Creditreform Magazin

Wahrscheinlichkeitsrechnung für die Wirtschaft

Die Berechnung der Ausfallwahrscheinlichkeiten von Unternehmen gehört zum Kerngeschäft von Creditreform. Doch Corona- und Energiekrise verändern die Rahmenbedingungen – weshalb die Experten an neuen Modellen zur Prognose der sogenannten Probability of Default (PD) arbeiten.

Von den Daten, die Creditreform Risikocontrollern monatlich aktualisiert und aggregiert zur Verfügung stellt, hängt vieles ab. Allen voran von den Branchenübersichten zum Creditreform Bonitätsindex. Er bildet anhand von Finanzinformationen, Bilanzdaten, Zahlungsverhalten und weiteren Parametern ab, wie zahlungsfähig Unternehmen sind – beziehungsweise wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie es innerhalb der kommenden zwölf Monate nicht mehr sind. Diese sogenannte Ausfallwahrscheinlichkeit – oder Probability of Default (PD) – ist eine wichtige Entscheidungsgrundlage, etwa, wenn Händler oder Finanzdienstleister Vertragsentscheidungen treffen oder Unternehmen untereinander größere Aufträge vergeben.

Vorausgesetzt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern sich nicht zu schnell. Denn zur Berechnung des Bonitätsindex und der daraus ermittelten PD nutzt Creditreform vergangenheitsbezogene Daten „Unser Modell zur Berechnung der PD ist seit Jahrzehnten etabliert und zeigt eine stabil hohe Trennschärfe. Dennoch haben wir uns, ebenso wie Kunden zum Beispiel aus der Finanzwirtschaft, mit Beginn der Pandemie 2020 gefragt, ob dieser Ansatz in volatilen Zeiten noch vollumfänglich trägt“, sagt Stephan Schütrumpf, Bereichsleiter Kreditservice bei Creditreform Rating.

Was passiert, wenn von heute auf morgen alle bewährten Annahmen infrage stehen? „Da kamen natürlich Fragen auf. Wie verändern sich die Bonitätsbewertungen? Wie entwickelt sich die deutsche Wirtschaft? Was müssen Banken und Betriebe gegebenenfalls anpassen, die mit Creditreform Daten ihre Finanzierungsentscheidungen treffen?“, erinnert sich Schütrumpf.

Jedes Modell hat Grenzen

Zu Beginn der Pandemie wurde allgemein erwartet, dass die Ausfallraten 2020/2021 dramatisch ansteigen werden. Doch das Gegenteil war der Fall. Durch die umfangreiche finanzielle Unterstützung der Unternehmen durch den Staat sowie gesetzliche Ausnahmeregelungen sank die PD für die Gesamtwirtschaft im Jahr 2021 auf den historischen Tiefstand von 1,08 Prozent. Von 1.000 Unternehmen konnten also knapp 11 ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. 2022 stieg die PD leicht auf 1,17 Prozent und lag damit immer noch unter dem Stand von vor der Pandemie (1,36 Prozent).

Die Entwicklung verdeutlicht, warum viele etablierte Modelle in der Konjunkturforschung und Ausfallprognose in wirtschaftlichen Ausnahmejahren an ihre Grenzen kommen können. Viele Parameter wie die Entwicklung des Zinsniveaus, der Auftragslage oder von Finanzkennzahlen können Ökonomen auf Basis historischer Zeitreihen relativ gut berechnen. Effekte unter dem Obergriff

„Externe Schocks“ wie Corona, Ukraine-Krieg oder Energiepreiskrise sind aber nicht vorhersehbar. Und darüber, welche Folgen eine weltweite Pandemie oder ein Krieg an den Grenzen Europas für hiesige Unternehmen hat, gibt es schlicht keine übertragbaren Datenmodelle aus der Vergangenheit.

Insofern hat es die meisten Experten überrascht, dass sich die PD der deutschen Gesamtwirtschaft im Jahr 2020 entgegen den ursprünglichen Erwartungen entwickelt hat, bis sich die Einflussfaktoren – allen voran die Staatshilfen – herauskristallisiert hatten. Sehr schnell war jedoch klar: Eine ergänzende Methodik in der Ausfallprognose ist sinnvoll. Auch weil die Regulatoren, wie etwa die Europäischen Bankenaufsicht EBA sowie die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) inzwischen einen stärker zukunftsorientierteren Blick von Banken und Finanzdienstleistern in Ihren Risikomodellen fordern.

Ganz wichtig dabei: „Es musste eine ergänzende Kennzahl sein, keine, die unsere etablierte PD einfach ersetzt“, sagt Schütrumpf. Zu „fest verdrahtet“ ist das bestehende PD-Modell in den Entscheidungsprozessen des Credit Managements von Unternehmen und Banken. Das heißt: Eine kurzfristige Veränderung der bestehenden PD würde massiven Einfluss darauf haben, mit wem und zu welchen Konditionen Unternehmen und Banken Geschäfte machen.

Extra-Daten plus Experten

Für den Blick nach vorn stellt Creditreform daher nun halbjährlich eine zusätzliche Probability of Default, die sogenannte Prognose-PD, bereit. Um sich künftigen wirtschaftlichen Entwicklungen dabei möglichst genau anzunähern, hat Creditreform die bestehende Systematik erweitert:

Ausgehend von den historischen Ausfalldaten als Grundlage, fließen in die Berechnung der Prognose-PD zum einen Daten aus dem ifo-Geschäftsklimaindex mit ein. Diese Umfragereihe basiert auf gut 9.000 Meldungen von Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, des Dienstleistungssektors, des Handels und des Bauhauptgewerbes. Sie werden monatlich gebeten, ihre Geschäftslage sowie ihre Erwartungen für die kommenden sechs Monate zu beurteilen. „Damit ist der ifo-Geschäftsklimaindex ein viel beachteter Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland“, erklärt Schütrumpf.

Zum anderen nimmt ein Methodenkomitee eine qualitative Einschätzung der Wirtschaftslage vor. Fünf Experten von Creditreform analysieren das gegenwärtige und das zu erwartende wirtschaftliche Umfeld – etwa die Zinsentwicklung, die Auftragslage, den Außenhandel und den privaten Konsum – und haben die Möglichkeit, den rein mathematisch-statistischen Wert der Prognose-PD in einer vorgegebenen Metrik nach oben oder unten zu korrigieren.

Das Ergebnis ist ein neuer Wert, der zu Beginn des Projektes durchaus von der bestehenden PD abwich, mittlerweile aber immer zutreffender wird. „Natürlich fehlen uns noch längere Zeitreihen, aber wir sehen, dass wir uns auch mit der Prognose-PD der tatsächlich eingetroffenen Ausfallrate stark annähern“, sagt Schütrumpf.

Für Unternehmen und Finanzdienstleister kann die neue Kennzahl somit eine wertvolle Ergänzung zu bestehenden Metriken sein. Bisher ist sie etwa in der sogenannten Branchenanalyse von Creditreform Rating enthalten, zu der jeder Creditreform Kunde auf Anfrage Zugriff erhält. „Das kann zum Beispiel sehr hilfreich sein, um die eigene oder die Branche von Kunden einzuschätzen“, sagt Schütrumpf – etwa für die Jahresplanung, bei Banken und Finanzdienstleistern, in der Ermittlung des Wertberichtigungsbedarfs oder aber für die Lageberichterstattung in der Bilanz.

Auch individuell könnten Creditreform Kunden die Prognose-PD auf Anfrage erhalten, sagt Schütrumpf. Bis die Prognose PD allerdings ein ergänzender, fester Teil der Wirtschaftsauskunft wird, wollen die Datenexperten allerdings noch weitere Erfahrungen mit ihrer Methodik sammeln und sie perfektionieren.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke
Bildnachweis: Westend / Getty Images