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Lieferketten: Raus aus dem Krisenmodus

Gestörte Lieferketten haben die Wirtschaft in den vergangenen drei Jahren immer wieder ausgebremst. Zwar zeichnet sich langsam eine Besserung ab, doch für Entwarnung ist es noch zu früh. Experten erwarten, dass regelmäßige Unterbrechungen der globalen Warenströme eher die Regel als die Ausnahme sind. Umso wichtiger ist es, die richtigen Lehren aus den vergangenen Jahren zu ziehen. Wie Unternehmen ihre Beschaffung krisenfest aufstellen, wie sie Lieferketten diversifizieren und für gut gefüllte Lager sorgen, erklärt Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA).

Dirk Jandura (Geschäftsführer bei Obeta und Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen - kurz BGA) erklärt im Gespräch mit Jana Samsonova (Handelsblatt Media Group), wie Unternehmen ihre Beschaffung möglichst krisensicher aufstellen und ihre Lieferketten absichern können.

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Jana Samsonova [00:00:00] Ohne Zweifel war das Thema gestörte Lieferketten eines der Themen, die die Wirtschaft in den letzten drei Jahren besonders auf Trab gehalten haben. So langsam scheint diesbezüglich Besserung in Sicht zu sein. Zumindest deuten aktuelle Zahlen des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung darauf hin. Im Februar und März 2023 klagten so wenige Industrieunternehmen über gestörte Lieferketten wie zuletzt vor zwei Jahren. Doch auch wenn die Wirtschaft eine Prise Optimismus derzeit gut gebrauchen kann, für Entwarnung ist es noch zu früh. In der Elektro und Autoindustrie und im Maschinenbau haben immer noch 2/3 Unternehmen Schwierigkeiten, an wichtige Rohstoffe und Bauteile zu kommen. Mein heutiger Gast beobachtet die Situation nicht nur besonders genau, sondern auch aus gleich zwei Perspektiven. Von ihm möchte ich erfahren, worauf sich Unternehmen in Sachen Lieferketten noch einstellen müssen, aber vor allem, was sie in Zukunft besser machen können als bisher. Mein Name ist Jana Samsonova und bei mir begrüße ich Dr. Dirk Jandura. Er ist Geschäftsführer des Berliner Elektro Großhandels Obeta und Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, kurz BGA. Herzlich willkommen!

Dirk Jandura [00:01:09] Schönen guten Tag! Ich grüße Sie.

Jingle: Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten. Der Creditreform-Podcast.

Jana Samsonova [00:01:29] Herr Jandura, die erste Frage stelle ich Ihnen als Unternehmer, nicht als BGA-Präsident. Wie läuft denn aktuell das Geschäft? Spüren Sie, dass die Lieferketten-Probleme weniger werden oder bleiben Sie im Krisenmodus?

Dirk Jandura [00:01:41] Wir haben uns als Großhändler inzwischen an die Krise als neue Normalität ein bisschen gewöhnt. Was die Lieferketten anbetrifft, können wir sicherlich etwas Entwarnung geben. Seit dem vierten Quartal des letzten Jahres bemerken wir eine deutliche Entspannung, und ich kann hier sicherlich feststellen, dass in der Breite und in der Tiefe des Sortiments wir eigentlich wieder sehr, sehr gut lieferfähig sind. Die Lager sind fast zu voll.

Jana Samsonova [00:02:03] Die Folgen des Ukraine-Krieges haben den Großhandel ja dennoch hart getroffen. Wie hat die Branche denn reagiert? Welche Lehren konnten Sie aus dieser Krisenzeit mitnehmen?

Dirk Jandura [00:02:12] Wir schleppen uns ja faktisch als Groß- und Außenhändler von einer Krise zur nächsten. Und wir Händler versuchen, so gut es geht, damit klarzukommen. Wir versuchen, auf alternative Geschäftspartner auszuweichen. Wir versuchen, zusätzliche Beschaffungs- und Absatzmärkte zu finden. Ich sage dazu immer: Der Großhandel ist das Rad, das die Welt am Laufen hält. Entsprechend versuchen wir hier auch neue Transportrouten zu nutzen. Wir arbeiten an der Risikoanalyse und auch an der verbesserten Transparenz entlang der Lieferkette. Aber trotzdem muss man sicherlich feststellen: Eine Diversifikation von Lieferketten erfordert einfach viel, viel Zeit. Und da geht nichts von heute auf morgen. Und wir benötigen sicherlich auch die Unterstützung des Gesetzgebers. Ich denke da vor allen Dingen an neue Freihandelsabkommen, die dringend nötig sind. Und da muss die Bundesregierung uns auch helfen. Sie muss in Brüssel auf den Abschluss von neuen Freihandelsabkommen drängen. Moderne, neue Abkommen. Ich denke vor allen Dingen an die Mercosur Staaten. Ich denke an Neuseeland und auch an Indien.

Jana Samsonova [00:03:08] Ich höre raus, es tut sich bereits einiges, aber das Weltgeschehen können die Unternehmen und Händler ja nun mal nicht beeinflussen. Aber sind sie den Turbulenzen an den Märkten eigentlich hilflos ausgeliefert oder können sie in Zukunft zum Beispiel aktiv etwas gegen Engpässe tun?

Dirk Jandura [00:03:24] Natürlich sind wir als Unternehmen diesen Engpässen nicht hilflos ausgeliefert. Das eine betrifft sicherlich eine Maßnahme, die wir treffen können, die wir auch getroffen haben, ist, diese Lagerhaltung zu verändern. Das heißt, natürlich haben wir mehr Lagerpuffer zurzeit. Aber man muss auch offen sagen: Wenn wir die Lieferketten nicht diversifizieren können, sind uns ein Stück weit auch die Hände gebunden. Also viel mehr Möglichkeiten haben wir nicht. Und zurzeit werden unsere Bemühungen zu Diversifikation schon relativ stark erschwert durch die Initiativen zum Thema Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz eben auf deutscher und auf europäischer Ebene. Wir haben ja beobachten können, dass im EU Parlament, dass neue Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene mit einer unerwartet deutlichen Mehrheit verabschiedet wurde. Wir sind der Meinung, das wird unsere mittelständisch geprägte Unternehmerschaft völlig überfordern und wir als Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen unterstützen ausdrücklich die Einhaltung und Durchsetzung von Nachhaltigkeitszielen und von Menschenrechten entlang der Lieferkette. Aber diese Gesetze, die übertreffen das deutsche Lieferkettengesetz in vielen Anwendungsbereichen. Und hier ist auch der enorme hohe bürokratische Aufwand sicherlich zu nennen. Nehmen Sie zum Beispiel den Vorgänger, dass deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz das ist vom deutschen Gesetzgeber auch sehr, sehr schnell verabschiedet worden, also im Hauruckverfahren. Es ist nicht besonders durchdacht, und es ist ein Bürokratiemonster, das die Unternehmen vor unerhörte Herausforderungen stellt.

Jana Samsonova [00:04:51] Was sind das für Herausforderungen?

Dirk Jandura [00:04:52] Sie müssen sich vorstellen, dass wir gezwungen sind, ja über die komplette Lieferkette Transparenz herzustellen. Und das ist gerade für kleinere und mittlere Unternehmen, die mit sehr, sehr großen Unternehmen arbeiten, natürlich fast ein Ding der Unmöglichkeit, irgendein Produkt, mit dem sie handeln, von Beginn an nachzuvollziehen, woher es stammt, wer an der Verarbeitung mitgewirkt hat und all diese relevanten Fragestellungen. Und insofern sorgt das für enormen bürokratischen Aufwand, der eben gerade für kleinere Unternehmen nur schwer zu erfüllen sind. Und die kleinen Unternehmen sind natürlich indirekt sofort betroffen. Denn zwar gilt das deutsche Gesetz für erst 3.000 Mitarbeiter und nächstes Jahr dann ab 1.000 Mitarbeiter. Aber wenn sie mit großen Unternehmen Handel treiben, werden sie eben auch indirekt davon erfasst. Und sie müssen diese Fragestellungen beantworten können.

Jana Samsonova [00:05:39] Das klingt alles so ein bisschen, als würde es nicht viel Grund für Optimismus geben. Das Prinzip "Just in time" hat zuletzt seine Schwächen gezeigt. Jetzt geht es wieder zurück zu mehr Lagerhaltung. Aber jedes Teil im Lager braucht Platz und eben auch Kapital. Wie sollen Unternehmen das denn heute finanzieren?

Dirk Jandura [00:05:57] Die Zinsentwicklung in den letzten Monaten hat natürlich die Finanzierungskonditionen für die Unternehmen deutlich verschlechtert und ist es natürlich so, dass wir die Lagerhaltung verstärkt haben aufgrund der Erfahrungen aus der Lieferkettenproblematik, sodass wir im Moment zumindest in vielen Großhandelsbranchen mit sehr sehr vollen Lagern dastehen. Und sie haben in der Tat recht. Das führt zu Finanzierungsproblemen. Und wir gehen davon aus, dass das letztlich nach sich ziehen wird, dass die Großhändler weniger bestellen. Das heißt, wir werden einen gewissen Auftragseinbruch - ich hoffe das Auftragseinbruch eine etwas übertriebene Formulierung ist - aber zumindest Auftragseinbußen haben seitens der Industrie, weil die Großhändler angesichts der vollen Lager einfach weniger bestellen werden. Und das scheint sich im ersten Quartal auch so abzuzeichnen aus den Daten.

Jana Samsonova [00:06:47] Die Großhandelspreise sind aber schon vor 2022 gestiegen. Dann kam noch die Energiekrise dazu und zeitweise zweistellige Inflationsraten. Wir haben jetzt gerade Mitte 2023. Ist das jetzt alles in den Lieferketten eingepreist oder müssen Unternehmen sich auf weitere Preissteigerungen gefasst machen?

Dirk Jandura [00:07:07] Ich gebe Ihnen völlig recht, die Preisanstiege waren eigentlich schon im Herbst 2021 in den Daten zu erkennen, allerdings natürlich nur ganz leicht und vorsichtig. Und im Rückblick ist das natürlich immer alles viel einfacher zu analysieren. Wir müssen sagen, dass der deutsche Großhandel und Außenhandel im Jahr 2022 sicherlich noch mit einem blauen Auge durch die Krise gekommen ist. Wir haben die Geschäftserwartungen der Unternehmen als sehr, sehr negativ wahrgenommen bei den letzten Umfragen, die wir gemacht haben. Glücklicherweise ist bislang ein tiefer Einbruch ausgeblieben, aber wir müssen vorsichtig sein. Und im Grunde können wir konstatieren, dass sich die Entwicklung im Großhandel so vollzogen hat, dass wir ein relativ starkes, preisgetriebenes Umsatzwachstum haben, aber tatsächlich real relativ wenig Warenbewegungen zu verzeichnen hatten. Und wir gehen davon aus, dass wir bei den Exporten 2023 kaum Einbrüche kriegen werden. Wir werden aber auch keinen Höhenflug erwarten können. Wir hoffen, dass wir im Grunde real eine schwarze Null schaffen. Für die Preisentwicklung insgesamt gibt es zu viele Faktoren, die diese beeinflussen, die nicht kalkulierbar sind. Das sind zum Teil die Energiekosten, ist es sicherlich auch die Entwicklung des Krieges. Insgesamt beobachten wir schon ein gewisses Nachlassen vieler Indikatoren. Wir glauben, dass wir aktuell den Höhepunkt der Preisanstiege überwunden haben. Aber wie gesagt, es ist sehr, sehr schwierig, das einzuschätzen angesichts der Unsicherheit, die da immer noch bei vielen Faktoren zu erkennen ist.

Jana Samsonova [00:08:38] Ein Problem, das ja unmittelbar daran geknüpft ist, ist, dass nicht nur bestimmte Produkte knapp werden, sondern auch die Rohstoffe. Der BGH hat im Februar eine große Untersuchung zur Situation im Groß- und Außenhandel vorgestellt. Als größte Herausforderung haben die Befragten darin aber den Fachkräftemangel genannt. Wie gedenkt denn der Großhandel dieses Problem anzugehen? Beziehungsweise haben Sie hier einen Rat?

Dirk Jandura [00:09:01] Das Problem ist sicherlich ein sehr, sehr Großes. Wir merken das auch in Gesprächen mit unseren Kunden, die im Grunde zwei riesen Themen haben. Das eine hat sich abgeschwächt, Material war lange Zeit ein großes Problem und Fachkräfte - und das betrifft uns eben im Großhandel auch. Und natürlich nützt es nun nicht, sich recruitingseitig besser aufzustellen und sich als Arbeitgeber perfekt zu präsentieren, weil das natürlich gesamtwirtschaftlich das Problem nicht löst. Insofern: Unsere Vorschläge lassen sich im Grunde auf der Migrationsseite in drei Aspekten zuordnen. Zum einen: Wir müssen Zuwanderung auch in die Zeitarbeit ermöglichen. Die Zeitarbeit ist eine wunderbare Möglichkeit, um in den Arbeitsmarkt einzutauchen. Das ist gut für Menschen, denn sie haben die Sicherheit, im Fall von Problemen auch an anderen Stellen sich erproben zu können. Und sie haben durchgängig einen Arbeitsvertrag. Wir wenden uns daher gegen jegliche Diskriminierung von der Zeitarbeit und halten das für eine gute Möglichkeit, Menschen, die nach Deutschland kommen, einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Das ist im Moment gesetzlich noch nicht der Fall. Dann gibt es den zweiten Aspekt, die Erfahrungssäule. Denn das Einwanderungsgesetz hat ja drei Säulen und die Erfahrungssäule setzt die zwei Jahre Berufserfahrung und eine mindestens zweijährige Berufsausbildung voraus. Und wir sind hier der Meinung, dass das relativ problematisch ist, eine Zuwanderung in einfache Tätigkeiten zu ermöglichen. Und da muss man sich die Frage stellen: Gibt es diese Tätigkeiten in Drittstaaten überhaupt? Und wir glauben eben, eine ganze Reihe von einfachen oder verhältnismäßig einfachen Tätigkeiten in Deutschland erfordern eben auch nicht zwingend eine zweijährige Ausbildung. Also es gibt gewisse Tätigkeiten, zum Beispiel in der Logistik, da benötigt es sicherlich keine zweijährige Berufsausbildung, da kann man anlernen. Also wir würden uns wünschen, dass der Gesetzgeber hier an diese Tätigkeiten keine höheren Anforderungen stellt, als diese im Inland bereits gelten. Das wäre der zweite Punkt. Und letztlich ist ein ganz wichtiger Punkt bei der Zuwanderung, dass auch die Visumsverfahren in den deutschen Auslandsvertretungen zügig vorangehen, dass man also im Grunde schnellere, zügig funktionierende Verwaltungsvorgänge an dieser Stelle hat. Denn das ist nach unseren Erfahrungen, nach unserer Kenntnis auch, ein großer Hemmschuh bei der Einwanderung zurzeit.

Jana Samsonova [00:11:13] Und wie wahrscheinlich ist das, dass das alles bald so eintritt, wie Sie sich das wünschen würden?

Dirk Jandura [00:11:18] Die Bundesregierung hat nach meiner Beobachtung das Problem erkannt, und auch im Außenministerium wird in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium an dem Problem gearbeitet. Also, ich kann nicht einschätzen, wie schnell das geht. Aber zumindest kann ich feststellen: Das Problem ist erkannt und daran, an der Abstellung wird gearbeitet.

Jana Samsonova [00:11:35] Immerhin gibt es hier einen kleinen Grund zum Optimismus.

Dirk Jandura [00:11:39] Absolut.

Jana Samsonova [00:11:40] Herr Jandura, ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für das Gespräch und bis zum nächsten Mal bei "Gute Geschäfte".

Dirk Jandura [00:11:46] Danke sehr.

Jingle: Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast.



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