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Deep-Dive Ruhrgebiet: Vorbild für Deutschland?
Das Ruhrgebiet steht für schmerzhafte Einschnitte und jahrzehntelangen Strukturwandel. Der neue Strukturreport Ruhrgebiet von Creditreform zeigt: Die Region hat noch immer zu kämpfen und weist überdurchschnittlich viele Insolvenzen auf. Wie schlägt sich eine Region, die sich einst als Herz der Industrie verstanden hat im Zeitalter der De-Industrialisierung? Merkt man den Menschen vor Ort ihre harte Vergangenheit an? Und kann ganz Deutschland vom Ruhrgebiet lernen, jetzt da so viele Veränderungen anstehen?
Lesen statt hören: Die Podcast-Folge #34 zum Nachlesen
Tanja Könemann: Kann Deutschland vom Ruhrgebiet lernen, jetzt da so viele Veränderungen anstehen? Darüber spreche ich heute mit Romina Scharf von Creditreform Dortmund.
Romina Scharf: Danke Frau Könemann, dass ich da sein darf und vielen Dank für die Einladung.
Tanja Könemann: Mein Name ist Tanja Könemann, Frau Scharf und ich machen hier heute ein Gute-Geschäfte-Business-Wissen in zehn Minuten. Frau Scharf hat nämlich einiges über das Ruhrgebiet herausgefunden, von dem ganz Deutschland lernen kann. Frau Scharf, was sind denn Ihre wichtigsten Erkenntnisse im Strukturreport Ruhrgebiet, den Sie erstellt haben?
Romina Scharf: Ich glaube, das Wichtigste ist erstmal, dass wir im Ruhrgebiet mal wieder leider sehen, dass wir was Insolvenzquoten und das Ausfallrisiko angeht im negativen Sinne über dem NRW- und Deutschlandtrend liegen. Und wir sehen auch, dass sich die Veränderungen, die wir gerade in ganz NRW bzw. in ganz Deutschland sehen und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sich im Ruhrgebiet besonders früh zeigen und vielleicht auch besonders drastisch. Und ansonsten sehen wir aber auch, dass gerade bei den DRD-Daten, also dem Debitorenregister Deutschland, der Zahlungsverzug der Unternehmen deutlich absinkt in den letzten Jahren, also seit 2020 kommen wir da von ungefähr 14 Tagen Zahlungsverzug und sind mittlerweile bei fast sieben angekommen. Und das ist natürlich erstmal grundsätzlich eine positive Entwicklung.
Tanja Könemann: Aber wie passt das denn zusammen? Einer Region geht es schlecht, aber Rechnungen werden schneller bezahlt.
Romina Scharf: Das wirkt erstmal, als würde das nicht zusammenpassen, das stimmt. Wir sehen allerdings auch, wenn man versucht zu verstehen, wie die Zahlen zustande kommen, sehen wir, dass das ein Zeichen oder ein Symbol für Krisenzeiten ist. Das heißt, die Unternehmen, die Rechnungen stellen, möchten sicher gehen, dass sie auch bezahlt werden. Denen ist bewusst, dass es, umso länger eine Rechnung offensteht, also wenn ich zum Beispiel in Richtung von 30 oder mehr Tagen gehe, dass dann auch immer unwahrscheinlicher wird, dass die Rechnung bezahlt wird, beziehungsweise, dass natürlich auch die Unsicherheit wächst, wann diese Rechnung dann bezahlt wird. Und die Unternehmen wollen also mit kürzeren Zahlungszielen ihre Kunden auch enger bei sich halten und enger monitoren und so schneller mitzubekommen, wenn vielleicht Zahlungsprobleme entstehen.
Tanja Könemann: Es ist auch gar nicht so lange her, da dominierte das Geschäft mit der Kohle das Ruhrgebiet. Mitte der 50er Jahre war knapp eine halbe Million Menschen im Steinkohlebergbau beschäftigt. Noch immer prägt der daraus resultierende Strukturwandel die Region. Was denken Sie, Frau Schaaf, hat das Ruhrgebiet dem Rest Deutschlands da was voraus?
Romina Scharf: Also ja, in der Hinsicht, dass das Ruhrgebiet sicherlich schon lange dazu gezwungen worden ist, sich mit Veränderungen zu beschäftigen. Wir sehen da eine Anpassung. Anpassungsfähigkeit der Unternehmen oder auch die Flexibilität und die Bereitschaft, sich zu verändern. Man kennt es von vielleicht auch vielen Familienunternehmen, dass sich das Unternehmen im Laufe der Zeit entwickelt hat und nicht mehr auch nur die Dienstleistungen oder Produkte entwickelt, die vielleicht mal zu Gründungszeiten entwickelt worden sind, sondern dass man neue Sachen hinzunehmend, vielleicht alte Sachen, die nicht mehr funktionieren, aufgibt.
Tanja Könemann: Frau Scharf, Sie haben einen Shift hin zu Tech -Unternehmen bemerkt. Das wäre ja für ganz Deutschland wünschenswert. Was würden Sie beispielhaft einige der Unternehmen sagen, die sich im Ruhrgebiet angesiedelt haben und auch kurz darauf eingehen, was die denn produzieren?
Romina Scharf: Also es ist vor allem in Dortmund, haben wir da Unternehmen wie Adesso und Materna. Die Unternehmen sind beschäftigt im Bereich IT-Services und auch IT-Solutions, das heißt, es wird Hard-Software angeboten und die Unternehmen beraten andere Unternehmen dabei. Die Unternehmen sind beschäftigt im Bereich IT-Services und auch IT-Solutions, das heißt, es wird Hard- und Software angeboten und die Unternehmen beraten andere Unternehmen dabei. Die IT-Infrastruktur zu erneuern, Materna ist da gerade insbesondere bei den Behörden groß und hilft denen, sich neu aufzustellen und die Organisationen in ihrer äußeren Sicherheit, Cyber Security, voranzubringen. Des Weiteren haben wir Unternehmen wie Unique Projects, das ist ein großes Unternehmen, was auch IT-Dienstleistungen erbringt und auch hier andere Unternehmen darin begleitet, die IT-Infrastruktur neu aufzustellen. Und darüber hinaus, wenn es die Hardware betrifft, haben wir Green IT. Also da tut sich viel mit Unternehmen, die sich eben nicht mehr mit den klassischen Bereichen beschäftigen, die man jetzt im Ruhrgebiet Stahl und Industrie kennt, sondern sich vielmehr eben in technischer Hinsicht ausstellen und da Marktführer werden.
Tanja Könemann: Haben Sie eine Idee, wie das anderswo gelingen könnte?
Romina Scharf: Also ich glaube, dass es wichtig ist, dass die lokalen Stärken genutzt werden. Also dass sich jede Region, wenn sie sich jetzt woanders aufbaut, schaut, was ist denn das, was uns hier ausmacht, ohne zu versuchen, andere Dinge zu kopieren oder nachzumachen. Wir haben durch die Uni in Dortmund zumindest auch in Bochum eine Nähe zu den Universitäten und zu neuen Fachkräften, die sich auch in dem Bereich interessieren und vielleicht auch die Chance gesehen haben im Ruhrgebiet. Und die gezielte Förderung ist, glaube ich, wichtig, ob das jetzt durch die Stadt ist, also städtische Einrichtungen oder ob das durch die Firmen selbst passiert, sei mal dahingestellt. Aber ich glaube, das Ruhrgebiet hat sich da neu aufgestellt und die ehemaligen Industrieflächen, die vorher natürlich anders genutzt wurden und dann brachlagen, genutzt, um neue Gebiete zu machen. In Dortmund haben wir da zum Beispiel von Phoenix West, was vorher eben durch die Firma Hösch regiert wurde und viel mit Industrie bebaut wurde, das jetzt zu einem, ja, tech-nahen Gebiet geworden ist, wo sich viele Unternehmen niedergelassen haben. Und ich glaube, diese Chancen zu nutzen und Innovation zu fördern, was ja gerade aktuell bei vielen Unternehmen auch eine gewisse Scheu vor Investitionen ist, das zu fördern und da zu unterstützen, ist, denke ich, ein wichtiger Punkt.
Tanja Könemann: Was ist Ihr Eindruck von den Menschen vor Ort und auch den Firmen dort? Haben Sie das Gefühl, man merkt denen den Wandel an?
Romina Scharf: Ja, schon. Also wir haben natürlich im Ruhrgebiet eine gewisse Bodenständigkeit der Menschen. Das heißt, man ist auch vielleicht stolz auf das, was man hier geschaffen hat und was hier früher entwickelt und gemacht wurde. Auf der anderen Seite merke ich schon, wenn ich in Dortmund unterwegs bin und mit den Menschen in Kontakt komme, dass gerade bei der neuen Generation, und das ist ja auch immer eine Frage des Wechsels, dass die aktiv den Willen haben, das zu verändern, dass da Veränderung kommen muss. Und dass man da jetzt nicht den Kopf in den Sand steckt, sondern nach vorne schaut, um zu gucken, welche neuen Ideen können wir denn mitnehmen und welche Chancen bieten sich vielleicht uns gerade daraus, dass wir diese Veränderung haben. Also welche Punkte gibt es, die wir vorher nicht bespielt haben? Worauf können wir jetzt den Fokus setzen? Und das ist meiner Meinung nach genau das, was so ein Wandel ausmacht. Also über den Tellerrand hinausschauen, sich und vielleicht auch den Markt mit den anderen zu vergleichen, gucken, was für Entwicklungen gibt es. Welchen Zug kann ich mit aufspringen? Aber welche neue Idee muss ich vielleicht auch selbst erstmal voranbringen? Und natürlich sind die Ruhrpottler immer sehr ehrlich und die sprechen auch die Dinge aus, die sie stören. Da hat keiner ein Blatt vor dem Mund. Aber selbst wenn man klagt und das auch nach außen hinträgt, ich habe immer das Gefühl, am nächsten Tag steht man trotzdem auf und packt mit an. Und das ist, finde ich, eine bemerkenswerte Eigenschaft von den Ruhrpottlern, die mit Herz eigentlich immer bei ihrer Arbeit trotzdem dabei bleiben.
Tanja Könemann: Frau Scharf, wir sind am Ende unserer Aufzeichnung hier angekommen. Was sind denn am Ruhrgebiet Ihre wichtigsten Punkte, wo man sagen kann, ja, da können andere Unternehmen von lernen?
Romina Scharf: Ich glaube, vielleicht diese Veränderungen, die wir aktuell sehen und die Ängste, die sich aufbauen, mehr als Chance zu sehen und die Insolvenzwelle, die wir vielleicht haben, auch als eine Art Marktbereinigung einzuschätzen und zu sehen, gut, da geht jetzt vielleicht vieles verloren. Aber ich glaube, dass wir uns in Deutschland auch bewusst machen müssen, dass wir mittlerweile mit der gesamten Welt konkurrieren und dass wir uns an die Begebenheiten, die da draußen herrschen, die wir aus dem Ausland von China und anderen Entwicklungsländern, die wir da vielleicht als Konkurrenz wahrnehmen, dass wir uns da ein Stück weit ran messen lassen müssen und dass dadurch, dass das auch natürlich dazu führt, dass hier gewisse Dinge aussterben werden, die vielleicht nicht mehr zeitgemäß sind. Wir werden aber diesen Wandel nicht aufhalten können. Wir versuchen, so gut es geht, uns daran mitzuhalten vielleicht, daran zu orientieren und unsere eigenen Stärken hier voranzustellen und das sind, denke ich, Qualität und Flexibilität und das ist auch was, was uns andere Unternehmen oder andere Länder nicht so schnell nachmachen werden. Und ich glaube, sich auf seine Qualitäten zu fokussieren und da weiterzumachen, was andere nicht abnehmen können von uns, sondern wo wir eben Alleinstellungsmerkmale haben, das ist das Wichtigste.
Tanja Könemann: Also wie Sie vorhin schon gesagt haben, einmal klagen und am nächsten Tag aufstehen und engagiert weitermachen. Ganz herzlichen Dank, Frau Scharf. Es war schön, Sie heute hier zu haben. Ich bedanke mich auch bei unseren Zuhörerinnen und Zuhörern. Wie immer die Bitte, wenn Sie Kritik, Fragen oder Anmerkungen haben, schreiben Sie uns über die Creditreform-Website oder auch gerne persönlich über LinkedIn. Wir freuen uns immer sehr, von Ihnen zu hören. Bis bald bei Gute Geschäfte.
Romina Scharf: Tschüss.
Jingle: Gute Geschäfte. Business Wissen in 10 Minuten. Der Creditreform Podcast.