritische Rohstoffe wie Germanium, Gallium oder Silizium, die für Energie-, Medizin- und Verteidigungstechnologien essenziell sind. Auch drohen Lieferengpässe. Das sollten Verantwortliche im Blick haben.

Inwiefern ist der Nahe und Mittlere Osten ein Thema?

Viele der mit dem Roten Meer verbundenen Risiken sind bekannt. Die strategisch wichtige Wasserstraße verbindet Ostasien mit Europa, die Containerpreise für diese Route haben sich allein im letzten Jahr verfünffacht. Selbst für Unternehmen, deren Warenströme davon unbenommen sind, bestehen Risiken: Ungefähr 20 Prozent des weltweiten Öl- und Flüssig­erdgas­handels laufen über die Straße von Hormus. Wird sie blockiert, steigen die Energiepreise signifikant – was sie bereits getan haben: Ich schätze 12 Prozent von Juni bis Juli.

Checkliste: Geopolitik und Mittelstand

Risikomanagement und Resilienz

Regelmäßige Analyse geopolitischer Entwicklungen, Einbeziehen in die Unternehmensstrategie und Planen in Szenarien. 

Standorte und Lieferketten

Neubewertung von Produktion und Beschaffungsstandorten mit dem Ziel, Abhängigkeiten zu reduzieren.

Energie und Rohstoffe

Langfristige Verträge schließen, strategische Partnerschaften eingehen und Energieeffizienz stärken.

Technologie und Daten

Zugang zu Schlüsseltechnologien (etwa Cloud-Infrastruktur, KI, Halbleiter) liegt zunehmend in den Händen politischer Entscheidungsträger. Mit Veränderungen (zum Beispiel in der Regulatorik) ist zu rechnen.

Chancen erkennen

Neue Optionen im Blick haben. Besonders kleine und mittlere Unternehmen sind anpassungsfähig und können neue Geschäftsfelder mitunter schneller erschließen als große Konzerne.

Quelle: Agora Strategy


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Tanja Könemann
Bildnachweis: Agora Strategy Group