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Der Osten ist rot

In den mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind die Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2024 deutlich gesunken. Diese auf den ersten Blick so positive Nachricht ist allerdings schnell zu revidieren, wie ein Blick auf die einzelnen Staaten dieses Wirtschaftsraums zeigt.

Von den 39.681 Unternehmenspleiten kommen über die Hälfte (20.854 Fälle) aus Ungarn. Ungarn wiederum hat mit einem Minus von 56,2 Prozent gegenüber 2023 das Insolvenzaufkommen mehr als halbiert (2023: 47.625 Fälle). Dabei ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass die offizielle ungarische Statistik zu den Insolvenzen die Liquidationsverfahren zählt. Würde man dies entsprechend für Deutschland tun, so wären hier Hunderttausende von „Heimgängen“ zu registrieren.

Tatsächlich war in neun der zwölf untersuchten mittel- und osteuropäischen Länder ein Anstieg der Unternehmensinsolvenzen zu erleiden. Neben Ungarn waren es nur Bulgarien und Tschechien, die ebenfalls einen – wenn auch deutlich geringeren – Rückgang aufwiesen (Bulgarien: minus 12,1 Prozent, Tschechien minus 5,6 Prozent). Den größten Zuwachs bei der Insolvenz von Unternehmen weist Polen mit einem Plus von 56,7 Prozent auf. Die Steigerung von 312 auf 489 Fälle binnen Jahresfrist relativiert diesen Zuwachs allerdings deutlich. Weitere hohe Anstiege bei den Insolvenzen weisen Lettland (plus 19,0 Prozent), Slowenien (plus 14,6 Prozent), Litauen plus 13,8 Prozent), Estland (plus 13,5 Prozent) und schließlich Kroatien plus 11,1 Prozent) auf. Den höchsten Stand hatten die Insolvenzen im Osten Europas im Anschluss an die Corona-Epidemie zu verzeichnen: 2022 waren es 60.127 Fälle und 2023 sogar 64.917 Insolvenzen. Auch diese Zahlen waren zu je zwei Drittel vom Geschehen in Ungarn bestimmt.

Branchen unterschiedlich betroffen

Die östlichen Staaten der Europäischen Union weisen insgesamt in ihrer Entwicklung starke Ähnlichkeiten mit dem Geschehen in Westeuropa auf. 2020 und 2021 waren die Insolvenzzahlen aufgrund des Erliegens der wirtschaftlichen Tätigkeit und der Hilfsmaßnahmen durch die öffentliche Hand zunächst gesunken, um dann schließlich 2022 wieder mehr oder weniger deutlich anzusteigen. Der Anteil der vier Hauptwirtschaftsbereiche am Insolvenzaufkommen insgesamt sieht den Handel mit 35,5 Prozent an der Spitze der Branchen. Es folgen die Dienstleister mit 28,9 Prozent, das Baugewerbe mit gut 19,4 Prozent und das Verarbeitende Gewerbe mit 16,3 Prozent. Gerade bei der Rolle, die die Dienstleister auf der einen und das Verarbeitende Gewerbe auf der anderen Seite spielen, wird der unterschiedliche Entwicklungsstand der Volkswirtschaften in Ost und West deutlich. Das Verarbeitende Gewerbe spielt im Westen der Europäischen Union bei den Insolvenzen eine deutlich geringere Rolle, dagegen ist der Dienstleistungssektor stärker vertreten. Das unterschiedliche Gewicht der Hauptbranchen wird aber auch in den Anteilen in den einzelnen Ländern deutlich. So stellte das Verarbeitende Gewerbe 2024 in Polen mit 25,3 Prozent und in Tschechien mit 25,1 Prozent aller Unternehmensinsolvenzen einen überdurchschnittlich hohen Anteil. In Ungarn sind es nur knapp 10 Prozent aller Insolvenzen, die aus Industrie und Handwerk stammen. Dagegen spielen die Dienstleister in Ungarn (35,6 Prozent), in Litauen (35,4 Prozent) und in Polen (34,9 Prozent) eine wichtige Rolle bei den Unternehmensinsolvenzen. Der Handel ist in Tschechien mit fast der Hälfte aller Insolvenzen beteiligt (45,0 Prozent) – in Polen liegt der Anteil nur bei 26,4 Prozent.

Die mittel- und osteuropäischen Länder weisen zum größten Teil Zuwächse beim Insolvenzgeschehen auf – das reicht von einem leichten Plus in der Slowakei (plus 2,1 Prozent) bis zu einem Zuwachs von 56,7 Prozent in Polen. Der Grund für diese Situation liegt zum einen sicher auch in einem Nachholeffekt zum Lockdown mit seinen unterschiedlichen Unterstützungsmaßnahmen für die Betriebe, aber eben auch in der flauen wirtschaftlichen Lage nach dem Breakdown im Zeichen von Corona. Dabei steht der Osten konjunkturell besser da als der Westen des Kontinents. Laut dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche wuchs das Bruttoinlandsprodukt in Mittel- und Osteuropa im Jahr 2024 durchschnittlich um 2,7 Prozent. Bei den EU-Mitgliedsstaaten war es sogar ein Wachstum von plus 2,8 Prozent. Damit wurde das Wachstum der Eurozone deutlich übertroffen, dass lediglich plus 0,6 Prozent registrierte.

Im Osten wird wieder konsumiert

Es sind mehrere Faktoren, die zu diesem Wachstum führten. So konnte die Inflation halbiert werden – sie lag 2024 bei (allerdings immer noch hohen) 4,7 Prozent. Eine große Rolle beim Wachstum spielte auch der private Konsum, der durch höhere Reallöhne getrieben wurde. Auch hier steht eine Entwicklung, die in Deutschland bei stärker sinkender Inflation und ebenfalls steigenden Löhnen nicht nachvollzogen wurde. Gerade die Unsicherheit im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung lässt die Verbraucher Konsumzurückhaltung üben. Eine wichtige weitere Rolle bei der wirtschaftlichen Stabilisierung spielen auch die EU-Fördermittel. So machte sich insbesondere der Zugang im Rahmen des Corona-Wiederaufbaufonds „NextGenerationEu“ positiv bemerkbar.

Insgesamt setzt Osteuropa im Jahr 2024 den wirtschaftlichen Aufholprozess gegenüber Westeuropa fort. Dabei bleiben die Probleme im Bereich der Industrieproduktion, die gerade in Ländern mit starker Abhängigkeit von der Automobilbranche schwächelt. Hinzu kommt die Abhängigkeit von Deutschland, die sich negativ für die Exporte in vielen osteuropäischen Ländern zeigte. Kommt es in diesem und im nächsten Jahr tatsächlich zum erhofften konjunkturellen Aufschwung in Deutschland und Westeuropa, so dürften auch die Länder im Osten davon profitieren und in der Breite (abgesehen von Ungarn) eine Erholung bei den Insolvenzen erfahren.

Quellen: Creditreform, Die Presse (Österreich), Statistikämter der Länder, Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche



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