Folge 4: Das harte Verfahren – zwischen Bangen und Hoffen

Der Insolvenzantrag ist gestellt – und plötzlich läuft alles im Eiltempo. Gericht, Verwalter, Gläubiger... Entscheidungen fallen in Minuten. Für unsere Protagonistin beginnt jetzt die härteste Phase. In Folge 4 unserer Serie „Endstation Insolvenz?“ zeigen wir: Warum Offenheit zur wichtigsten Währung wird, weshalb ein Insolvenzverwalter kein Gegner ist und wie sich ein Betrieb stabilisiert – oder geordnet abgewickelt wird.

Lesen statt hören:

Claudia Bergmann: Es fühlte sich an, als würde der Boden unter mir wegziehen. Gleichzeitig war eine leise Hoffnung da, dass es nun Raum für einen Neuanfang geben könnte.

Tanja Könemann: Den Insolvenzantrag stellen, so hat es sich angefühlt. Das hat Claudia Bergmann in der vergangenen Folge unserer Podcast-Serie beschrieben. Claudia Bergmann heißt eigentlich anders. Wir haben nicht persönlich mit ihr gesprochen. Aber wir durften ein schriftliches Interview mit ihr vertonen. Jetzt schauen wir auf das, was danach kommt, das Insolvenzverfahren. Was passiert, wenn der Antrag gestellt ist? Wie arbeiten Gericht, Insolvenzverwalter und Gläubiger miteinander? Und was bedeutet das alles für Unternehmer?

Jingle: Endstation Insolvenz? Fall und Aufstieg eines Mittelständlers. Eine Podcast-Serie über wirtschaftliche Krisen, radikale Entscheidungen und unerwartete Chancen.

Tanja Könemann: Das Insolvenzverfahren von Claudia Bergmanns Familienbetrieb ist also eröffnet. Ab jetzt bestimmen Akten, Termine und Fristen den Alltag. Mit dem Insolvenzantrag kommt ein neuer Protagonist ins Spiel, der Insolvenzverwalter. Einer von ihnen ist Christoph Niering. Niering ist sogar mehr als das. Er ist auch Vorsitzender beim Insolvenzverwalterverband VID. Sein Job beginnt, wenn andere längst den Überblick verloren haben. Für Niering zählt zum Alltag, was für Unternehmer der wohl schwerste Schritt ist, einen Insolvenzantrag zu stellen. Niering weiß, kaum ein anderes Verfahren läuft so schnell an.

Christoph Niering: Wenn es ein größeres Unternehmen ist, über das wir hier reden, dann kommt der Antrag nicht einfach mit der Post oder mit dem besonderen anwaltlichen Postfach, sondern dann gibt es meistens einen anwaltlichen Berater oder einen wirtschaftlichen Berater, der den Antrag ankündigt bei Gericht. Und das Insolvenzverfahren ist ein Eilverfahren, das heißt, der Richter spricht mit dem Antragsteller, guckt sich die Akte kurz an; wenn er sieht, der Antrag ist gut formuliert, er ist vollständig, dann greift er in der Regel zum Telefonhörer und ruft den Sachverständigen, den vorläufigen Insolvenzverwalter, an, den er sich ausgesucht hat und nimmt Erstkontakt auf. Häufig gibt es nur den Namen des Unternehmens, den Namen des Geschäftsführers und das gerichtliche Aktenzeichen. Und die Akte gibt es dann hinterher und dann setzt man sich als vorläufiger Insolvenzverwalter schon in Bewegung. Das ist also ganz anders, als man sich das vorstellt bei Gerichtsverfahren. Die dauern nicht Wochen und Monate, sondern es ist ein Eilverfahren, wo Entscheidungen innerhalb von wenigen Minuten oder Stunden getroffen werden.

Tanja Könemann: Entscheidungen in Minuten. Ein scharfer Kontrast zur Langsamkeit, mit der viele Krisen entstehen. Bevor jemand wie Niering übernimmt, prüft das Gericht, welches Verfahren überhaupt passt. Denn der Gesetzgeber sieht verschiedene Möglichkeiten vor.

Christoph Niering: Ja, er hat ja vor vielen Jahren das Insolvenzrecht reformiert, damals mit einem Gesetz kurz abgekürzt, ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen), und wollte dort erstmal den Geschäftsführern einen Anreiz geben, selber im Privacy zu bleiben, also selbst in der Geschäftsführung in Form der Eigenverwaltung, eine besondere Form des Schutzschirmverfahrens. Das sind beides Insolvenzverfahren, aber es sind eben Verfahren, wo der Geschäftsführer die Geschicke des Unternehmens weiterbestimmen kann und er bekommt nur einen Sachwalter an die Seite gestellt. Das ist für all die der richtige Weg, die frühzeitig kommen, die ein funktionierendes Geschäftsmodell haben, die auch Sanierungsperspektiven haben. Viele kommen spät, die haben diese Option nicht mehr, die gehen dann ins Regelinsolvenzverfahren. Da hat man einen etwas härteren Cut und als Geschäftsführer nicht mehr ganz die Option, die Handlungsoption, die Freiheiten, die man in so einem Eigenverwaltungsverfahren hätte.

Tanja Könemann: Zwei Wege also − Eigenverwaltung oder Regelverfahren. Das eine lässt den Unternehmern noch Spielraum, das andere überträgt die Entscheidungen an den Verwalter.

Christoph Niering: Im Regelverfahren bin ich zunächst im Grunde wie ein zweiter Geschäftsführer bestellt, als vorläufiger Insolvenzverwalter. Heiße ich nicht, weil ich dann durch einen anderen abgelöst werde, sondern weil wir in Deutschland eine Vorphase, eine Prüfungsphase haben. Und mit der Eröffnung wird aber aus dem vorläufigen Insolvenzverwalter der Insolvenzverwalter, der dann auch alleiniger Geschäftsführer ist, der bestimmt die Geschicke des Unternehmens.

Tanja Könemann: Viele glauben, mit dem Antrag sei der Betrieb sofort am Ende. Aber das ist ein Missverständnis.

Christoph Niering: Das, glaube ich, ist der größte Irrtum, dass mit dem Insolvenzantrag auch gleichzeitig Schluss ist im Betrieb. Das hat sich über Corona ein bisschen verbessert, vielleicht sogar deutlich verbessert, weil mehr und mehr verstanden wird, dass so eine Insolvenz auch manchmal einfach zwingend erforderlich ist − weil Geld fehlt von Dritten, weil Aufträge weggebrochen sind und dann auch verstanden wird, das, was die deutsche und die europäische Politik beabsichtigt, nämlich die Politik der zweiten Chance, also dass eine Insolvenz echt zweite Chance ist, sich neu aufzustellen.

Tanja Könemann: Wenn das Gericht den Antrag prüft und den vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Die ersten Tage entscheiden, ob der Betrieb sich stabilisiert. Christoph Niering kennt diese ersten Tage besser als jeder andere. Als Insolvenzverwalter erlebt er, wie aus Schock plötzlich Aktion wird.

Christoph Niering: Es ist eine große Dynamik da, denn es gibt ja auch im insolventen Unternehmen schon vorher eine gewisse Mangelsituation. Vielleicht mangels an Vorräten, vielleicht haben die Mitarbeitenden schon das letzte Gehalt nicht ausgezahlt bekommen, vielleicht wird der Strom schon bald abgestellt und ähnliches. Also der Insolvenzverwalter muss sehr schnell handeln und er ist gewohnt sehr schnell zu handeln. Viele meiner Kollegen vergleichen es ja mit einem Notarzt, der weiß ja auch innerhalb kürzester Zeit, die Situation zu analysieren und die wichtigen Schritte zu gehen, um erstmal den Patienten und wir hier in dem Fall den Unternehmer und das Unternehmen zu stabilisieren.

Tanja Könemann: In dieser Phase zählen Präsenz und Empathie.

Christoph Niering: Ja, man kann in den ersten 48 Stunden unheimlich viel Vertrauen aufbauen über Präsenz als Verwalter. Dass man vor Ort ist mit der Mitarbeitervertretung, mit dem Betriebsrat zu reden, schnell eine Betriebsversammlung einzuberufen, was natürlich bei Filialbetrieben nicht ganz so einfach ist, aber das geht auch über Videokonferenzen. Einfach mal zu sagen, da ist jetzt jemand da und der Auge in Auge den Menschen erklärt, wo stehen wir und was ist die Perspektive.

Tanja Könemann: Wie wichtig Vertrauen ist, haben wir in den zurückliegenden Folgen unserer Podcast-Serie immer wieder gehört. Auch in dieser Phase einer Insolvenz ist es die wichtigste Währung. Denn Misstrauen kann den Prozess zum Stillstand bringen. Während im Gericht Akten gewälzt werden, geht es im Betrieb um die Menschen. Wie lässt sich eine Belegschaft beruhigen, die auf Kündigungen wartet und trotzdem funktionieren muss?

Christoph Niering: Durch direkte Ansprache, durch Offenheit und Ehrlichkeit. Viele sprechen immer von Transparenz. Ich benutze lieber die beiden vorgenannten Begriffe, weil, das schätzen Mitarbeiter, das sehen Mitarbeiter auch, dass man da steht, dass man ehrlich steht in seiner Aussage dort und dass man auch offen ist. Man muss gleichzeitig aber auch den Spagat bewältigen zwischen Zuversicht und realistischer Einschätzung. Und das ist nicht einfach, findet aber eben im direkten Austausch statt in einer Belegschaftsversammlung. Und wir haben es oft erlebt, dass schon nach der ersten Belegschaftsversammlung dann auf einmal Applaus kommt am Ende. Obwohl man als Insolvenzverwalter auftritt, weil man vielleicht genau die richtige Mitte getroffen hat zwischen beiden. Und dann als zweites, man muss im regelmäßigen Austausch stehen.

Tanja Könemann: In diesem Moment zeigt sich, dass ein Insolvenzverfahren nicht nur über Paragrafen entschieden wird, sondern über Kommunikation. Die ersten Tage sind die härtesten, aber die eröffnen eine neue Ordnung. Aus dem Chaos entwickelt sich eine Struktur. Nach der ersten Stabilisierung beginnt die heikle Phase. Jetzt entscheidet sich, ob Vertrauen wächst oder schwindet. Christoph Niering erlebt, wie Unternehmer in dieser Zeit zwischen Pflicht und Panik stehen.

Christoph Niering: Wenn der Antrag gestellt ist, dann sollte irgendwo am nächsten Tag spätestens der Unternehmer zum Hörer greifen bei seinen wichtigen Lieferanten, denen das sagen, wenn er einen persönlichen Termin bekommt, noch besser. Notfalls schreiben, per Mail rausschicken, dass nicht von dritter Seite der Lieferant informiert ist oder der es erst merkt, weil die Rechnungen nicht bezahlt werden. Das ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig. Diese direkte Kommunikation, die führt nicht zu Freude auf der anderen Seite, gar keine Frage, aber zu Respekt. Zu Respekt, dass man proaktiv gehandelt hat als insolventer Unternehmer.

Tanja Könemann: Offenheit verlangt Mut. Doch sie schafft innerhalb von Tagen die Basis für Kooperation.

Christoph Niering: Es gibt genügend Auskunftsdateien, die genau diese Anträge, und die werden ja veröffentlicht bei insolvenzbekanntmachung.de. Da werden diese Informationen ja gesammelt und an die Mitgliedsunternehmen, das heißt an die Lieferanten weitergegeben. Die wissen das dann schon, also muss man sehr schnell sein.

Tanja Könemann: Die Kommunikation ist ein Drahtseilakt. Zu viel Optimismus wirkt unglaubwürdig. Zu viel Zurückhaltung zerstört Vertrauen.

Christoph Niering: Beides ist schädlich. Zu defensiv fördert natürlich ein Transparenzspielraum und Transparenzspielraum ist immer schädlich, weil dieser Transparenzspielraum mit falschen Transparenzen oder falschen Interpretationen, Gedanken gefüllt wird, das ist immer schädlich. Und zu viel Kommunikation kann auch schnell vertrauenstötend wirken im Sinne von: Jetzt verspricht er mir schon wieder Dinge, die nicht eintreten können.

Tanja Könemann: Kommunikation entscheidet über den Ausgang des Verfahrens. Wer ehrlich bleibt, kann retten, was bleibt und auch das eigene Selbstbild stabilisieren.

Christoph Niering: Nur mit Transparenz kann man seine Gläubiger, Kreditgeber, auch die Insolvenzverwalter davon überzeugen: Hier ist noch was zu machen, hier ist noch genügend Substanz im Wert des Unternehmens, im Wert der Belegschaft, im Wert des Produkts, um eine Fortführung weiterzuführen.

Tanja Könemann: Doch wenn das nicht gelingt?

Christoph Niering: Dann muss man sich auch darauf einstellen, den Betrieb geordnet vom Markt zu nehmen. Ich benutze jetzt wirklich nicht gerne den Begriff Abwicklung, sondern wirklich geordnet vom Markt zu nehmen. Da gehört es dann nämlich auch dazu, frühzeitig den Mitarbeitern gegenüber aufzutreten und zu sagen, das ist jetzt so. Und ich werde versuchen, für Sie als vorläufiger Insolvenzwalter, als vorläufiger Sachwalter, ja ein gutes Ende zu schaffen, indem sie Zeugnisse bekommen, ihre Gehaltsabrechnung bekommen etc. etc. Das gehört auch dazu.

Tanja Könemann: Claudia Bergmanns Familienbetrieb ist nicht mehr zu retten. Das Verfahren endet mit der Auflösung des Unternehmens. Alle Außenstände werden eingezogen, das verbliebene Vermögen verkauft. Der Erlös geht an die Gläubiger.

Claudia Bergmann: Ich durchlief alle Phasen, vor allem die der Trauer und die Verhandlungen mit mir selbst. Es gab Momente, in denen ich mich völlig verloren fühlte und einfach nicht mehr wusste, wer ich ohne das Unternehmen bin. Diese Identitätskrise war besonders heftig.

Tanja Könemann: Viele Unternehmer erleben diesen Punkt als Bruch. Doch wer ihn aushält, gewinnt Klarheit über Grenzen, Verantwortung und darüber, was nach der Insolvenz noch möglich ist. In der nächsten Folge fragen wir, wie sieht ein Neuanfang nach einer Insolvenz aus? Was bleibt und was wächst aus den Trümmern? Fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse zum Insolvenzverfahren zusammen. Erstens: Ein Insolvenzverfahren läuft im Eilverfahren. Wer vorbereitet ist und schnell reagiert, behält Handlungsspielraum. Dazu gehört es auch, alle Geschäftsvorgänge sauber zu dokumentieren. Zweitens: Der Insolvenzverwalter ist nicht der Feind, sondern eine Unterstützung, die Unternehmer bestmöglich nutzen sollten. Drittens: Offenheit zahlt sich aus. Wer früh informiert, steuert das Narrativ. Schweigen zerstört Vertrauen. Transparenz hingegen schafft Optionen.

Diese Podcast-Serie ersetzt keine rechtliche oder wirtschaftliche Beratung. Alle Aussagen basieren auf Gesprächen mit Experten. Sie dokumentieren die Erfahrungen der Beteiligten. Jede Insolvenz erfolgt nach eigenen rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen. So, und jetzt hören Sie am besten direkt rein in Folge 5 und erfahren mehr über einen gelungenen Neuanfang.

Jingle: Endstation Insolvenz? Fall und Aufstieg eines Mittelständlers. Moderiert von Tanja Könemann. Redaktion Simone Nissen. Gefällt Ihnen, was Sie hören? Dann bewerten Sie uns gerne auf Spotify oder Apple Podcast und abonnieren Sie diesen Kanal.



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