Trend-Jäger

Die deutsche Wirtschaft lebt von Ideen und Innovationen. Nicht nur im Ingenieurbereich. Besonders innovativ ist die Lebensmittelbranche. Sie muss Produkte entwickeln, die einerseits hoch reguliert sind, andererseits möglichst viele Endkunden begeistern. Was andere Branchen von ihr lernen können.

Ohne Kakao gibt‘s keine Schokolade. Jede Tafel enthält Pulver oder wenigstens Butter, die aus Kakaofrüchten oder deren Samen gewonnen werden. Kakao hat jedoch einen Nachteil. Weil für den Anbau in Westafrika, Südamerika und Südostasien riesige Flächen Regenwälder abgeholzt werden, gilt dieses Produkt als ausgesprochen umwelt- und klimaschädlich. Als der Startup-Berater Maximilian Marquart ein Buch über dieses Thema las, witterte er eine vielversprechende Geschäftsidee. Mit seiner Schwester Sara Marquart, einer promovierten Lebensmittelchemikerin, gründete er das Startup Planet A Foods in Planegg bei München. Binnen zwei Jahren entwickelte das junge Unternehmen das kakaofreie Ersatzprodukt „Choviva“. „Wir haben mehr als 100 Zutaten, darunter auch verrückte Kombinationen mit Olivenkernen, Algen und Bananenmehl, getestet“, berichtet Sara Marquart. „Am Ende entschieden wir uns für Hafer und Sonnenblumenkerne als Basisprodukte.“ Wenn diese Kerne fermentiert, geröstet und mit Zucker bzw. Fetten angereichert werden, werden sie cremig und schmecken wie Schokolade.

Weil für die Produktion weiterhin Kakaobutter benötigt wird, sind mit Choviva noch keine völlig kakaofreien Schokoladentafeln möglich. Wohl aber können Zutaten für alle denkbaren süßen Lebensmittel hergestellt werden. Rund 30 Lebensmittelunternehmen im In- und Ausland haben sich schon von der Innovation überzeugen lassen. Sie reichern damit Keksglasuren, Pralinenfüllungen, Müslis, Eiscremes und andere Leckereien an. Der Handelskonzern Rewe peppt mit Choviva süße Eigenmarken auf, der Gebäckhersteller De Beukelaer kreierte eine vegane Keksmarke, der Printenproduzent Lambertz launchte Knusperflakes und die Discounter Lidl und Penny überraschten unlängst mit Choviva-haltigen Osterprodukten.

„Wir haben seit Juli 2024 rund 20 neue Artikel auf den Markt gebracht“, freut sich Maximilian Marquart. 2025 will er die Choviva-Produktion auf 15.000 Tonnen vervielfachen. Die Chancen für dieses ambitionierte Ziel stehen gut. Bei Choviva stimmt die „Value Proposition“, wie Innovationsmanager bestätigen. „Unser Produkt überzeugt als nachhaltige Alternative sowohl geschmacklich als auch funktional“, sagt Marquart auch in Anspielung auf die in den letzten Jahren stark gestiegenen Kakaopreise. Die Endkunden können klimafreundlich naschen und trotzdem an ihren Essgewohnheiten festhalten. „Mit dieser Zutat können wir nachhaltigere Rezepturen mit leckerem Genuss verbinden, was ganz im Sinne unserer Philosophie ist“, sagt etwa Dany Schmidt, Vorsitzender der Geschäftsführung von Griesson - de Beukelaer.
 

Den Zeitgeist treffen

Weil jeder Endkunde Lebensmittel kauft, müssen Händler und Hersteller möglichst viele Zielgruppen im Blick haben, wenn sie in Innovationen investieren. Das unterscheidet sie von anderen Branchen. Die Verbraucher wiederum haben unterschiedliche Präferenzen. Während der letzten Jahre sind viele auf Lebensmittel umgestiegen, die mit Nachhaltigkeit überzeugen, und kaufen bevorzugt vegetarische oder vegane Produkte. Andere möchten Produkte, die ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit steigern oder in Form von Snacks oder Instant Meals schnell und unkompliziert aufgenommen werden können. Wieder andere wollen an bewährten Marken festhalten und wünschen Sortimentsvertiefungen. „Die Lebensmittelwirtschaft will unterschiedliche Lebensstile ermöglichen und unterstützen, sodass die Konsumentinnen und Konsumenten die freie Wahl haben“, sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschland.

Weil der Lebensmittelmarkt besonders hart umkämpft ist, haben viele Hersteller und Handelsketten in ein eigenes Innovationsmanagement investiert. Mit externer Beratung allein geben sie sich nicht mehr zufrieden. „Vor wenigen Jahren haben wir unseren Kunden empfohlen, welche Innovationen sie realisieren sollen“, sagt Volker Köhnen, Inhaber des Beratungsunternehmens Food Professionals. „Mittlerweile kuratieren wir die Ideen, die unsere Geschäftskunden entwickeln.“ Und die haben viele Ideen. Denn in der Lebensmittelbranche kann das Innovationsmanagement an zahlreichen Stellschrauben drehen. „Im Fokus stehen vor allem Nachhaltigkeit in Form von pflanzlichen Alternativen und optimierten Verpackungslösungen sowie die Reformulierung von Rezepturen“, zählt Minhoff auf. „Außerdem helfen Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Kooperationen mit Wissenschaft und Startups dabei, neue Trends frühzeitig aufzugreifen und innovative Lösungen zu entwickeln.“
 

Hand in Hand mit Hochschulen

Tatsächlich forschen viele Institute von Hochschulen und Forschungsorganisationen in diesem Bereich. Vor allem für vegetarische und vegane Lebensmittel sind so innovative Zutaten entstanden. Ein Beispiel ist ein Fleischersatz aus Erbsen, den das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising entwickelt hat und der inzwischen von großen Burgerketten verwendet wird. Den Anstoß für solche Produkte muss die Lebensmittelwirtschaft oder ihr Innovationsmanagement geben. „Wichtig ist der regelmäßige Austausch“, empfiehlt Köhnen. Als Impulsgeber für Innovationen hat sich vor allem der Vertrieb bewährt. Weil er im direkten Kontakt mit vielen Verkaufsstellen steht, erfährt er früh, wenn Verbraucher ihr Kaufverhalten dauerhaft ändern. Spekulationen, dass dies eine Folge von neuen Ernährungsgewohnheiten ist, liegen auf der Hand. Wenn Markt- und Trendforscher solche Vermutungen bestätigen, wird auch das Marketing hellhörig und beginnt auf Innovationen zu drängen.

Ein dritter Treiber ist die Produktion. Viele Hersteller räumen ein, dass sie die Chancen von neuen Technologien wie etwa 3D-Druck sehen, aber (noch) nicht nutzen. Wenn sie jedoch ihre Anlagen vergrößern oder modernisieren, stehen sie vor der Frage, ob sie lediglich vorhandene Produktlinien ausbauen oder auch in innovative Lebensmittel investieren. Die Molkerei Hochwald, die außer dem Kaffeemilchklassiker „Bärenmarke“ acht weitere Marken produziert, ist mehrgleisig gefahren. Das Unternehmen startete für „Bärenmarke“ eine umfangreiche Line Extension und baute ein Sortiment mit Frischmilch, Naturjoghurt, Schlagsahne und anderen Molkereiprodukten auf. Anschließend launchte es mit „Bärenmarke ohne Muh“ Artikel aus Hafer, Soja und weiteren pflanzlichen Zutaten und besetzte so den Markt für vegane Zielgruppen. Der Wettbewerb hatte diese bislang links liegen gelassen. „Auch etablierte Marken müssen die unterschiedlichen Verbraucherbedürfnisse kennen und ihr Portfolio regelmäßig mit deren Ansprüchen und den aktuellen Gegebenheiten des Markts abgleichen“, mahnt Köhnen.
 

Blick in die Zukunft

Der Berater, der die Expansion von „Bärenmarke“ mit vorbereitet hat, empfiehlt Innovationsmanagern, sich nicht nur auf aktuelle Trends zu verlassen. „Wichtig ist der Kontakt mit Marktforschern, die sich als Zeitgeistforscher verstehen“, sagt Köhnen. „Solche Ansprechpartner erfassen die Sehnsüchte der Verbraucher. Wer weiß, was diese wünschen und wogegen diese aufbegehren, kennt möglicherweise die Trends von morgen.“

Für Innovationsmanager wäre dies eine traumhafte Ausgangssituation. Sie können neue Produkte auf künftige Verbraucheranforderungen ausrichten und ihrem Unternehmen zu einer Führungsposition im Markt verhelfen. Viele haben indessen bereits Mühe, die Trends von heute zu erfassen, und suchen auf Events Impulse für ihre neuen Produkte. Mit der „Anuga“ in Köln, der Leitmesse für die gesamte Ernährungswirtschaft, und der „Biofach“ in Nürnberg, dem Pendant für Bio-Food, haben sie zwei Branchenevents, die für neue Anstöße immer gut sind. Vor allem „Biofach“ lebt vom Anspruch, laufende und kommende Food-Trends aufzugreifen und abzubilden. Rund 2.300 Aussteller aus 94 Ländern nahmen dieses Jahr an der Messe teil, darunter auch viele Startups. Vor allem mit ihnen suchen manche Innovationsmanager die Zusammenarbeit. „Startups schaffen Lösungen, die langfristig Mehrwert für die Umwelt und die Gesellschaft bieten“, sagt Selda Morina, Innovationsmanagerin von Rewe Süd. Mit diesen Newcomern will der Handelskonzern sein Sortiment erweitern.

Ein Beispiel ist Karanga. Der Hersteller einer veganen Erdnusssauce, die mit süßsauren Geschmacksnoten überrascht, ist mittlerweile national gelistet. Einen solchen Erfolg wünschen sich wohl alle Teilnehmer der Startup Lounge, die Morina vor wenigen Monaten bei Rewe gegründet hat.

Drei Monate lang können sie in ausgesuchten Lebensmittelmärkten ihre Produkte präsentieren. Wenn die Kunden diese goutieren, folgen Listungen in weiteren Märkten. Das zeigt: An spannenden Produktideen herrscht bei deutschen Food-Startups kein Mangel. Und wenn sie mit einem Artikel Erfolg haben, initiieren sie oft schnell weitere Produkte. So auch Planet A Foods: Als Alternative zur Kakaobutter entwickelt das Unternehmen gerade eine Choviva-Butter. Wenn sie marktreif ist, könnten tatsächlich absolut kakaofreie Schokoladentafeln produziert werden.

Das können sich andere Unternehmen bei der Lebensmittelbranche abschauen:

 

Verbraucher sind Gewohnheitstiere

Neue Produkte, neue Zutaten oder neue Rezepturen sollten auf bewährte Geschmacksrichtungen abgestimmt werden. Disruptive Innovationen haben kaum Chancen!

Ideen im eigenen Unternehmen entwickeln

Vor allem Vertrieb und Marketing wissen, was Verbraucher beschäftigt, und können Anstöße geben. FuE und Produktion können mitteilen, was realisierbar ist und was nicht.

Netzwerke zu Wissenschaftlern und Start-up-Gründern aufbauen

Erstere helfen bei Innovationen, die mit eigenem Know-how nicht realisierbar sind, Letztere bringen mit völlig neuen Geschäfts- und Produktideen frischen Wind ins Portfolio...


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Bottler
Bildnachweis: Getty Images