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Weniger Pflicht, mehr Kür
Die EU-Kommission will Unternehmen von Berichtspflichten entlasten, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Vernachlässigen sollten kleine und mittelgroße Firmen das Thema deshalb aber nicht. Denn nur wer nachhaltig agiert und das auch belegen kann, macht sich zukunftssicher.
Wenn Unternehmen einen Wunsch frei hätten, so würde der mit hoher Wahrscheinlichkeit lauten: weniger Berichtspflichten! „Bürokratie wird seit zwei Jahren in allen IHK-Umfragen als das größte Problem der Wirtschaft genannt. Je kleiner die Unternehmen sind, desto gravierender ist die Belastung“, stellt Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern fest.
So war es eine gute Nachricht, als die Europäische Union Ende Januar ankündigte, die Berichtspflichten für alle Unternehmen um mindestens 25 Prozent reduzieren zu wollen. Kleine und mittelgroße Unternehmen sollen sogar um bis zu 35 Prozent entlastet werden. Einen Weg dorthin zeigte die EU vor kurzem auf: Sie veröffentlichte einen Entwurf zur Vereinfachung der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die vorgesehenen Änderungen sind weitreichend und betreffen alle Unternehmen, die in den bisherigen Anwenderkreis der Regulatorik fallen. Noch handelt es sich um einen Vorschlag, der im nächsten Schritt im Europäischen Rat sowie im EU-Parlament beraten wird. „Ich erwarte im weiteren Verlauf der Gesetzgebung jedoch keine weitreichenden Korrekturen“, sagt Christian Kramer, Projektleiter ESG (Environmental, Social, Governance) bei Creditreform.

Was soll sich ändern?
Zum einen soll der Kreis der Unternehmen, die einen Nachhaltigkeitsbericht gemäß den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) erstellen müssen, eingeschränkt werden. Künftig sollen nur noch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und entweder einem Nettoumsatz von mindestens 50 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von mindestens 25 Millionen Euro nach ESRS berichten müssen. Unternehmen unterhalb dieser Schwellenwerte, von denen sich bereits viele auf den Weg gemacht hatten, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erarbeiten, wären von dieser Pflicht befreit. Kramer schätzt, dass somit künftig nur noch etwa 3.000 statt zuvor rund 15.000 Unternehmen zu einer Berichterstattung verpflichtet sind.
Auch mit Blick auf die zeitlichen Fristen zur erstmaligen Berichterstattung gibt sich die EU-Kommission großzügig. Unternehmen, die nach aktueller Regelung erstmals ab dem Geschäftsjahr 2025 berichtspflichtig sind, erhalten einen Aufschub von zwei Jahren. Das heißt, sie würden erst 2028 für das Geschäftsjahr 2027 berichten müssen. Anders ist die Situation für Unternehmen der sogenannten „Welle 1“ (das sind kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden), die bereits im Jahr 2025 über ihre Nachhaltigkeit im Geschäftsjahr 2024 berichten müssen. Sie erhalten keinen Aufschub.
Wie reagieren Unternehmen?
Verschwindet das Thema Nachhaltigkeit bei all denen, die nicht mehr zu einer umfangreichen Berichterstattung verpflichtet sind, in die Schublade? ESG-Experte Christian Kramer ist überzeugt, dass es dazu nicht kommen wird. „Wer ermittelt, wie nachhaltig sein Unternehmen aufgestellt ist, macht das nicht nur, um regulatorische Vorgaben zu erfüllen und Berichte zu schreiben. Er will auch wissen, ob er mit Blick auf eine Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft die richtigen Dinge tut“, betont er. Kramer betrachtet die Nachhaltigkeitsregeln als „Handbuch für Unternehmertum“. Wer sich daran orientiere, gewinne nach seiner Überzeugung auch wichtige Erkenntnisse für Risiken, die mit dem eigenen Geschäftsmodell verbunden sind. „Innovative Unternehmen schauen heute beim Thema Nachhaltigkeit schon sehr viel genauer hin, als es die Berichtspflicht von ihnen fordert“, sagt Kramer.
Nachfrage nach ESG-Daten bleibt hoch
Weil nachhaltiges Handeln auch aus Sicht der EU-Kommission weiter von zentraler Bedeutung sein wird, plädiert sie für einen freiwillig anzuwendenden Nachhaltigkeitsstandard speziell für kleine und mittelgroße Unternehmen (Voluntary Sustainability Reporting Standard for non-listed Small and Mid-sized enterprises, VSME). „Durch die Anwendung eines solchen Standards könnte künftig sichergestellt werden, dass Unternehmen einerseits den Anforderungen der Stakeholder gerecht werden. Und zum anderen auch selbst von einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmensstrategie profitieren“, schlägt die EU-Kommission vor.
Creditreform arbeitet schon heute bei der Einschätzung der Nachhaltigkeitsaktivitäten von Unternehmen sehr nah an dem Standard, den die EU nun präferiert. „Wir favorisieren eine niederschwellige Lösung, bei der wir kleinen und mittelgroßen Unternehmen wenige gezielte Fragen stellen, die dem Nachhaltigkeitskontext zuzuordnen sind. Wenn die EU nun eine ähnliche Lösung vorschlägt, ist das eine Bestätigung für uns, dass wir das Richtige tun“, sagt Kramer. Er hat Verständnis dafür, dass Unternehmen möglicherweise irritiert sind, wenn sie auch künftig um Auskünfte gebeten werden, wo doch die Berichtspflichten gelockert werden. „Auch wir von Creditreform stellen den Unternehmen Fragen zum Thema Nachhaltigkeit. Aber wir sind auch Teil der Lösung. Denn angesichts unseres hohen Marktanteils bei B2B-Auskünften ist es sinnvoll, dass die Befragten bevorzugt uns antworten. Alle, die Daten benötigen, können dann auf Creditreform zukommen, anstatt jedes Mal eine kleine GmbH anzusprechen“, betont Kramer.
Experten sind überzeugt, dass das Thema Nachhaltigkeit nicht an Relevanz verlieren wird, nur weil in Zukunft weniger Unternehmen ihre Aktivitäten dokumentieren müssen. Wer sich resilient aufstellen will, kommt nicht umhin, ökologische und soziale Standards hochzuhalten. So erhöht er seine Wettbewerbsfähigkeit und verbessert sein Image bei Geschäftspartnern und Mitarbeitern. „Obendrein schaffen sich nachhaltig agierende Unternehmen einen besseren Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten. Denn Banken unterliegen beim Thema ESG nach wie vor sehr strengen regulatorischen Vorschriften und werden bei der Kreditvergabe weiterhin kritische Fragen dazu stellen“, betont Kramer.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Weber
Bildnachweis: Getty Images