Creditreform Magazin

Neue Spielregeln im Warenverkehr

Eine umfassende Reform des Mehrwertsteuersystems soll den EU-weiten Umsatzsteuerbetrügereien zeitnah ein Ende bereiten. Einige wichtige Neuregelungen im innergemeinschaftlichen Handel stehen bereits zum Jahreswechsel an.


Unser Steuer-Experte:

Bernhard Lindgens ist in der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung im Bundeszentralamt für Steuern in Bonn tätig. Zuvor war er im Bundesministerium der Finanzen für verschiedene Projekte in der Steuerfahndung und Betrugsbekämpfung sowie für den Datenzugriff der Finanzbehörden zuständig.


Organisierte Verbrecher prellen europäische Steuerbehörden jährlich um rund 50 Milliarden Euro. Das berichteten das ZDF und das Recherchezentrum Correctiv im Mai 2019. Dabei nutzen die Täter Umsatz- oder Mehrwertsteuerkarusselle, bei denen sie die Besteuerung umgehen oder unrechtmäßig Vorsteuer geltend machen.

Um das europäische Mehrwertsteuersystem weniger betrugsanfällig zu machen, plant die EU-Kommission derzeit die umsatzsteuerliche Neubehandlung innergemeinschaftlicher Lieferungen. Demnach verlagert sich ab Mitte 2022 der für die Besteuerung maßgebliche Ort einer innergemeinschaftlichen Lieferung in das Bestimmungsland. Der liefernde Unternehmer zahlt dort grundsätzlich die zum jeweiligen Mehrwertsteuersatz anfallende Steuer.

Um Steuerlücken bereits im aktuellen Mehrwertsteuersystem schnell zu schließen, haben die EU-Finanzminister ein Maßnahmenbündel beschlossen, das die Zeit bis zur endgültigen Reform überbrücken soll. In Deutschland erfolgt die Umsetzung dieser „Quick Fixes“ zum 1. Januar 2020 durch das „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“.

 

Unternehmereigenschaft

Darin wird als rechtliche Voraussetzung für eine Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) eines europäischen Abnehmers festgeschrieben. Künftig fordert das Umsatzsteuergesetz (§ 6a Abs. 1 Satz 1 UStG neu) also unmissverständlich eine dem Lieferanten vom Abnehmer mitgeteilte und im Zeitpunkt der Lieferung gültige USt-IdNr. des anderen Mitgliedstaates. Die immer noch weit verbreitete Praxis, dass Lieferanten die USt-IdNr. europäischer Handelspartner lediglich (und ausschließlich) bei der Anlage der Stammdaten im betrieblichen DV-System überprüfen, wird damit spätestens bei einer Außenprüfung zum Glücksspiel. Längst lässt sich Gültigkeit jederzeit elektronisch über eine sogenannte XML-RPC-Schnittstelle beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) abfragen. Und schon seit 2015 reicht den Finanzbehörden als Nachweis einer qualifizierten Anfrage über die Unternehmerschaft des Abnehmers, wenn die vom BZSt übermittelte elektronische Antwort als Datensatz unmittelbar in das System des Unternehmens eingebunden und ausgewertet werden kann.

 

Reihengeschäft

Selbstredend fallen innergemeinschaftliche Lieferungen an Unternehmer auch weiterhin nur dann unter die Umsatzsteuerbefreiung, wenn die Ware in andere EU-Mitgliedstaaten befördert oder versendet wird. Dabei besteht die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (§ 17a UStDV neu) auf umfangreiche Nachweise über den Verbleib der Ware, wie etwa zwei von unterschiedlichen Parteien ausgestellte, einander nicht widersprechende Belege. Zum Vorteil deutscher Lieferanten bleibt der Nachweis in Deutschland allerdings anhand der bisherigen Belege möglich. Zu diesen zählen neben der gebräuchlichen Gelangensbestätigung mit fest vorgegebenen Inhalten unter anderem Frachtbriefe, Spediteursbescheinigungen oder Tracking-and-Tracing-Protokolle.

Im internationalen Warenverkehr beliefern selbst kleine Unternehmen die Kunden ihrer Abnehmer zunehmend direkt. Umsatzsteuerlich gehen sie bei diesen sogenannten Reihengeschäften ein Risiko ein, da eine Steuerbefreiung für Ausfuhren oder im innergemeinschaftlichen Handel ausschließlich für die Lieferung infrage kommt, mit der die Ware bewegt wird. Für alle anderen Lieferungen in der Kette, sogenannte ruhende Lieferungen, winkt dagegen keine Steuerfreiheit. Für Streit mit dem Finanzamt sorgte in der Vergangenheit oft die Beförderung oder Versendung der Liefergegenstände durch einen mittleren Unternehmer (neuerdings: Zwischenhändler). Nach der Neuregelung (§ 3 Abs. 6a UStG neu) gilt aus Vereinfachungsgründen: Befördert oder versendet ein Zwischenhändler den Liefergegenstand, ist die Warenbewegung grundsätzlich der Lieferung an ihn zuzuordnen. Diese Vermutung kann der Zwischenhändler widerlegen, indem er spätestens bei Transportbeginn seine ihm vom Abgangsstaat der Ware erteilte USt-IdNr. verwendet. So vermeidet er regelmäßig seine umsatzsteuerliche Registrierung im Bestimmungsland.

 

Konsignationslager

Dezentrale Warenlager dienen Handel und Industrie zur Sicherstellung der Produktion und Überbrückung von Lieferengpässen. Beliebt sind Konsignationslager, die von Lieferanten in der Nähe bekannter Abnehmer eingerichtet und bestückt werden. In der Regel bleibt der liefernde Unternehmer bis zum Zeitpunkt der Entnahme zivilrechtlicher Eigentümer der eingelagerten Güter. Liegt das Lager in einem anderen EU-Mitgliedstaat, wird dessen Bestückung vom deutschen Umsatzsteuerrecht bislang als steuerfreies innergemeinschaftliches Verbringen (§ 3 Abs. 1a UStG) eingestuft. Im Bestimmungsland muss der Lieferant jedoch einen innergemeinschaftlichen Erwerb versteuern. Die anschließende Entnahme durch den Abnehmer wird als Inlandslieferung im jeweiligen Mitgliedstaat behandelt.

Weil in anderen EU-Mitgliedstaaten das Verbringen der Ware in Konsignationslager hingegen erst bei ihrer Entnahme einen innergemeinschaftlichen Erwerb auslöst, sehen die „Quick Fixes“ auch hier eine einheitliche Neuregelung vor (§ 6b UStG neu). Unter bestimmten Voraussetzungen – etwa wenn der Erwerber bis zum Beginn des Warentransports seine ihm vom Bestimmungsland erteilte USt-IdNr. verwendet – wird die Lieferung an ihn einer im Abgangsmitgliedstaat steuerbaren und steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a UStG) gleichgestellt. Zeitgleich muss sie an den Erwerber im Bestimmungsland als innergemeinschaftlicher Erwerb versteuert werden.


Rechtsgrundlagen

Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (inoffiziell „Jahressteuergesetz 2019“)

 


Quelle: Magazin „Creditreform“