Wer findet das meiste Gehör?
631 Abgeordnete zählt der neue Bundestag. Auf sie wirken 5.996 eingetragene Lobbyakteure ein. Sie ringen um Regulierungen, Entlastung und Investitionen. Wie groß ist ihr Einfluss – und ist er messbar?

Einflüsterer, stille Macht, die fünfte Gewalt – all das sind wenig schmeichelhafte Namen für Lobbyisten. Dahinter steckt die Sorge vor Korruption. Die Bundeszentrale für politische Bildung bewertet Lobbyismus aber grundsätzlich positiv, mit dem Fachwissen von Interessenvertretern ließen sich die Auswirkungen von Gesetzesänderungen besser einschätzen. Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien schreibt die Anhörung von Verbänden bei Gesetzesentwürfen sogar vor.
Mindestens 800 Millionen Euro jährlich geben Unternehmen und Verbände dem ZDF zufolge für ihre Lobbytätigkeit aus. Im Lobbyregister sind 5.996 Akteure eingetragen, die meisten davon juristische Personen wie Kapitalgesellschaften, Verbände, Vereine und Stiftungen. Was nicht im Lobbyregister steht: mit wem sich die Vertreter der Organisationen treffen. Die Frage nach dem Einfluss ist deshalb nicht so einfach zu beantworten. Fest steht: Die Wirtschaft lässt sich die Einflussnahme Millionen kosten. Bei den Ausgaben an erster Stelle liegt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Er investierte laut Lobbyregister des Deutschen Bundestags (Stand Januar 2025) mindestens 15,09 Millionen Euro in Lobbyarbeit auf Ebene der Bundespolitik. An zweiter Stelle folgte der Verband der Chemischen Industrie mit 9,23 Millionen Euro, danach der Mittelstand mit 9,12 Millionen Euro.
Einflussnahme schwer nachzuvollziehen
Bedeutet viel Geld auch viel politisches Gewicht? „Die Höhe der Lobbyausgaben lassen sich zwar nicht mit Einfluss gleichsetzen, sie sind aber ein wichtiger Indikator“, sagt Christina Deckwirth vom gemeinnützigen Verein Lobbycontrol. „Wirtschaftliche Akteure geben schätzungsweise 15-mal so viel für ihre Lobbyarbeit aus wie Umweltverbände. Da gibt es ein großes Ungleichgewicht zugunsten der Wirtschaft.“ Auch Sozialverbände seien unterrepräsentiert, unter den 100 größten Lobbyakteuren stammten 81 Akteure aus der Wirtschaft, nur sieben seien sogenannte NGOs im weiteren Sinne – etwa die Caritas.
Weitere Messgrößen sind das Medienecho und die Zahl der geplanten Einflussnahmen auf Gesetzgebungsvorhaben. Laut einer Handelsblatt-Recherche wurde der Bundesverband der Deutschen Industrie im ersten Halbjahr 2024 in Leitmedienartikeln am häufigsten zitiert. Bei den geplanten Einflussnahmen auf Gesetzgebungsvorhaben lag der Bitkom im Jahr 2023 mit 143 Vorhaben an erster Stelle. Aber: Auch mit dieser Messgröße könne man sich höchstens herantasten, sagt Politikwissenschaftlerin Deckwirth. „Die Zahl der Gesetzesvorhaben sagt nichts aus über deren Wichtigkeit für die Interessenvertreter.“ Möglich sei auch, dass jemand viel Lobbyarbeit macht, aber keine Ergebnisse erzielt. Um politische Einflussnahme besser nachvollziehen zu können, fordert Lobbycontrol, dass Regierungsmitglieder ihre Lobbytreffen offenlegen.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Tanja Könemann
Bildnachweis: Getty Images