Folge 3: Kein Ausweg mehr – Die Firmenpleite ist da

Viele Unternehmer wissen nicht, wie schnell eine finanzielle Krise juristisch Konsequenzen nach sich zieht. Der Insolvenzantrag, nur einen Tag zu spät gestellt, wird zur Straftat. In Deutschland laufen zehntausende Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzstraftaten. Oft ausgelöst durch Unwissen, Überforderung – oder falschen Stolz. In Folge 3 unserer Serie „Endstation Insolvenz?“ zeigen wir, was auf dem Spiel steht.

Lesen statt hören: Insolvenz Podcast Folge 3

Tanja Könemann: Die Elektro Rösler GmbH stand kurz vor der Insolvenz. In den ersten beiden Folgen unserer Podcast-Serie haben wir zurückgeschaut ins Krisenjahr 2021. Damals musste ganz dringend ein Sanierungsplan her. Unternehmenschef Wolfgang Straubinger war der Situation allein nicht mehr gewachsen und holte sich einen erfahrenen Unternehmensberater an die Seite. Zwei Jahre später hatte er es geschafft. Die Krise war vorüber und das Unternehmen wieder auf Kurs. Unternehmensberater Markus Exler hat ihn während der Sanierungsphase begleitet. Zwei Gründe für den Erfolg.

Markus Exler: Das eine ist ein Grund, der in seiner Person liegt − dass er diese Situation meiner Einschätzung nach als Chance gesehen hat. Er hat das Ruder in die Hand genommen, hat zu sich selber gesagt, das darf mir nicht mehr passieren und hat sich intensiv damit auseinandergesetzt. Ist also salopp gesagt in dieser Situation oder an dieser Situation gewachsen. Nicht zerbrochen, sondern gewachsen. Das ist das eine. Und zum anderen muss man auch sagen, es gab gewisse glückliche Umstände, die aus der Vergangenheit stammen − dass wir eben nicht nur ein Unternehmen haben, wir haben eine ganze Gruppe an Unternehmen gehabt mit Tochter- und Schwestergesellschaften, die wir dann im zweiten Jahr dieser Sanierungsphase miteinander verschmolzen haben, sodass wir hier dieses in die Krise geratene Unternehmen ganz gut heilen konnten.

Tanja Könemann: Zwei Effekte, ein Ergebnis. Ein Unternehmer, der aus der Krise lernt. Und eine Struktur, die wieder zusammenwächst, statt wie vorher auseinanderzufallen. Für die Elektro Rössler GmbH wird die Sanierung nicht zum Ende, sondern zum Neuanfang. Doch nicht jeder hat so viel Glück. In dieser Folge lernen wir eine Unternehmerin kennen, die eine Insolvenz nicht mehr hat abwenden können. Claudia Bergmann haben wir anonymisiert. Sie hat jahrelang ein erfolgreiches Familienunternehmen geführt, doch dann ändert sich der Markt. Damit wird die Nachfrage nach ihren Produkten immer weniger. Schließlich ändert sich Bergmanns ganzes Leben.

Jingle: Endstation Insolvenz? Fall und Aufstieg eines Mittelständlers. Eine Podcast-Serie über wirtschaftliche Krisen, radikale Entscheidungen und unerwartete Chancen.

Claudia Bergmann: Also mein Unternehmen war ein kleines Familienunternehmen mit rund 13 Mitarbeitern. Wir waren tätig im Bereich der Lkw-Fahrzeugfertigung und wir waren spezialisiert auf Produkte für den Weltreisemarkt. Die Krise begann schleichend mit einem Rückgang der Verkaufszahlen. Gründe waren verstärkter Wettbewerb und veränderte Kundenbedürfnisse. Und wir haben einfach versäumt, rechtzeitig auf diese Änderungen zu reagieren. Und das führte zu finanziellen Engpässen.

Tanja Könemann: Der Einbruch kommt nicht plötzlich, sondern in Etappen, wie ein leises Rausrutschen aus der Stabilität.

Claudia Bergmann: Der Moment war für mich sehr prägend, als ich keine Gehälter mehr zahlen konnte. In der Phase habe ich dann angefangen, nachts wachzuliegen und über Probleme zu grübeln. Sozialer Rückzug war auch ein Thema. Ich habe es vermieden, Freunde und Familie zu treffen, weil ich mich einfach so stark mit den geschäftlichen Herausforderungen identifiziert habe. Ich fühlte mich isoliert und unter Druck.

Tanja Könemann: Hilfe zu holen, daran denkt sie. Aber der Stolz steht ihr im Weg.

Claudia Bergmann: Der Gedanke kam mir durchaus. Allerdings war ich in dem Moment überzeugt, dass wir die Situation intern noch irgendwie lösen können. Rückblickend würde ich sagen, einen externen Berater hinzuzuziehen, das wäre möglicherweise der richtige Schritt gewesen. Aber Entscheidungen fielen mir zunehmend schwerer, weil ich immer mehr Risiken abwägen musste, ohne klare Antworten zu finden. Und das ständige Abwägen führte zu einer Art Handlungsunfähigkeit. Ich hatte einfach Angst, falsche Entscheidungen zu treffen.

Tanja Könemann: Die Banken werden kritischer, die Gespräche härter. Der Rückhalt im eigenen Unternehmen schwindet zugleich.

Claudia Bergmann: Während einige Mitarbeiter Verständnis gezeigt haben, habe ich gespürt, dass viele besorgt sind. Das Verhältnis war einfach angespannt.

Tanja Könemann: Dann kommt der Moment, an dem kein Aufschub mehr hilft. Als die Insolvenz unausweichlich wird, fällt alles zusammen. Betrieb, Struktur, Bergmanns Identität auch.

Claudia Bergmann: Es war eine Mischung aus Angst und Verzweiflung. Wut war auch dabei, aber eher gerichtet auf mich selbst, weil ich das Gefühl hatte, versagt zu haben. Und die enorme Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und deren Familien, die lastete schwer auf mir. Der Moment der Insolvenz war ein emotionaler Zusammenbruch. Es fühlte sich an, als würde der Boden unter mir wegziehen. Gleichzeitig war eine leise Hoffnung da, dass es nun Raum für einen Neuanfang geben könnte. Aber der Schmerz über den Verlust war einfach überwältigend.

Tanja Könemann: Dass eine Insolvenz durchaus auch ein Grund zur Hoffnung sein kann, bestätigt Unternehmensberater Jens Titze. Er begleitet Firmen genau in dieser Phase, wenn aus Zahlen juristische Fakten werden.

Jens Titze: Grundsätzlich gibt es drei Antragsgründe. Zwei davon sind Pflichtgründe. Der eine ist die sogenannte Zahlungsunfähigkeit. Das heißt, ich bin nicht mehr in der Lage, bis zu 90 Prozent meiner Verbindlichkeiten, die heute fällig sind − heute, hier und jetzt − sofort zu zahlen. Und der zweite Pflichtantragsgrund ist die Überschuldung. Da habe ich zunächst einmal Mal zu prüfen: Kann ich mit der Planung nach vorn zwölf Monate noch von einer positiven Prognose ausgehen. Also bin ich dann immer wahrscheinlich liquid in den zwölf Monaten. Wenn nein, habe ich dort noch die zweite Stufe zu prüfen: Ob ich auch überschuldet bin im Sinne der Insolvenzordnung. Das heißt, nach einem unterstellten Liquidationsverfahren: Bin ich noch in der Lage, die Beerdigung des Unternehmens ordnungsgemäß zu bezahlen. Wenn ich beides, keine Prognose und auch diese Liquiditätsbilanz nicht mehr habe, dann bin ich überschuldet und auch insolvenzantragspflichtig. Und im dritten, das ist Beratertum, wenn die Insolvenz die besseren Sanierungsaussichten in sich trägt. Also da muss man auch sagen, man spielt mal so eine Insolvenz durch − was kann da rauskommen. Und dann kann das durchaus ein Szenario sein, was man gehen möchte, weil man für das Unternehmen die bessere Sanierungsthematik rausholt.

Tanja Könemann: Insolvenz als Instrument, nicht als Ende. Das ist der Gedanke, den viele erst verstehen, wenn sie selbst betroffen sind. Eine Insolvenz kann ein Befreiungsschlag sein oder der Beginn einer zweiten Krise. Nicht wirtschaftlich, sondern juristisch. Wir treffen Manon Heindorf. Die Rechtsanwältin begleitet Unternehmerinnen und Unternehmer, wenn aus finanziellen Schwierigkeiten strafrechtliche Konsequenzen werden. Viele ahnen nicht, dass mit der Insolvenz nicht nur das Unternehmen, sondern auch sie selbst im Fokus stehen. Rund 30 .000 Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzstraftaten gab es im Jahr 2024. Hinter jedem dieser Verfahren steckt eine Geschichte. Und fast immer steht am Anfang dasselbe: Unwissen.

Manon Heindorf: Ich habe die Erfahrung gemacht und ich weiß es auch von Kollegen, dass das Wissen über Insolvenzstraftaten oder generell Wirtschaftsstraftaten in diesem Bereich fast bei null ist bei den Unternehmern. Die sind verständlicherweise darauf erpicht, das Unternehmen am Laufen zu halten. Häufig sind es ja auch Familienunternehmen, dann spielen nochmal ganz andere Komponenten eine Rolle. Und da sind die Gedanken überhaupt nicht dabei, was ist jetzt möglicherweise strafbar, was ich hier mache. Und die strafrechtlichen Konsequenzen, die knüpfen ja schon relativ früh in diesem Stadium an. Und auch das wissen die meisten Mandanten tatsächlich nicht. Aber es ist nun mal so, das ist jetzt ein ganz abgedroschener Spruch: Unwissen schützt vor Strafe nicht, aber so ist es tatsächlich.

Tanja Könemann: Wenn das Verfahren läuft, kommt die Erkenntnis meist spät und hart.

Manon Heindorf: Meistens ist es so, dass im Aufklärungsgespräch ihnen dann die Schuppen vor den Augen fallen, weil sie überhaupt damit gar nicht gerechnet haben und vor allen Dingen nicht mit den Konsequenzen. Und wenn wir eben dann beispielsweise beim Geschäftsführer von der GmbH sind oder beim Vorstand von einer Aktiengesellschaft, da haben wir noch viel weitere Folgen. Zum Beispiel den Ausschluss aus der Organtätigkeit für fünf Jahre. Und das kann man immer so weiterspinnen. Es gibt ja noch viel weitere Nebenfolgen, die da eine Rolle spielen. Wie ein Ausschluss aus den öffentlichen Aufträgen, Eintragung ins Wettbewerbsregister, jetzt Gewerbezentralregister und solche Geschichten. Das ist so ein ganzer Rattenschwanz, der sich da hinterher zieht. Ich brauche ja nur eine Woche zu spät den Insolvenzantrag stellen. Es reicht auch schon ein Tag − ja, dann bin ich im Straftatbestand drin. Und dann geht die ganze Maschinerie los. Eine große Komponente spielen da auch steuerrechtliche Fragen, weil häufig ist in so einer Unternehmensinsolvenz auch ein großes Problem, dass irgendwelche Steuern nicht gezahlt wurden. Und dann hat man eben noch das Problem der Steuerhinterziehung und das Finanzamt klopft auch noch an.

Tanja Könemann: Wer in dieser Situation Fehler erklären will, muss schonungslos offenlegen, wie es dazu kam. Am Ende geht es oft um Schadensbegrenzung.

Manon Heindorf: Dann kann man höchstens schauen, wie man das Ganze vielleicht sogar noch im Ermittlungsverfahren irgendwie glattgezogen kriegt, mit vernünftigen Stellungnahmen. Insbesondere spielen da natürlich auch die persönlichen Verhältnisse eine Rolle. Wieso ist es jetzt überhaupt dazu gekommen? Was sind die Faktoren, dass es dazu gekommen ist, dass ich beispielsweise keinen Insolvenzantrag gestellt habe oder verspätet einen Insolvenzantrag gestellt habe? Das muss man natürlich den Strafverfolgungsbehörden dann auch mal erläutern, denn die sehen ja nur die Akte. Die kennen den Menschen ja hinter der Akte nicht. Ziel so einer Sache ist es ja häufig, das Verfahren eingestellt zu bekommen. Das funktioniert nicht immer. Das muss man auch ganz deutlich sagen.

Tanja Könemann: In fast allen Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Insolvenzverschleppung. Aber es gibt noch eine Reihe weiterer Insolvenzstraftaten.

Manon Heindorf: Das Minenfeld ist da relativ groß und der Bankrottatbestand auch ein riesengroßes Thema, insbesondere das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen oder das Verschleiern oder die Eingehung von Spekulationsgeschäften, eben in der Hoffnung, dass man jetzt nochmal den einen großen Deal macht, um aus dieser ganzen Misere rauszukommen. Und wenn das klappt, ist auch alles gut, dann ist das auch nicht strafbar. Wenn das nicht klappt, dann sind wir eben im Bankrottatbestand. Die Unternehmer beziehungsweise Geschäftsführer, die denken da vielleicht in dem Moment gar nicht daran, dass das strafbewehrt ist, weil sie einfach ihre Vermögen sichern wollen, möglicherweise auch zugunsten der Familie. Das ist alles nachvollziehbar. Aber da ist es umso wichtiger, dass man sich da eben auch strafrechtlichen Rat einholt, bevor man das macht.

Tanja Könemann: Damit sind wir wieder bei den Erkenntnissen, die wir schon aus den ersten beiden Folgen unserer Podcast-Serie kennen. Früh handeln, ehrlich bleiben, Rat einholen, denn das schützt nicht nur das Unternehmen, es schützt auch die eigene Zukunft. Claudia Bergmann hat den Schritt getan, vor dem viele zurückschrecken. Sie hat den Insolvenzantrag gestellt. Rechtzeitig und korrekt. Kein Zögern, kein Verschleppen. Ihr Verfahren wird eröffnet. Aus Schock wird Struktur. Jetzt übernehmen Insolvenzverwalter und Gericht, was früher allein auf ihren Schultern lag. Für Bergmann beginnt eine neue Phase zwischen Verlust und Ordnung. In der nächsten Folge schauen wir uns an, welche Konsequenzen ein Antrag hat und wie ein Insolvenzverfahren abläuft. Vorher fassen wir noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse dieser Folge zusammen: Erstens, wer den Insolvenzantrag fristgerecht stellt, wahrt nicht nur gesetzliche Pflichten. Er schützt auch seine eigene Glaubwürdigkeit. Zweitens: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht; fehlende Kenntnisse über Insolvenz und Wirtschaftsstrafrecht entbinden nicht von der Verantwortung. Wer auf Nummer sicher gehen will, sucht rechtzeitig einen Rechtsbeistand. Drittens: eine Insolvenz ist kein Ende, sondern ein Verfahren. Richtig eingeleitet, schafft sie Ordnung. Sie schützt vor Strafe und sie kann auch die Basis für einen Neuanfang legen. Ganz wichtig: Diese Podcast-Serie ersetzt keine rechtliche oder wirtschaftliche Beratung. Alle Aussagen basieren auf Gesprächen mit Experten. Sie dokumentieren die Erfahrungen der Beteiligten. Jede Insolvenz folgt eigenen rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen. Und jetzt hören sie am besten direkt rein in die vierte Folge.  

Jingle: Endstation Insolvenz? Fall und Aufstieg eines Mittelständlers. Moderiert von Tanja Könemann. Redaktion Simone Nissen. Gefällt Ihnen, was Sie hören? Dann bewerten Sie uns gerne auf Spotify oder Apple Podcast und abonnieren Sie diesen Kanal.