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Handeln, bevor es zu spät ist

Die Messlatte hat einst Franklin D. Roosevelt während der Weltwirtschaftskrise 1933 gelegt: In den ersten „100 days“ seiner Amtszeit als US-Präsident brachte er im Eiltempo ein ganzes Bündel von Gesetzen durch den Kongress. Seitdem ist es in vielen Ländern üblich geworden, neu angetretenen Regierungen 100 Tage Zeit einzuräumen, Akzente zu setzen und Reformen anzustoßen. Erst dann stellen professionelle Beobachter und die interessierte Öffentlichkeit ein erstes Zwischenzeugnis aus. Vorbei ist dann die Schonfrist. Die neuen Amtsinhaber müssen sich an ihren Versprechungen im Wahlkampf messen lassen. Schließlich sind 100 Tage ausreichend Zeit, um wichtige Dinge anzustoßen.

Friedrich Merz hatte bei seiner ersten Regierungserklärung im Mai 2025 hohes Tempo angekündigt. Die schwarz-rote Koalition wolle sehr schnell spürbare Verbesserungen für die Bürger erreichen, hatte er versprochen. „Wichtig ist, dass wir bis zum Sommer die Stimmung im Land verbessern. Die Bevölkerung muss merken, dass es einen Unterschied macht, wenn es eine neue Regierung gibt“, so seine Worte. Gut 100 Tage später ist ein Gutteil der Aufbruchstimmung, die den Amtsantritt des Kanzlers umwehte, verflogen. Zwar hat die neue Bundesregierung viele Schwachstellen zutreffend identifiziert. Aber es mangelt an Entschlossenheit, die Herausforderungen anzugehen. Insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen warten auf Weichenstellungen, die sie auf bessere Zeiten hoffen lassen dürfen.

Börse kontra Realität

Wer die Börse zum Gradmesser für die Arbeit der schwarz-roten Koalition nimmt, wird nur bei einem flüchtigen Blick zu einem positiven Urteil kommen. Seit dem Amtsantritt von Friedrich März hat der DAX rund 20 Prozent zugelegt. Der eher von mittelständischen Unternehmen geprägte MDAX verbesserte sich immerhin um knapp fünf Prozent. Das lässt vermuten, dass die Wirtschaft in den Augen des Kapitalmarkts durchaus von den politischen Maßnahmen der neuen Regierung profitiert – die großen, international ausgerichteten Konzerne möglicherweise stärker als der Mittelstand. Wer jedoch Unternehmensvertretern zuhört und sich erkundigt, zum Beispiel beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) oder der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen (BVMB), vernimmt sehr gemischte Töne. „Viele Versprechen wurden nicht eingelöst, allen voran die Senkung der Stromsteuer“, kritisiert beispielweise ZDH-Präsident Jörg Dittrich. Zwar gebe es positive Maßnahmen wie Investitionsprogramme oder Abschreibungsverbesserungen, doch die Handschrift für den Mittelstand fehle gänzlich.

Schnell wird klar: Nach wie vor ist beim Blick in die Zukunft viel Hoffnung im Spiel. Der Vertrauensvorschuss, mit dem der Bundeskanzler und sein Team gestartet sind, schmilzt dahin.

Lichtblicke für die Wirtschaft

Zu loben ist das hohe Tempo, mit dem sich Schwarz-Rot an die Arbeit gemacht hat. Mit dem Investitionssofortprogramm wurde gleich zu Beginn der Legislaturperiode ein wichtiges wirtschaftspolitisches Signal gesetzt. Die deutlich verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten entlasten Unternehmen zeitnah und unkompliziert. Gleichzeitig schaffen sie Planungssicherheit und machen ganz grundsätzlich Deutschland für Investitionen attraktiver. Beifall, insbesondere aus Sicht vieler Mittelständler, verdient auch die geänderte Thesaurierungsregelung für Personenunternehmen. Die neue Fassung stärkt deren Eigenkapitalbasis und fördert somit die Innenfinanzierung.

Zu den Pluspunkten, die der neuen Bundesregierung vom Mittelstand angerechnet werden, zählt auch die geplante Reform der Arbeitszeitregelung. Wenn in Zukunft die wöchentliche Höchstarbeitszeit an die Stelle starrer Tagesgrenzen tritt, verschafft das vielen Betrieben mehr Flexibilität. Doch diese Maßnahmen wirken langfristig, während die Unternehmen kurzfristige Entlastung bräuchten. „Deutschland ist zu teuer, Steuern und Abgaben laufen aus dem Ruder“, warnt BGA-Präsident Dirk Jandura. Er fordert einen „Herbst des Handelns“.

Und sonst? Ja, das Sondervermögen für Infrastruktur ist ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die geplanten Milliarden-Ausgaben heben das an vielen Stellen marode Verkehrsnetz auf ein neues Niveau, sind gut für die Bildung und den Klimaschutz. Zudem sind sie geeignet, der Gesamtwirtschaft einen starken Wachstumsimpuls zu geben. Aber erst in der Zukunft, nicht auf die Schnelle. Zudem wächst der Verdacht, dass die Regierung das Sondervermögen auch nutzt, um Lücken im Haushalt zu finanzieren. Das wäre fatal, denn so lassen sich Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand nicht steigern.

Bürokratieabbau? Fehlanzeige!

Die Wirtschaft und insbesondere mittelgroße Unternehmen wünschen sich Maßnahmen, die ihre vielfach angespannte Situation möglichst rasch verbessern. Schnell umsetzbare und wirksame Entscheidungen wie zum Beispiel die Abschaffung der Bonpflicht hätten längst angestoßen werden können, um Bürokratiekosten sofort zu senken und wichtige Aufbruchsignale zu senden, mahnt etwa das Handwerk. Zu Recht. Auch die von Schwarz-Rot angekündigten Maßnahmen zur Deregulierung und Fachkräftesicherung lassen auf sich warten. Das gleiche gilt für das nationale Lieferkettengesetz. Angekündigt war eine EU-konforme schlanke Neufassung, doch konkrete Umsetzungsschritte sind nicht erkennbar. Auch bei der Überführung der CSRD-Richtlinie in deutsches Recht herrscht weiterhin Stillstand – sie existiert bisher lediglich als Referentenentwurf. Unverständlich ist auch die Verlängerung der Mietpreisbremse. Sie verschreckt Investoren. Dabei wären dringend zusätzliche Anreize nötig, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Es ist gut und richtig, dass die neue Regierung Baugenehmigungen vereinfacht. Aber wenn nicht zugleich auch neue Förderprogramme aufgelegt werden, wird der vermeintliche „Wohnungsbauturbo“ nicht zünden.

Noch schlimmer in der Bewertung der Regierungsarbeit wiegt, dass die Koalition ihr Versprechen, die Stromsteuer für alle zu senken, nicht eingelöst hat. Das hat in weiten Teilen der Wirtschaft für Ernüchterung, nicht selten sogar für Frust gesorgt. Der wird lange nachwirken. Denn wer zentrale Zusagen aus dem Wahlkampf nicht umsetzt, verspielt Vertrauen und lässt Zweifel an der Verlässlichkeit weiterer Koalitionsvereinbarungen aufkommen.

Verheddert in Sozialpolitik

Statt energisch daran zu gehen, Steuern und Abgaben zu beschneiden sowie die stark gelittene internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, verzettelt sich die Bundesregierung in sozialpolitischen Diskussionen. Beispiel Rente: Die getroffenen Beschlüsse lassen nicht nur jede generationengerechte Reform vermissen, sie belasten zudem das System und auch Betriebe sowie Beschäftigte noch stärker. Beispiel Bürgergeld: Die Kosten stiegen von 40,8 Mrd. Euro im Jahr 2022 auf knapp 52 Mrd. Euro 2025 – ein Plus von 27 Prozent. Auch die Regelsätze erhöhten sich unter der Ampel von 449 auf 563 Euro – 25 Prozent mehr.

„Die Kosten des Systems passen nicht mehr zum Arbeitsmarkt“, urteilt der Wirtschaftsrat der CDU. Wenn von 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern fast vier Millionen als erwerbsfähig gelten, die Kosten des Systems immer weiter steigen, aber viele Stellen unbesetzt bleiben, bestehe Reformbedarf. Immerhin hat Arbeitsministerin Bärbel Bas angekündigt, dass es 2026 eine Nullrunde beim Bürgergeld geben wird.

So bleibt der Befund: Gut 100 Tage nach Amtsantritt hat die schwarz-rote Bundesregierung zwar wichtige Probleme identifiziert und in vielen Fällen richtige Maßnahmen angekündigt, jetzt müssen aber auch rasch Taten folgen. Die Wirtschaft vermisst klare Signale für unbequeme, aber notwendige Strukturreformen und einen spürbaren Bürokratieabbau. Kleine und mittelgroße Unternehmen beklagen sich, viele der bisher getroffenen Entscheidungen seien zu sehr auf die Interessen industrieller Großstrukturen zugeschnitten. „Wir vermissen eine klare Handschrift der neuen Regierung zugunsten des Mittelstands“, klagt das Handwerk.

Wirtschaftsdaten im Sturzflug

Es geht nicht anders: Friedrich Merz und sein Team müssen zügig und kraftvoll nachlegen, sonst wird die Wirtschaftswende nicht gelingen. Der Handlungsdruck ist groß, die deutsche Wirtschaft steckt trotz einiger positiver Signale in der Rezession fest. Im zweiten Quartal 2025 verringerte sich das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent. Die Industrieproduktion schrumpfte sogar um 2,8 Prozent. Erstmals seit zehn Jahren schnellte die Zahl der Arbeitslosen im August wieder über die Marke von drei Millionen. Schwache Nachfrage, steigende Kosten und anhaltende Unsicherheit zwingen immer mehr Unternehmen in die Knie. Im ersten Halbjahr 2025 ist die Zahl der Insolvenzen nach Creditreform Berechnungen auf 11.900 gestiegen – ein Zehnjahreshoch. Angesichts der angespannten Geschäftslage ihrer Kunden haben Lieferanten und Kreditgeber ihre Zahlungsziele zuletzt weiter gelockert. Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Zahl der Pleiten wird in den nächsten Monaten weiter steigen.

Gerade in den klassischen Mittelstandsbranchen ist die Stimmung gedrückt. Nach einem Befund der KfW hat sich das Geschäftsklima der kleinen und mittelgroßen Unternehmen im August erstmals seit einigen Monaten eingetrübt. Sowohl die Einschätzungen der aktuellen Lage als auch die Geschäftserwartungen sind gesunken (Lage: minus 13,1 Punkte; Erwartungen: minus 9,6 Punkte). Alarmstimmung herrscht vor allem in der Bauwirtschaft. Hohe Zinsen, explodierende Materialkosten und eine unsichere Förderpolitik haben das Geschäft abgebremst. Viele Betriebe überleben nur durch Preisdumping. Erst im nächsten Jahr könnte es in kleinen Schritten bergauf gehen – so die Hoffnung in der Branche. Tristesse auch in vielen konsumnahen Branchen. Der jüngste GfK-Konsumklima-Index für September 2025 zeigt ein deutlich eingetrübtes Bild der Verbraucherstimmung: Er fiel im September von minus 21,7 auf minus 23,6 Punkte – der dritte Rückgang in Folge. Die Einkommenserwartungen stürzten von plus 15,2 auf minus 4,1 Punkte ab. Die Anschaffungsneigung sank auf minus 10,1 Punkte, den tiefsten Stand seit Februar. Die Mechanik ist fatal: verunsichert von der Sorge um den Arbeitsplatz, einer möglichen neuen Inflationswelle und geopolitischen Spannungen halten die Bundesbürger ihr Geld zusammen und stellen vor allem größere Anschaffungen zurück. Ein fatales Signal für die deutsche Wirtschaft. Denn der private Konsum ist seit Jahren eine tragende Säule des Wachstums. Wenn Verbraucher nun ihre Ausgaben reduzieren, schwappt das unmittelbar in Handel, Dienstleistungen und Industrie hinein. Somit sei das deutsche Konsumklima aktuell weniger ein Stimmungsbarometer als ein Frühwarnsignal, stellt die GfK fest. Die Verbraucher werden weiter vorsichtig bleiben, solange kein klarer wirtschaftspolitischer Impuls erkennbar ist.

Fazit: Herbst des Handelns?

Die Bundesregierung ist nun am Zug. Sie muss zeigen, wie ernst sie es mit notwendigen, aber unbequemen Strukturreformen meint und wettbewerbsfördernde Maßnahmen konsequent umsetzen. Noch ist es nicht zu spät. Die Wirtschaft, und hier insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen, erwartet endlich eine zielgerichtete Umsetzung. Fatal wäre es dagegen, wenn die schwarz-rote Koalition ein Thema auf die Tagesordnung hebt, dass sie im Koalitionsvertrag eigentlich ausgeschlossen hatte: Steuererhöhungen. Finanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil hatte die Debatte in der Sommerpause eröffnet: „Die SPD ist immer der Meinung gewesen, dass Menschen, die viel verdienen und die superhohe Vermögen haben, ihren Teil dazu beitragen müssen.“ Doch höhere Einkommensteuern träfen auch Selbstständige und den breiten Mittelstand – kontraproduktiv für die Wirtschaftskraft. Bundeskanzler Merz hat rasch widersprochen. Klar ist, dass die Regierungsparteien alle ihre Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt gestellt haben. Und so ist es nicht ausgeschlossen, dass in den nächsten Wochen doch wieder viel über höhere Steuern diskutiert wird. Dabei sind die Folgen höherer Belastungen für Bürger und Unternehmen leicht zu prognostizieren: Der ohnehin nur noch schmale Vertrauensbonus der Regierung wäre gänzlich dahin und ein weiterer Sargnagel für die Konjunktur gesetzt. 



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