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Alarmstufe Rot im Gesundheitswesen

Zwei aktuell größere Insolvenzen von Anfang September zeigen, wie prekär die Situation im deutschen Gesundheitswesen ist. In Hanau stellte der ambulante Pflegedienstleister „Dignicare Pflege GmbH“ einen Antrag zur Eröffnung eines Sanierungsverfahrens in Eigenverwaltung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit.

Das Gericht ist diesem Antrag gefolgt und der Sanierungsprozess kann beginnen. In einer Branche, in der sich auch viele kleine Anbieter bewegen, ist dieser Pflegedienst mit 200 Mitarbeitern in 14 Betriebsstätten in sieben Bundesländern einer der größeren. Monat für Monat erhalten rund 1.200 Menschen entsprechende Pflegeleistungen. Dem Geschäftsführer Marc Lamberth ist es im Sanierungsprozess wichtig, klarzustellen, dass die Pflege der Bedürftigen jederzeit sichergestellt ist. Bis Oktober sind auch die Löhne und Gehälter der Angestellten über das Insolvenzgeld gesichert.

Es sind vor allem zwei Gründe, die das Unternehmen in die Schieflage brachten: Zum einen war es der gesetzlich eingeführte Lohnzuwachs für die Beschäftigten zum September 2022, zum anderen fielen Einnahmen aus, die Patienten privat übernommen haben, weil sie nicht von den Pflegekassen gedeckt wurden. Nach Ansicht des begleitenden Sanierungsexperten, Rechtsanwalt Jens Lieser, waren es die steigenden Preise infolge der Inflation (insbesondere bei den Energiekosten), die es vielen Betreuten unmöglich machten, die gewohnten privaten zusätzlichen Pflegedienstleistungen weiter in Anspruch zu nehmen. Höhere Personalkosten bei rückläufigen Einnahmen – hier öffnete sich ein Spalt, der nicht mehr zu schließen war. Dabei sind die Sanierungsexperten, die den Turnaround begleiten, zuversichtlich, Investoren zu finden. Der Bedarf ist zweifellos gegeben.

Rotes Kreuz in der Schieflage

Ein gewichtigerer Fall ist der der Rotkreuz-Kliniken in München und Wertheim mit den dazugehörigen medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Allein das Klinikum in München zählt über 1.000 Mitarbeiter, mit dem Haus in Wertheim zusammen werden über 700 Betten betreut. Auch in München und Wertheim wird der Betrieb aufrechterhalten, die Versorgung und die Löhne für die Angestellten sind gesichert. Die Gründe für das drohende Aus ähneln einander: Die Inflation und die steigenden Kosten für das Personal sorgten für eine Schieflage. Die begleitende Kanzlei lässt in ihren Ausführungen erkennen, dass dies nicht der letzte Fall in der Branche sein wird. Angesichts der Krankenhausreform haben sich die Rahmenbedingungen für den Betrieb deutlich geändert – und werden sich weiter ändern. „Kliniken, die frühzeitig den Handlungsbedarf erkennen, können sich mit dem Schutzschirmverfahren eigenverantwortlich und schneller als in anderen Verfahren finanziell wieder ins Gleichgewicht bringen“, äußert sich Rechtsanwalt Lieser.

Ein näherer Blick auf die aktuelle Insolvenz-Statistik zu den Branchen des Statistischen Bundesamtes zeigt die fatale Entwicklung im Sektor „Gesundheits- und Sozialwesen“. Mit einer Steigerung von 64 Prozent im ersten Halbjahr 2023 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres liegen die Betriebe in diesem Bereich deutlich über den Steigerungen der Insolvenzverfahren in den ersten sechs Monaten insgesamt. Hier schlägt nur ein Plus von knapp 8 Prozent zu Buche. Dabei sind die absoluten Zahlen (bisher) noch nicht allzu hoch. 45 Unternehmen waren betroffen – im Vorjahreshalbjahr waren es 27. Zum ersten Mal waren zwei Krankenhäuser dabei – bei den Heimen waren es 2022 zwei Betriebe und 2023 sieben. In 13 Fällen wurden soziale Betreuungen älterer Menschen und Behinderter insolvent, im Vorjahr waren es noch elf. Der Bedarf an Pflegeleistungen ist alleine schon im Zeichen der Überalterung der Bevölkerung, aber auch durch die verbesserten Möglichkeiten von medizinischer Therapie und Betreuung, enorm gewachsen. Damit steigern sich die Kosten gewaltig und die Politik versucht gegenzusteuern. Gesundheitsminister Lauterbach hat sich im Sommer mit den Ländern zumindest auf Eckpunkte der Krankenhausreform geeinigt. Man wolle unnötige Klinikschließungen vermeiden und flächendeckend eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherstellen. Das sehen naturgemäß einige Häuser, die etwa von Zusammenlegungen betroffen sind, anders. Noch ist die Gesetzgebung im Fluss und der Wille zur Veränderung ist da. Es muss zu Entscheidungen kommen, die den betroffenen Pflegediensten und Krankenhäusern, aber auch Arztpraxen Sicherheit geben.

Kein Personal – und wenn, zu teuer

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) spricht von einer drohenden Pleitewelle in der Pflegebranche. So sei es in Nordrhein-Westfalen unter den Mitgliedsbetrieben zu 27 Schließungen gekommen. Das Gesundheitsministerium spricht davon, dass 28 Betreiber von ambulanten Pflegediensten Insolvenz anmelden mussten. Das seien doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr. Die Gründe liegen auf der Hand: Das sind der Fachkräftemangel, Tarifsteigerungen, steigende Energiepreise, Außenstände von Sozialämtern in Millionenhöhe und die nicht ausreichende Refinanzierung von Investitionen, zählt der Verband auf. Insgesamt spricht der bpa davon, dass 70 Prozent der Einrichtungen von massiven wirtschaftlichen Problemen berichtet haben. Die Bundesregierung erkennt das Problem und spricht ebenfalls von einem „deutlichen Kostendruck“.

Der bpa hat im Zusammenhang mit den Liquiditätsproblemen seiner Mitglieder durch eine Umfrage in Schleswig-Holstein erfahren, dass die Sozialämter bei zwei Drittel aller stationären Pflegeeinrichtungen Schulden in Millionenhöhe aufgebaut haben. Ein Drittel der ambulanten Pflegedienste leidet ebenfalls unter noch nicht bezahlten Rechnungen der Sozialhilfeträger. Allein in diesem Bundesland ergeben Hochrechnungen, dass unbezahlte Außenstände von rund 20 Mio. Euro aktuell vorliegen. Die Sozialämter antworten auf das Drängen des bpa, dass sie unter Personalmangel leiden und einen hohen Prüfaufwand haben. Einmal mehr zeigt sich hier, wie kritisch fehlende Liquidität aufgrund nicht bezahlter Rechnungen für das Überleben von Betrieben ist.

Quellen: bpa, Destatis, INDat



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