Neue Marketing Maschinerie
Längst betreffen Prozessoptimierung und Automatisierung nicht mehr nur die Fertigung. Die Mühe lohnt sich auch in Marketing und Vertrieb.

Eine Sache hat Markus Sigl vom Sport in seine Geschäftsführertätigkeit übernommen: Konsequenz. Seit seinem Einstieg in die Fitnessstudio-Kette Wellyou vor vier Jahren setzt er konsequent auf Prozessoptimierung. Alles, was vorher von den rund 550 Mitarbeitern analog erledigt wurde, ist mittlerweile digitalisiert und automatisiert. Der Sportökonom hat vor allem das Marketing und den Vertrieb in dem Kieler Unternehmen umgekrempelt. Die neue Website, das hinterlegte Customer-Relationship-Management-System (CRM), die personalisierte Mitgliederwerbung via Instagram, Facebook, TikTok und WhatsApp, die Erstellung komplexer Nutzerprofile – sämtliche Marketingprozesse bei Wellyou sind heute State of the Art. „Ein Fokus lag vom ersten Tag an auf Online-Anmeldungen“, sagt Sigl. Keine Zeitungsanzeigen mehr, keine Flyer, keine Plakate. Der Erfolg: Acht von zehn Fitness-Freunden landen online in der Kundenkartei. „Die betreten das Fitnessstudio beim Auftakttraining zum ersten Mal“, sagt der Geschäftsführer. Dass er so mit weniger Streuverlusten mehr Mitglieder rekrutiert, schlägt sich auch in den Büchern nieder: Der finanzielle Aufwand pro Anmeldung beträgt nur noch etwa ein Zehntel der früher dreistelligen Eurosumme.
Automatisierung als Teil der Strategie
Für André Schütte, Geschäftsführer der Beratungsfirma Morayma, zeigt das Beispiel Wellyou, dass Automatisierung von Prozessen auch im Marketing und Vertrieb die Produktivität steigert „und damit direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes einzahlt“. Unternehmen, die bei dieser Transformation konsequent vorgingen, realisierten Effizienzgewinne, „mit denen sie gegenüber ihrer Konkurrenz die Nase vorn haben“. Der Berater stellt aber auch klar: „Erfolgsentscheidend ist, dass Automatisierung nicht nur einzelne Abläufe optimiert, sondern übergreifend in die Unternehmensstrategie integriert wird.“ Schütte sieht oft, dass Unternehmen zwar in moderne Technologien investieren, aber nicht immer die für ihre Anforderungen richtigen Softwarelösungen auswählen. Sie kaufen häufig zu komplexe oder zu teure Lösungen ein. So entstünden neben den Lizenzkosten hohe Aufwendungen für die Implementierung sowie für Projektmanagement und Schulungen, erklärt der Berater. „Die Wahl der richtigen Systeme ist die halbe Miete.“ Die andere Hälfte sei es, mit relevanter Kommunikation zur richtigen Zeit über den richtigen Kanal die Customer Experience zu optimieren. „Die Tools sind dabei nur Mittel zum Zweck. Vielmehr geht es um den richtigen Content und die personalisierte Kundenansprache damit die Werbung als relevant wahrgenommen wird.“
Die Voraussetzung für Digitalisierungs- und Automatisierungsprozesse ist eine solide Datenbasis. Schütte: „Die Qualität digitaler Marketing- und Vertriebsmaßnahmen über CRM-, Automation- und Analyse-Tools steht und fällt mit der Qualität der zugrunde liegenden Daten.“
Kein Wunder, dass die Nutzung von Bits und Bytes für diese Zwecke rasant gestiegen ist. Laut dem DXC Digital Future Monitor 2025, für den 300 IT-Führungs- und -Fachkräfte im deutschsprachigen Raum befragt wurden, werten mittlerweile sieben von zehn Unternehmen Daten aus, um ihre Kunden besser zu verstehen. Das sind 20 Prozent mehr als 2022. Jeder zweite Betrieb setzt Künstliche Intelligenz (KI) ein, um Prozesse zu automatisieren, 41 Prozent nutzen sie für Simulationsaufgaben. In der Produktion soll KI, so die befragten Manager, in erster Linie Kosten senken (83 Prozent), Entscheidungen datengestützt verbessern und Mitarbeiter von belastenden Aufgaben befreien (je 84 Prozent).
Brainstorming mit dem Bot
Im Marketing kann KI noch viel mehr, erläutert Bruno Messmer vom global tätigen IT-Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen DXC Technology. „Die Nutzung von großen Sprachmodellen auf der Basis neuronaler Netze ist jetzt eine neue Dimension. Sie macht einen weiteren Sprung in der Kreativität möglich.“ Beispiel Brainstorming: Zerbrachen sich bisher Teams von Menschen den Kopf über kreative Ideen, lassen sich nun unzählige virtuelle Helfer nutzen. „Man nennt der KI seinen Wunsch, beispielsweise eine Social-Media-Kampagne für ein neues Rennrad für Teenager, und erhält sekundenschnell einen maßgeschneiderten Text mit mehreren möglichen interessanten Headlines und inspirierenden Videos“, so Messmer. Aus diesen Entscheidungsvorlagen brauchen die Verantwortlichen jetzt nur noch eine Version auswählen, mit der man dann weiterarbeitet.“
Mit der Automatisierung von Arbeitsabläufen lassen sich die Qualität und Transparenz verbessern und die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen. So nutzen immer mehr Unternehmen und Agenturen über Online-Plattformen digitale Werbeplätze, die automatisiert angesteuert werden.
Passgenau lässt sich mit dieser Methode auf LED-Boards an Straßen bei Sonnenschein für Eiscreme werben, bei Regen für Urlaubsreisen. Eurowings bewirbt so automatisiert nach Analyse der Buchungsdaten nur die Flugstrecken, auf denen noch viele Plätze frei sind. Die Kundenkontaktkosten der Airline sind dadurch um 33 Prozent gesunken, die Umsätze um 20 Prozent gestiegen. Die Drogeriemarktkette Rossmann promotet über Smart TV, also internetverbundene Geräte, die Eigenmarke Babydream zielgruppengenau. Der Erfolg: pro 1.000 Werbekontakte 20 zusätzliche Verkäufe. Programmatic Advertising, also der automatisierte, datenbasierte Ein- und Verkauf von Werbeflächen in Echtzeit, – wobei Algorithmen und KI für zielgerichtete Ausspielung sorgen – sowie die Budgetoptimierung und Performance-Messung, gehen so weit, dass Netflix-Zuschauer, die dieselbe Serie zum selben Zeitpunkt sehen, unterschiedliche Werbespots erhalten: Der Auto-Liebhaber sieht einen Audi-Spot, die Familie ein neues Gesellschaftsspiel, der Globetrotter ein Fernreiseziel. Diese Individualisierung im Marketing ist vergleichbar mit Losgröße 1 in der Produktion.
Ein Erfolgsfaktor bei der Implementierung neuer und automatisierter Abläufe ist die Einbindung der Mitarbeiter. Die schauen oft skeptisch auf neue Verfahren, insbesondere wenn sie Angst haben, dass sich ihr Job verändert oder sogar gestrichen wird. Experten raten Führungskräften, eine klare Strategie zu verfolgen, offen zu kommunizieren und die Betroffenen zu Mitgestaltern zu machen. Weil Marketing Automation von den Mitarbeitern ein Umdenken erfordert, müssen sie die neuen digitalen Werkzeuge verstehen, akzeptieren und für sich nutzen können. Deshalb sind Schulungen und Change Management essenziell. Schütte rät: „Die Systemlandschaft muss nicht über Nacht umgekrempelt werden. Gehen Sie schrittweise vor und passen Sie das Tempo dem Umdenkungsprozess Ihrer Mitarbeiter an!“
Das nächste große Ding
Die Entwicklung geht weiter. Nach der Digitalisierung, der Automatisierung und dem Gebrauch erster KI-Tools kommt als nächster Schritt der Einsatz autonomer KI-Agenten. Für Michael Koch, Director Data Analytics & AI bei Lufthansa Industry Solutions (LHIND), sind die Möglichkeiten dieser Agentic AI beindruckend. „KI-Agenten können nicht nur Informationen bereitstellen, sondern auch autonom Entscheidungen treffen und Handlungen ausführen.“ Der IT-Dienstleister setzt KI-Agenten schon im eigenen Wissensmanagement ein und hat für die Lufthansa Group ein Programm entwickelt, das komplexe Kundenanfragen aus unstrukturierten E-Mails vollautomatisch verarbeitet. Trotz Regulierungen, etwa durch die EU, sei das Potenzial für Effizienzsteigerungen enorm: „Unternehmen müssen KI-Experimente wagen und gleichzeitig Verantwortung übernehmen, also die richtige Balance zwischen Innovation und Sicherheit finden.“ Um das dafür notwendige Know-how möglichst vielen Unternehmen zugänglich zu machen, hat sich eine Allianz gegründet, in der sich neben LHIND auch Unternehmen wie Otto, Airbus, PwC und TUI Cruises engagieren.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hoffmann
Bildnachweis: Getty Images