Folge 2: Ein letztes Aufbäumen – Kampf gegen rote Zahlen

Jetzt wird es ernst. 250 Arbeitsplätze hängen an einem Sanierungsgutachten – auch die eigene Existenz unseres Protagonisten. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit: Lässt sich der Betrieb noch retten? Oder ist ein Insolvenzantrag schon Pflicht? In Folge 2 unserer Serie „Endstation Insolvenz?“ zeigen wir, wie sich Angst und Verantwortung in dieser Phase zuspitzen. Doch es gibt Hoffnung.

Lesen statt hören: Insolvenz Podcast Folge 2

Tanja Könemann: Wir sind zurück in Burghausen in Oberbayern. In der ersten Folge unserer Podcast-Serie über die Phasen einer Insolvenz haben wir hier Wolfgang Straubinger kennengelernt, Geschäftsführer der Elektro Rösler GmbH. Wir haben zurückgeschaut ins Jahr 2021. Da gab es erste Anzeichen, dass eine Insolvenz drohen könnte. Das Unternehmen kam mit dem Bezahlen seiner Rechnungen nicht hinterher und musste Zahlungsziele verschieben. Es war die Zeit, als Wolfgang Straubingers Nächte immer unruhiger wurden. Die Lage hat sich inzwischen weiter zugespitzt. Es geht nicht mehr nur um Mahnungen und Zahlungsziele. Jetzt geht es ums Ganze. Die Bank fordert ein Sanierungsgutachten. Schafft es Wolfgang Straubinger, den Elektrobetrieb zu retten? Oder ist eine Insolvenz unausweichlich? Das erfahren wir in dieser Folge.

Jingle: Endstation Insolvenz? Fall und Aufstieg eines Mittelständlers. Eine Podcast-Serie über wirtschaftliche Krisen, radikale Entscheidungen und unerwartete Chancen.

Tanja Könemann: Einige Monate nach den ersten Warnsignalen steht Wolfgang Straubinger vor dem schwersten Kapitel der Unternehmenskrise. Die Zukunft von vielen Familien hängt ab von einem einzigen Gutachten, dem Sanierungsgutachten.

Wolfgang Straubinger: Wir beschäftigen 250 Mitarbeiter in unserem Betrieb. Es hängen diese Existenzen dran, es hängt auch meine Existenz dran. Ich bin verheiratet, wir haben zwei Kinder, auch unsere private Existenz hängt von dieser Firma ab. Es war schon sehr belastend.

Tanja Könemann: Unterstützung bekommt er von Markus Exler, Restrukturierungs- und Transformationsexperte. Er soll Ordnung in das Chaos bringen und den Dialog mit den Banken führen.

Markus Exler: Am langen Ende geht es darum, das fehlende Vertrauen wieder Stück für Stück herzustellen. Und da ist der Blick in die Bücher − das Aufmachen der Kalkulationen − die erste Maßnahme, um mal zu sehen, wie groß ist der Schaden überhaupt.

Tanja Könemann: Wie das funktioniert, erklärt uns Unternehmensberater Jens Titze.

Jens Titze: Im ersten Schritt prüfen wir die Insolvenzreife. Das heißt: Wir schauen, ist ein Insolvenzantrag zu stellen, ja oder nein. Wenn wir feststellen, nein, dann prüfen wir die Frage, ist das Unternehmen sanierungsfähig? Also − ist dieser Kern des Unternehmens noch gesund? Die Bank braucht es, um auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung Maßnahmen zu ergreifen. Beispielsweise, um neue Kredite rauszugeben, Besicherungen zu ändern. Und wenn dann sozusagen später es doch schief gehen sollte, dass dann eine Bank nicht in die Anfechtung gerät oder sogar an andere Vorwürfe, dass man hier bei der Insolvenzverschleppung auch Vorschub geleistet hat.

Tanja Könemann: Hier geht es nicht um Papierkram. Für die Bank ist das Gutachten Pflicht. Für den Unternehmer ist es eine Prüfung. Das Sanierungsgutachten entscheidet darüber, ob eine Firma noch sanierungsfähig ist oder bereits verloren.

Jens Titze: Wir gehen in jeden Auftrag, in jede Absatzschiene rein und kalkulieren die erstmal für uns durch und vergleichen die mit dem Bild, was wir sehen. Und dann hat man meistens vom Unternehmen irgendwelche Vorhaben: Wir wollen das erreichen, um den Kunden zu gewinnen. Und dann muss man beurteilen, ist das wahrscheinlich? Warum glaubt ihr, dass diese Hoffnung auch wirklich Früchte trägt und euch nach vorne bringt? Und da gibt es Gespräche auch mal mit potenziellen Dritten, mit denen man das umsetzen möchte. Und so kommt man über so eine Art Sparring und unsere eigenen Berechnungen in eine Abwägung letztlich. Wie wahrscheinlich ist das wirklich . . .

Tanja Könemann: Dann werden Fragen gestellt, die tiefer gehen als jede Bilanz.

Jens Titze: Trauen Sie sich das wirklich zu? Wie soll denn Ihr Leben morgen aussehen? Im Sinne von: Da steht jetzt ein harter Sanierungsweg an. Schaffen Sie das? Je nachdem, wie alt oder gesund jemand ist. Wie sehr allein ist oder was man für eine gute oder schlechte Mannschaft hinter sich hat. Wo man ganz klar die Sinnfrage stellen muss, weil es ja noch zu Sanierung Alternativen gibt wie den Verkauf. Oder eben auch bei einer Sanierung, wo man sagen muss, es ist so knapp davor und es würde so viel bedeuten − ist es der richtige Weg oder gibt es andere Ansätze.

Tanja Könemann: Es braucht also hundertprozentige Ehrlichkeit.

Jens Titze: Auch wenn das Auftragsverhältnis zwischen Berater und Unternehmen dadurch leiden kann, aber im Zweifel ist der Sanierungsberater der Letzte und der Einzige, der die ganz klare Wahrheit auf den Tisch packen kann. Beim Unternehmer ist der Grad der Hoffnung deutlich größer als beim Draußenstehenden. Wir sind manchmal vielleicht auch zu pessimistisch, das kann sein. Aber erst mal, also selten wird gesagt: Ich glaube, Sie haben recht. Erst mal ist der Gegendruck schon da.

Tanja Könemann: Sanierung ist ein Wettlauf gegen die Uhr und gegen die eigene Selbsttäuschung.

Jens Titze: Ich ganz persönlich bin relativ hartnäckig und bleibe dann lange dran, bis ich merke, dass es als ernsthafte Aussage wahrgenommen wird und ich sage: Ich nehme es mal mit, dann mal ruhen lassen. Da gibt es den Familienrat, da gibt es auch das Management, mit dem man spricht und dann muss aber in aller Regel zügig ein, zwei Tage später schon das nächste Gespräch kommen, weil man neben der menschlichen Komponente natürlich die zeitliche Komponente sehen muss. Wir sind ja in solchen Gesprächen immer in der Nähe von Insolvenzantragspflichten. Das heißt: Ich habe Fristen, die im Hintergrund laufen, die ich halten muss gegenüber nicht nur meinen Geschäftspartnern, sondern auch gegenüber dem Gesetzgeber. Und deswegen ist da ein großer Druck in der Abfolge der Termine schon da.

Tanja Könemann: Über allem steht also die Frage, lässt sich überhaupt noch etwas machen? Oder ist der Unternehmer bereits verpflichtet, Insolvenz anzumelden? Denn wer in diesem Moment noch zögert, der macht sich strafbar. Was viele nicht wissen: Jedes Insolvenzverfahren geht vom Insolvenzgericht immer auch zur Staatsanwaltschaft. Wozu das führt, erläutert uns Rechtsanwältin Manon Heindorf.

Manon Heindorf: Insolvenzstraftaten, allein schon das Ermittlungsverfahren, können erhebliche Konsequenzen, auch persönliche Konsequenzen haben. Das fängt schon damit an, dass möglicherweise ein Haftbefehl erlassen werden kann oder eben Arreste erlassen werden können, je nachdem, um welche Höhe wir sprechen und wie klar die Situation im Ermittlungsverfahren ist. Und mal davon abgesehen, die ganzen Reputationsschäden, die dadurch auch entstehen.

Tanja Könemann: Im Besprechungsraum der Elektro Rösler GmbH liegen Zahlenkolonnen, Prognosen und Szenarien. Ohne Sanierungsgutachten kein Vertrauen, ohne Vertrauen kein Kredit. Nicht nur für den Unternehmer, auch für Berater wie Markus Exler drohen in dieser Phase große Haftungsrisiken.

Markus Exler: Mit einem positiv unterschriebenen Gutachten kann man hier diesen Insolvenzgrund heilen und kann hier entsprechend dann − oder die Finanzgläubiger können in einem Fall − haftungsfrei diese Linien offen halten. Ich habe natürlich als Berater dann auch ein sogenanntes Beraterrisiko, eine Beraterpflicht, hier auch in den Regress genommen zu werden. Dann würde die Bank sagen, wir haben den Kredit aufgrund deiner Unterschrift ausgereicht und die Linien offengelassen. Jetzt nehmen wir dich hier mal schön in die Beraterhaftung. Deshalb muss ich oder müssen wir als Berufsstand der Rechtsstrukturierungsberater, diese Gutachten sehr, sehr ernst nehmen. Und was wir eben nie machen, sind Gefälligkeitsgutachten. Denn am langen Ende haften wir mit unserer Unterschrift.

Tanja Könemann: Das Gutachten zu verlangen, ist nicht nur Selbstschutz für die Bank. Es ist auch ein Prüfstein für das Unternehmen selbst.

Wolfgang Straubinger: Also, als erstes bin ich natürlich als Unternehmer selbst konfrontiert gewesen mit der Frage, was habe ich falsch gemacht? Und diese Frage muss man schonungslos aufarbeiten und ganz kompromisslos beantworten − entweder alleine oder eben mit den beratenden Unternehmen zusammen. Und wenn über diese Frage Klarheit besteht, dann muss man diese Frage auf die zweite Führungsebene ausrollen und im Team dann fragen, was läuft bei unserem Unternehmen falsch, dass wir nicht den Erfolg erzielen können, den wir brauchen. Und da gibt es Mitarbeiter, die arbeiten hier eifrig mit und versuchen das Unternehmen nach vorne zu bringen und die werden stärker mit der steigenden Transparenz. Es gibt aber auch Mitarbeiter, die können diesen Weg dann nicht mitgehen. Mich haben hier Mitarbeiter, langjährige Mitarbeiter durchaus, verlassen, weil sie diesen Change -Prozess nicht mitgehen konnten.

Tanja Könemann: Schließlich liegt das Sanierungsgutachten auf dem Tisch der Bank. Vertrauen einmal verspielt, muss neu verhandelt werden. Markus Exler erinnert sich an die Atmosphäre beim Bankgespräch.

Markus Exler: In dieser besagten Bankenrunde gab es einen Ausspruch von einem Finanzgläubiger, der gesagt hat, Kreditgeschäft ist Vertrauensgeschäft und Vertrauen ist hier massiv beschädigt. Sie können sich auch vorstellen, dass solche Zusammenkünfte nicht unemotional laufen. Da liegen die Nerven blank, da wird man auch mal laut oder die Gegenseite wird laut. Da wird teilweise geschrien aufgrund einer Verärgerung und das gilt es einzufangen, das gilt es dann auf eine Sachebene zu stellen. Man muss dann auch mit relativ starker Deutlichkeit in Richtung Finanzgläubiger sagen, das hat jetzt niemand mit Absicht gemacht, wir müssen davon ausgehen, dass das Unternehmen nicht mit einem Vorsatz hier in so eine Lage gekommen ist, sondern da hat sich über Jahre etwas entwickelt.

Tanja Könemann: Während die Bank die Zahlen durchleuchtet, geht es der Belegschaft der Elektro -Rösler GmbH auch um Vertrauen. 250 Menschen wollen wissen, wie es für sie und ihre Familien weitergeht. Für Wolfgang Straubinger ist klar, Schweigen wäre das falsche Signal. Also informiert er seine Belegschaft, so offen, wie es in einer Krise möglich ist.

Wolfgang Straubinger: Die Mitarbeiter in so einer Situation zu informieren ist wichtig, um Spekulationen vorzubeugen. Die Mitarbeiter haben ein Recht auf eine wahrheitsgemäße Information, allerdings nicht bis zur zweiten Nachkommastelle.

Tanja Könemann: Offenheit schafft Orientierung, aber sie braucht die richtige Dosis.

Markus Exler: Mitarbeiter reden untereinander, das umfasst die gesamte Wertschöpfungskette über Vertrieb, Einkauf und Produktion. Dann haben Mitarbeiter sehr häufig schon auch die richtigen Schlüsse. Und wenn dann von einer Geschäftsleitung nichts kommt, dann tauchen umso mehr die Fragen auf. Und dann entsteht ein unangenehmer Flurfunk und das ist mir das Schlimmste, was einem dann passieren kann. Das gehört zu einer vernünftigen Unternehmenskultur dazu, dass man sein Visier aufmacht, dass man ehrlich ist − aber man muss aufpassen, dass man nicht die Dinge zerredet, sondern in einer vernünftigen Dosierung bleibt. Und das Allerwichtigste ist, dass man einen genauen Fahrplan hat und dass man hier nicht permanent diese Dinge ändert, weil wenn am langen Ende die Mitarbeiter das Vertrauen dann auch nicht haben, dass dieser Restrukturierungs- oder Sanierungsprozess gelingt. Dann kommt Unsicherheit rein und mit der Unsicherheit wächst natürlich auch der Grad, das Unternehmen zu verlassen. Und wie es häufig so ist, es verlassen eher die guten Mitarbeiter in so einer Situation das Unternehmen und weniger die vielleicht suboptimalen Mitarbeiter. Und deshalb kommt es auf die Dosierung in der Kommunikation an.

Tanja Könemann: Offen zu sein mit Belegschaft und mit Banken kostet Straubinger Kraft. Seine Mühe lohnt sich aber. Langsam baut sich wieder Vertrauen auf. Und, das sei jetzt schon mal verraten, schafft eine Basis für Maßnahmen, die die Insolvenz der Elektro Rösler GmbH tatsächlich abwenden. Wie genau, das hören Sie in der nächsten Folge. Doch nicht jeder schafft, was Straubinger gelungen ist. Wir hören auch eine Unternehmerin, bei der nichts mehr zu machen ist und für die der nächste Schritt Insolvenz heißt. Bevor Sie sich am besten sofort die dritte Folge unserer Podcast-Serie anhören, fassen wir hier nochmal die wichtigsten Erkenntnisse dieser Phase zusammen. Wer offen mit Banken, Beratern und Mitarbeitern spricht, gewinnt Vertrauen zurück und das ist die wichtigste Währung einer Sanierung. Zwischen Hoffnung und Insolvenz liegen oft nur wenige Wochen. Wer sich der Realität früh stellt und schnell handelt, kann oft noch etwas retten. Ein klarer Fahrplan, viel reden und zupacken, schafft Stabilität. Manchmal lässt sich das Ruder so noch herumreißen.

Jingle: Endstation Insolvenz? Fall und Aufstieg eines Mittelständlers. Moderiert von Tanja Könemann, Redaktion Simone Nissen. Gefällt Ihnen, was Sie hören? Dann bewerten Sie uns gerne auf Spotify oder Apple Podcast und abonnieren Sie diesen Kanal.