Creditreform Magazin

Kommentar: Kritische Abhängigkeiten reduzieren

Wie ein Mantra zieht die Meldung seit Monaten durch die Medien: Deutschland ist zu abhängig von China. Wer detaillierter hinschaut, sieht: Ganz so pauschal stimmt das nicht, denn der Teufel steckt im Detail.

Das Defizit der deutsch-chinesischen Handelsbilanz lag 2022 bei 84 Milliarden Euro. Aber besteht bereits eine Abhängigkeit, wenn die Summe der Importe die der Exporte immer weiter übersteigt? In der Berichterstattung ist dieser Zusammenhang meist völlig klar. Doch um die Situation bewerten zu können, muss ein detaillierter Blick erfolgen. Und dabei zeigt sich: Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ist die Abhängigkeit gar nicht so groß. 2020 ­kamen im Durchschnitt aller Industriezweige rund 6,6 Prozent der ausländischen Vorleistungen aus China. Blickt man auf alle Vorleistungen, also auch auf die inländischen, sind es lediglich 2,2 Prozent. Japan, Russland, die USA, Spanien, Großbritannien und Italien sind allesamt weitaus stärker auf chinesische Produkte angewiesen.

Wann wird es kritisch?

Doch der Teufel steckt im Detail, wie das IW vor wenigen Wochen in einer neuen Studie gezeigt hat. Konkret bestehen Abhängigkeiten bei Rohstoffen wie Magnesium und Eisen. Auch elektronische Geräte wie Tastaturen und Laptops bezieht Deutschland zu über 50 Prozent aus China. Gleiches gilt für chemische Grundstoffe, Vitamin C und Koffein. Bei all diesen Produkten ist von Diversifizierung nichts zu sehen. Sollten die Lieferungen aus China ausfallen und sind die Produkte auf absehbare Zeit nicht von anderen Lieferanten zu bekommen, wird es gefährlich. Hier spricht man von einer kritischen Abhängigkeit.

Was folgt daraus für Politik und Wirtschaft? Unternehmen in China müssen ihre Chancen und Risiken dort realistisch bewerten. Naivität ist nicht mehr angebracht. Hier sind Unternehmen in erster Linie selbst gefragt. Der ordnungspolitischen Logik folgend, kann die Verantwortung aber nicht allein bei der Wirtschaft liegen – auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Die Politik muss eine Präferierung Chinas (zum Beispiel über Kreditgarantien) kritisch überprüfen. Sie muss Optionen für neue Handelspartner stärken und damit Lieferketten ermöglichen, mit denen sich kritische Abhängigkeiten reduzieren lassen. Zu nennen wären hier TTIP, das Mercosur-Abkommen mit den südamerikanischen Staaten oder das Abkommen mit den ASEAN-Staaten.

Gefälle in beide Richtungen

Zur Wahrheit gehört aber auch: Nicht nur Deutschland ist von China abhängig, auch umgekehrt besteht ein Gefälle. Würden beide Volkswirtschaften voneinander entkoppelt, erlitte China vergleichbare Einbußen beim Realeinkommen und und beim realen BIP wie Deutschland. China versucht jedoch seit geraumer Zeit, diese Abhängigkeiten zu reduzieren. Das Land investiert beispielsweise in ausländische Technologieunternehmen, um sie mit ihren Produkten und Dienstleistungen an China zu binden. Aufhorchen muss die Bundesrepublik aber, wenn Huawei und ZTE in das deutsche Telekommunikationsnetz und damit in kritische Infrastruktur investieren wollen. Im Zweifel kann hier nicht ausgeschlossen werden, dass der chinesische Staat den Zugang für Sabotage und Spionage nutzt. Dem muss die Bundesregierung mit Konsequenz und Mut entgegentreten.

Prof. Dr. Michael Hüther 

leitet seit 2004 als Direktor und Mitglied des Präsidiums das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Mit seinem Team forscht und veröffentlicht er zu Themen wie dem aktuellen Strukturwandel, Ordnungspolitik, aktuellen und vergangenen Wirtschaftskrisen wie auch zur Regulierung der Kapitalmärkte. 


 

Quelle: Magazin Creditreform