Creditreform Magazin

Überschuldung: Warum die Zahl der älteren Menschen steigt

Wem in jungen Jahren die Schulden über den Kopf wachsen, findet nicht selten einen Weg, sich aus dem Dilemma zu befreien. Anders sieht das bei älteren Schuldnern aus. Diese Situation wird sich in den nächsten Monaten noch verschärfen.

In vielen deutschen Städten dienten die Türme der Stadtbefestigung im Mittelalter als Gefängnisse. Mindestens ein Turm war dabei für diejenigen reserviert, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen konnten. Aus dieser Zeit stammen die Begriffe des „Schuldenturms“ oder des „Schuldgefängnisses“.

Auch wenn es schon lange keine Schuldhaft mehr gibt, ist der Terminus „Schuldenturm“ bis heute gebräuchlich – als Metapher für den Fall einer harten Überschuldung. Aus dem Schuldenturm gibt es nur selten ein Entrinnen. Doch genau dieses Kunststück ist im Verlauf dieses Jahres etwa 188.000 Menschen in Deutschland gelungen. Das ist eine der wenigen mutmachenden Aussagen im SchuldnerAtlas Deutschland 2020, den Creditreform, Boniversum und Microm gemeinsam erstellt haben.

Überschuldung kann viele Ursachen haben. Und sie besitzt häufig eine sehr unterschiedliche Intensität. Ganz grob unterscheiden Experten zwischen Fällen „weicher“ und „harter“ Überschuldung. Bei Ersteren sind Verbraucher zwar mehrfach ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen, aber es ist noch kein Mahn- oder Vollstreckungsbescheid ergangen. Dagegen liegt „harter“ Überschuldung meist ein juristischer Sachverhalt zugrunde. Betroffene sind gefangen in einer dauerhaften Schuldenspirale. Zum Jahresende 2019 steckten dem SchuldnerAtlas zufolge 4,01 Millionen Menschen in genau dieser Situation – 188.000 von ihnen gelang es in den folgenden Monaten, sich daraus zu befreien.

Junge Verbraucher entschulden sich eher

Diese Entwicklung korrespondiert mit dem seit mehreren Jahren registrierten Rückgang der Zahl der Verbraucherinsolvenzen. Eine Erklärung dafür liefert die Altersstruktur der Betroffenen: Wer dem Schuldenturm entkommt, ist meist jünger als 50 Jahre und besitzt – auch aufgrund der immer noch vergleichsweise guten wirtschaftlichen Situation – Möglichkeiten, durch Erwerbsarbeit wieder seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Wer dagegen seinen 60. oder gar 70. Geburtstag hinter sich hat, findet meist keinen Ausweg mehr aus dem Schuldenkarussell.

Unwirtschaftliche Haushaltsführung

Die Autoren des SchuldnerAtlas haben Sorge, dass die Zahl der harten Überschuldungen jedoch schon bald wieder deutlich steigen wird. Warum? Zum einen, weil im Jahresverlauf 2020 wieder deutlich mehr Menschen (plus 4,1 Prozent oder 119.000 Fälle) in den Zustand der „weichen“ Überschuldung geraten sind – was oft der Einstieg in eine Überschuldungsspirale ist. Auslöser dafür waren weniger ökonomische Gründe wie Arbeitslosigkeit oder eine gescheiterte Selbstständigkeit. Vielmehr gerieten immer mehr Verbraucher aufgrund einer unwirtschaftlichen Haushaltsführung in finanzielle Bedrängnis. 

Die Sparquote steigt

Die Corona-Pandemie wird dazu führen, dass die Überschuldung zunehmen wird. Schätzungen zufolge erleiden derzeit etwa 14,7 Millionen Haushalte in Deutschland Einkommenseinbußen infolge von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder weil sie ihre Selbstständigkeit nur eingeschränkt ausüben können. Stark betroffen sind vor allem Gering- und Normalverdiener, die oft auch vergleichsweise geringe finanzielle Reserven besitzen. Dank staatlicher Hilfsmaßnahmen hat diese Entwicklung bisher zu keinen schlimmen sozialen Auswirkungen geführt. Berechnungen der DZ-Bank zufolge hatten die privaten Haushalte während der ersten Corona-Welle nur unwesentlich weniger Geld zur Verfügung als zuvor.

Aus Sorge um die Zukunft und weil während des Lockdowns weniger Möglichkeiten bestanden, zu konsumieren, legten viele Menschen Geld zur Seite. Die Sparquote erhöhte sich auf zeitweise mehr als 20 Prozent. Für das Gesamtjahr erwarten die Autoren des SchuldnerAtlas einen Wert von etwa 18 Prozent. Dennoch, so das Fazit der Untersuchung „sind die Perspektiven für die Überschuldungsentwicklung besorgniserregend, da die Corona-Pandemie eine weitere Polarisierung der Einkommen bewirkt“. Bereits jetzt deuteten sich finanzielle Überlastungen an, die zeitlich versetzt zu einem Anstieg der Überschuldungsfälle führen würden.

Mehr unter: www.creditreform.de/schuldneratlas2020


„Einkommenseinbußen machen den Verbrauchern zu schaffen“

Drei Fragen an Stephan Vila, Geschäftsführer Boniversum

Infolge der Corona-Krise ist mit einem deutlichen Anstieg der Überschuldungsfälle zu rechnen. Warum ist das aktuell noch nicht zu erkennen?
Überschuldet ist man nicht von heute auf morgen. Eine Krisensituation kann man dank staatlicher Hilfen, Rückgriff auf Erspartes und Reduzierung des Konsums eine Weile gut überstehen. Erst wenn sich die Lage über einen längeren Zeitraum nicht bessert, kann es zu ersten Zahlungsschwierigkeiten kommen. Wie schnell dann die Gläubiger reagieren, wie die konkreten Mahnprozesse aussehen und wann sich daraus Negativmerkmale ergeben, die letztendlich die Überschuldung sichtbar machen, ist höchst individuell und kann zeitlich zwischen einigen Wochen und mehreren Monaten liegen.

Laut SchuldnerAtlas ist ein Anstieg der weichen Negativmerkmale zu beobachten. Ist dies schon ein Indikator dafür, dass sich die Lage bald ändern könnte?
Ja. Denn auch ein weiches Negativmerkmal setzt voraus, dass eine Forderung seit mindestens 30 Tagen fällig, unbezahlt, unbestritten und mindestens zweimal angemahnt worden ist. Der Weg zu weiteren Merkmalen ist da nicht mehr so weit. In den Monaten Mai, August und Oktober haben wir eine repräsentative Verbraucherumfrage zur wirtschaftlichen Lage durchgeführt. Die Ergebnisse sind eindeutig: Einkommenseinbußen, Angst vor Zahlungsschwierigkeiten und schon jetzt gestundete Kreditverträge machen den Verbrauchern zu schaffen.

Was bedeutet das für Händler und Dienstleister, die im B2C-Geschäft tätig sind?
Die Risiken eines Zahlungsausfalls werden deutlich zunehmen. Händler und Dienstleister im B2C-, aber auch im B2B-Geschäft müssen ihrem Risikomanagement daher höchste Aufmerksamkeit schenken und ihre Entscheidungen auf Basis valider Daten treffen. Die Creditreform Gruppe ist sehr gut vorbereitet, ihre Kunden und Mitglieder bedarfsgerecht und in jeder Lage zu unterstützen.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Weber