Zusammen für mehr Innovation

Kooperationen mit Startups und Hochschulen versprechen viel Gutes: Mittelständler stärken ihre Innovationskraft – und die Gründer und Wissenschaftler gewinnen Branchenwissen und Marktzugang. Doch das Miteinander birgt Herausforderungen, die man früh angehen sollte.

Niemand sitzt am Lenkrad. Die Fahrerkabine: leer. Und doch bestellen diese Traktoren den Acker, ganz eigenständig. Und selbstfahrende Mähdrescher holen am Ende der Saison das Getreide ein. Es ist die Vision autonomer Fahrzeuge in der Landwirtschaft. Beim Landtechnikhersteller Claas im ostwestfälischen Harsewinkel hat deren Bau eine hohe Priorität neben dem angestammten Produktprogramm. Denn sie adressieren genau die Herausforderungen, vor denen die Kundschaft des Familienbetriebs steht. „Die Knappheit an Arbeitskräften auf den wirtschaftlichen Betrieben verschärft sich“, sagt Martin Leinker, Senior Manager Produktstrategie. „Dabei sind Saat, Ernte und andere Arbeitsprozesse oft zeitkritisch.“

Für die Entwicklung der autonomen Landmaschinen kooperiert Claas mit AgXeed, einem niederländischen Startup. Die Ostwestfalen haben eine Minderheitsbeteiligung übernommen und unterstützen so die Finanzierung des jungen Unternehmens. Kleine gemeinsame Schritte für neue Lösungen, die immer wieder in der Praxis erprobt werden – so beschreibt Christoph Molitor das Vorgehen. Molitor ist Vice President Service Function Technology Management bei Claas. Er findet, auf diese Weise werde sichergestellt, dass der Kurs für beide Unternehmen stimmt. „Wir arbeiten mit AgXeed und weiteren Technologiepartnern und Startups zusammen. Alle Seiten sollen von den Erkenntnissen profitieren“, sagt Molitor.

Kooperieren, um eine Win-win-Situation zu schaffen. Das ist das Ziel vieler Mittelständler, die sich mit Startups oder Hochschulen zusammentun. Familienbetriebe erhoffen sich wie bei Claas einen zusätzlichen Innovationsschub und Erfahrungen im agileren Arbeiten. Die Gründer und praxisorientierten Forscher hingegen profitieren von finanzieller Unterstützung, von Branchenerfahrung und dem bewährten Zugang zu Vertriebskanälen.

Kulturen zusammenbringen

Damit die Zusammenarbeit traditioneller Firmen mit Startups oder aufstrebenden Uni-Wissenschaftlern wirklich das Beste aus beiden Welten befördert, braucht es eines: Offenheit. „Der Erfolg hängt ganz entscheidend daran, dass die Partner auch kulturell zusammenfinden“, sagt Anne Heider, Co-Direktorin am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) „Wenn die Chemie stimmt, kann sich eine hohe Innovationsdynamik entfalten.“

Für eine echte Symbiose zwischen Traditionsbetrieb und Jung-Entrepreneur ist viel Vorbereitung nötig. Es gilt zunächst, die Muster der anderen Seite zu verstehen und schätzen zu lernen. Bei den Familienunternehmen müsse man oft interne Vorbehalte gegen die ungewohnte Arbeitskultur der Startups oder Hochschul-Spin-offs ausräumen, sagt Heider. Und die wissenschaftlichen Partner müssen den Mittelständlern dahingehend vertrauen, dass diese nicht nur Know-how abschöpfen wollen. „Eine Kooperation funktioniert nicht nur in eine Richtung, das muss man von Beginn an klarstellen“, sagt Heider.

Ein Motor für die Zusammenarbeit mit Startups und Hochschulen ist der beschleunigte technologische Wandel. Eine konsequente Digitalisierung – bei Prozessen wie Produkten – ist für den Mittelstand zunehmend erfolgskritisch. Der Bitkom befürchtet, Mittelständler könnten „die Entwicklungen verschlafen“. Startups liefern laut IT-Verband „frische Ideen und neue Technologien“, mit denen Mittelständler ihre eigenen Geschäftsmodelle weiterentwickeln, bestehende Prozesse optimieren und sich für die Zukunft rüsten könnten.
 

Kommunikation auf Augenhöhe

Wie sehen die Kooperationen konkret aus? Der Bundesverband Deutsche Startups hat für das Creditreform Magazin bei seinen Mitgliedern nachgefragt. Es zeigt sich ein breites Feld möglicher Bündnisse – etwa das des Gießener Startups Green Elephant Biotech. Der Hersteller von Bioreaktoren und nachhaltigen Laborverbrauchsmitteln hat sich mit dem Mittelständler Bürkert Fluid Control Systems zusammengetan, der unter anderem Systeme für Flüssigkeitstransfers in der Pharmaindustrie entwickelt. Die Kooperation habe „auf technischer Seite“ begonnen, sagt Green-Elephant-Mitgründer Joel Eichmann. „Sie lief so gut, dass sie in einem Investment resultierte.“ 

Gemeinsam mit dem thüringischen Mittelständler Senova ist das Hannoveraner Startup Phaeosynt gleich in zwei Geschäftsfeldern tätig: Antikörperproduktion sowie diagnostische Tests. Ein gemeinsam entwickelter Schwangerschaftstest sei bereits in der Zertifizierungsphase, berichtet Phaeosynt-Co-Gründerin Stephanie Pfeil-Coenen. Das Besondere an dem Produkt ist, dass es vegane Antikörper für die Diagnostik nutzt, denn herkömmliche Antikörperproduktion erfolgt mithilfe von tierischen Zellkulturen. „Die Zusammenarbeit läuft sehr gut und ist ein wichtiger Baustein unserer Markteintrittsstrategie“, sagt Pfeil-Coenen. 

Mit seinem Startup Venta AI unterstützt Managing Director Lucas Spreiter Mittelständler bei der Messevorbereitung – ein Kunde ist die baden-württembergische ARNO, die den Einzelhandels-Auftritt beispielsweise für Miele oder Sony gestaltet und produziert. „Unsere Künstliche Intelligenz findet unter allen Ausstellern einer Messe die relevantesten und knüpft passende Kontakte via LinkedIn“, sagt Spreiter.
 

Startup-Suche in speziellen Datenbanken

Auch bei Claas geht es um mehr als Produktinnovationen. „Wir prüfen aktuelle Anforderungen – von unseren produktbezogenen Bereichen bis hin zu unserer IT oder Logistik“, erläutert Felix Giesker, Manager Technology Scouting beim Landtechnikhersteller. Dann beginnt die Suche nach einem Anbieter für eine passende Lösung. „Wir setzen nicht nur darauf, dass sich Startups bei uns melden“, sagt Giesker. „Gleichzeitig suchen wir eng abgestimmt mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Fachbereichen nach innovativen Startups, die zu Claas passen.“

Der Fokus liege auf Gründungsfirmen in Europa und Nordamerika. Claas spürt mögliche Partner etwa mithilfe von spezialisierten Datenbanken auf. Eine Alternative sind Scouting-Initiativen wie Stratosfare, die für etablierte Unternehmen passende Startups zur Kooperation finden. Auch Messen sind mit Blick auf potenzielle Partner von Interesse. „Oftmals ist es hilfreich, sich Startups und ihre Technologien live anzusehen“, sagt Giesker.

An dem Thema Startup-Kooperation arbeiten die Abteilungen Group Strategy & Business Development und Group Product Strategy gemeinsam mit dem Technology Management. „Wir bilden hier zusammen eine Art virtuelle Einheit“, sagt Giesker. Ein bis zwei Mal die Woche konferieren Mitglieder der drei Claas-Abteilungen – auch über die Zusammenarbeit mit Universitäten. Die unterhält das Unternehmen an jedem Produktionsstandort – neben Harsewinkel beispielsweise auch in Ungarn. Außer an Auftragsforschung beteiligt sich Claas auch an öffentlichen Förderprojekten, teils zusammen mit Wettbewerbern. „Wir arbeiten auch schon mal im vorwettbewerblichen Umfeld mit anderen Unternehmen zusammen“, sagt Martin Leinker. Es gehe dann zum Beispiel um die Frage, wie Landwirtschaft und Agrarökosysteme im Jahr 2040 technisch funktionieren könnten.
 

Fachkräftemangel als Treiber

Kooperationen mit Unternehmen – das ist eine der Kernaufgaben von Jonas Stolz, Leiter der Servicestelle Kooperation der TH Köln. Er beobachtet aktuell den Trend, dass Anfragen vermehrt aus den Personalabteilungen kommen, weniger dagegen aus den Entwicklungseinheiten. „Der Fachkräftemangel ist der Treiber“, sagt er. Dabei komme das Thema Innovation im Moment zu kurz. Die TH hat laut Stolz den Einsatz für die Zusammenarbeit mit Firmen erhöht, um eigene Forschungsergebnisse in die Praxis zu bringen. „Wir gehen viel intensiver in die Gespräche als vor fünf oder zehn Jahren und begleiten den Prozess von zentraler Stelle“, sagt er. In einigen Fakultäten seien heute Transferscouts installiert, die Forschungsergebnisse finden sollen, die nützlich für Wirtschaft oder Gesellschaft sind. 2024 lud die TH zum ersten Mal zum „Tag des Transfers“. 

Etwa 70 neue Kooperationspartner und Auftraggeber gebe es pro Jahr, sagt Stolz – von kleineren Dienstleistungen bis hin zu langjährigen Forschungsprojekten. Zunehmend lege die Hochschule Wert darauf, die Forschung von Beginn an auf eine praktische Relevanz hin abzuklopfen und dabei die passenden Partner frühzeitig einzubinden. „Unternehmen können mit Lehrenden ihre Herausforderungen formulieren – und die Studierenden probieren sich dann im Rahmen von Lehrforschungsprojekten an diesen Themen.“ Dabei sieht er für kleinere und mittelgroße Betriebe noch Luft nach oben. „International tätige Unternehmen kommen gezielt. Beim Mittelstand ist es häufig noch unstrukturiert“, sagt Stolz. Umso wichtiger sei die vermittelnde Rolle von Wirtschaftsförderungen und Kommunen – etwa in Innovationsnetzwerken.
 

Arbeitsplätze mit neuen Ideen sichern

Eine typische Hürde bei Familienunternehmen ist laut Anne Heider vom WIFU das „Not invented here“-Syndrom. Es beschreibt die im Mittelstand verbreitete Skepsis gegenüber externen Innovationen. „Man steht nicht dahinter, wenn etwas nicht im eigenen Haus entwickelt wurde“, erläutert sie – dahinter verberge sich die Angst vor Konkurrenz oder sogar der eigenen Ersetzbarkeit. Das Management müsse gezielt überlegen, wo die eigene Produktentwicklung an ihre Grenzen kommt und externe Unterstützung besonders wichtig sei. „Wenn es dann eine Kooperation auf diesem Gebiet gibt, muss sie sehr gut und frühzeitig kommuniziert und vorbereitet werden“, sagt Heider. „Es gilt, Akzeptanz zu schaffen – indem man genau erläutert, wie das eigene Unternehmen profitiert.“ Ein überzeugendes Argument: Wachstum durch neue Ideen sichert Arbeitsplätze – egal woher der Input stammt.

Doch bis es so weit kommt, müssen einige Hürden genommen werden. Dieter Büttenbender von DiB-Consulting berät Startups und Unternehmen bei Kooperationen und bemängelt, dass sich Gründer oftmals nicht als gleichwertige Partner fühlen. „Viele Mittelständler sagen zwar, dass sie mit Startups partnerschaftlich zusammenarbeiten wollen“, sagt Büttenbender. „Doch schon nach dem ersten Gespräch winken manche Gründer ab und sagen, dass sie das nicht brauchen – zu hierarchisch und eine zu eingegrenzte Sichtweise.“

Bei Familienunternehmen sei ein strukturiertes Vorgehen nötig, damit eine Kooperation gelingt, sagt Büttenbender. So gelte es erst mal, das zu lösende Problem zu benennen. Danach müssten die Innovationsziele sauber beschrieben werden, auch verbunden mit der Frage, welche Ressourcen für die Unternehmensentwicklung intern bestehen – und welche eben nicht. „Zu wissen, was man braucht, aber selbst nicht hat, ist ein belastbares Suchkriterium für mögliche externe Innovationspartner.“  Wer das Problem klar definiert habe, könne dies etwa in Startup-Netzwerken kommunizieren. „Es gibt viel Potenzial für Projekte, um risikoarm zu innovieren, von denen Familienunternehmen und Gründer profitieren – wenn man es richtig und idealerweise strukturiert angeht“, so Büttenbender.
 

Weniger Kooperationen in Krisenzeiten

Trotz der Vorteile ist die Zahl der Kooperationen rückläufig. Laut einer Erhebung des Startup Verbands sank der Anteil der Gründer, die mit etablierten Unternehmen zusammenarbeiten, von 2020 bis 2024 um knapp zehn Punkte auf 61,9 Prozent. „In schwierigen Zeiten wird gespart und Innovationen fallen häufig dem kurzfristigen Kerngeschäft zum Opfer“, urteilen die Autoren. Auch Forscherin Heider sieht die wirtschaftliche Krise als Hauptgrund für die derzeitige Zurückhaltung. „In einer solchen Situation sind die Schwerpunkte andere – es geht vor allem darum, das Überleben zu sichern und Beschäftigte zu halten.“

Das könnte sich ändern, wenn die deutsche Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs geht. Den Generationswechsel, der in vielen Familienunternehmen derzeit ansteht, sieht Heider als Treiber für einen stärkeren Willen zur Kooperation mit Externen. „Die Next Generation hat eine hohe Affinität zu Startups oder Forschungsteams von Hochschulen“, sagt sie. „Sie haben häufig Entrepreneurship studiert und sich dabei intensiv mit Digitalisierung oder Künstlicher Intelligenz beschäftigt.“

Teils mussten die Nachfolger selbst Gründerarbeit leisten – als Eintrittskarte in das Unternehmen der Familie. „Manche Eltern stellen der nächsten Generation Kapital für ein internes Projekt bereit, das sie dann wie bei einer eigenen Gründung vorantreiben – etwa zur Erweiterung des Produktportfolios“, sagt Heider. Ein guter Weg, um Verständnis für mögliche externe Partner zu gewinnen. „Man hat ja selbst quasi mit dem Familienunternehmen schon einmal kooperiert.“

Möglichkeiten für KMU, mit Startups in Kontakt zu kommen:

  • Fachmessen ermöglichen zunehmend persönlichen Austausch und Vertrauensaufbau in speziellen Bereichen für Startups oder sogenannte Startup-Areas.
  • Regionale Industrie- und Handelskammern bieten Workshops zur Zusammenarbeit oder auch „Demo-Events“ und „Pitching-Formate“ an.
  • Programme von Industrie- und Branchenverbänden, zum Beispiel kuratierte Startup-Datenbanken für Mitgliedsunternehmen und Events, die beim Scouting helfen.
  • Regionale Hub-Organisationen bieten Unterstützung – etwa die regionalen Hubs der „Digital Hub Initiative“ mit spezifischen Themenschwerpunkten oder auch das „Mittelstand-Digital-Netzwerk“ mit verschiedenen Standorten deutschlandweit, jeweils initiiert durch das Bundeswirtschaftsministerium.
     


Weiterführende Links:

 


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Thomas Mersch
Bildnachweis: Getty Images