Creditreform Magazin

Geld oder Gewissen? Die Rolle von ESG für Arbeitgeber

Auch bei der Suche nach Beschäftigten spielt das Thema ESG eine Rolle. Aber welche? Sind Nachhaltigkeit, soziale Aspekte und eine verantwortungsvolle Unternehmensführung allein schon ein Gamechanger im Kampf um Fachkräfte – oder vielmehr Teil eines größeren Pakets?

"Arbeit ist kein Ponyhof.“ Mit dieser Aussage machte sich die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, vor einiger Zeit bei der jüngeren Generation unbeliebt – ein Zitat, das einigen mit Sicherheit noch im Gedächtnis geblieben ist. Ob sie recht hat oder nicht, sei dahingestellt – einräumen muss man aber schon, dass Arbeitgeber beim Werben um neue Mitarbeiter immer größere Anstrengungen unternehmen: Willkommensprämien, Mitarbeitererfolgsbeteiligung, flexible Arbeitszeitmodelle, Fitness-, Gesundheits- und Weiterbildungsangebote – all das steht regelmäßig in den Stellenausschreibungen von Unternehmen.

Nicht nur das. Firmen werben auch mit ihrem Engagement in puncto Nachhaltigkeit, Diversität und unternehmerischer Verantwortung. So bezeichnet sich Procter & Gamble auf seiner Bewerberseite im Internet als globales Unternehmen, „das verantwortungsvoll und ethisch geführt wird, das offen und transparent ist und das gute Zwecke unterstützt sowie die Umwelt schützt“. Die Deutsche Telekom wirbt: „Mit uns hast du eine große und starke Instanz im Rücken, mit der du für das eintreten kannst, was dir wichtig ist: Inklusion, Akzeptanz und gegenseitige Unterstützung.“ Henkel nennt sich selbst „Nachhaltigkeits-Pionier“, das Unternehmen übernehme nicht nur Verantwortung für seine Beschäftigten, Kunden und Partner, sondern auch für Gesellschaft und Umwelt.

Mehr Nachhaltigkeit: Der Druck auf Organisationen wächst

Fest steht: Der Druck auf Organisationen wächst, ihr Engagement für Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) zu demonstrieren und zu manifestieren. Dieser Druck kommt von allen Seiten – von Mitarbeitenden und Verbrauchern sowie von Aufsichtsbehörden, Investoren und Politik. Fest steht auch: Die Hinweise in den Stellenausschreibungen erfolgen nicht ohne Grund. „Für Jobsuchende zählen soziale und ökologische Verantwortung zu den Faktoren, die sie bei der Wahl eines Arbeitgebers beeinflussen“, sagt Julia Müller, Vice President Sustainability bei Capgemini Invent. „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen legen immer mehr Wert darauf, mit ihrer Arbeit einen Beitrag zu leisten, der sich positiv auf Gesellschaft und Umwelt auswirkt.“ Entsprechend werben 50 Prozent der deutschen Unternehmen einer Capgemini-Studie zufolge gezielt neue Talente mit starken Nachhaltigkeitskompetenzen an.

Scheint so, als würde das Vorantreiben von ESG-Themen unternehmensseitig auch eine Rolle spielen bei der Mitarbeitersuche. Aber welche genau? Sind sie ein entscheidender Faktor für Bewerber? Bedeutet das gar für Unternehmen: Nachhaltigkeit, Diversität und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln geben wirklich den Ausschlag, wenn mehrere Unternehmen um die gleichen Fach- und andere Arbeitskräfte ringen? Oder ist ESG unter diesem Gesichtspunkt eher nice to have? Zeit, einen Blick auf die Bewerberseite zu werfen.

Und da sind die Zahlen eindeutig. Das Vorantreiben von ESG-Themen allein bringt noch keine Unterschrift unter den Arbeitsvertrag. Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung machen laut einer Analyse von Stepstone und dem Handelsblatt Research Institute 11 Prozent des Wunsch-Reward-Pakets von Bewerbern aus, ebenso viel wie Life & Social Benefits. Zu diesem Paket zählen darüber hinaus mit 13 Prozent noch die Kultur eines Unternehmens, Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten (14 Prozent) sowie Flexibilität (19 Prozent). Der wichtigste Bestandteil ist das Gehalt mit 32 Prozent.

Glaubwürdigkeit in Sachen ESG ist Pflicht

Von einem Aspekt ist Julia Müller jedenfalls überzeugt. Positiv wirken bei der Suche nach Fachkräften könnten ESG-Kriterien nur, wenn sie auch wirklich ernsthaft vorangetrieben und entsprechend kommuniziert würden, so Müller. Das sei jedoch nicht immer der Fall. Beim Klimaschutz etwa klafft der Capgemini-Studie zufolge eine beträchtliche Lücke zwischen Ambitionen und konkreten Maßnahmen: Bei 60 Prozent der deutschen Unternehmen steht Nachhaltigkeit zwar auf der Agenda der Geschäftsführung, Klimaschutz-Initiativen für die kommenden drei Jahre haben aber erst 51 Prozent der befragten Unternehmen definiert. Ein Missstand, den auch Bewerber bemerken: „Jobinteressierte schauen auf den Webseiten der Unternehmen nach“, sagt Müller. „Sie bemerken, wenn auf Worte keine Taten folgen.“

Zudem passiert es regelmäßig, dass Unternehmen einen Beitrag leisten, ohne es zu merken. Wenn etwa Nachhaltigkeit als Teil einer Arbeitgebermarke aufgebaut werden soll, können sich Firmen an Markenexperten wie Arnd Zschiesche wenden. Der Soziologe und Professor für Marketing wirft zunächst einen Blick auf das Leistungsspektrum: „Vielleicht produziere ich bereits etwas, das einen Beitrag zum Umweltschutz leistet.“ Als Beispiel berichtet er von einem Chiphersteller, dem erst in einem Markenworkshop klar wurde, dass seine Produkte die Lebensdauer von Handys verlängern – eine Tatsache, die in der Kommunikation genutzt werden konnte, positive Rückschlüsse auf das Unternehmen zuließ und auch bei der Akquise von Talenten hilfreich war.

Um glaubwürdig zu sein und Bewerber anzulocken, müssten ESG-Maßnahmen zum Unternehmen passen, so Zschiesche. „Wenn ich eine Marke habe wie Patagonia, brauchen wir über all diese Dinge nicht zu sprechen.“ Selbstredend kaufe man der Outdoor-Firma das Vorantreiben von Nachhaltigkeitszielen ab, spätestens nachdem Gründer Yvon Chouinard die Firma vergangenes Jahr einer gemeinnützigen Klimaschutz-Stiftung übertragen hat. Bei anderen Unternehmen ist das schwerer: „Im Panzerbau etwa müsste ich sehr viel mehr erklären als bei einem Bekleidungshersteller“, sagt Zschiesche. Vielleicht dann lieber doch Geld als Bewerbermagnet?

Text: Tanja Könemann