Creditreform Magazin

Für alle Wetter gerüstet

Die Klimabewegung hat viele Unternehmen aufgerüttelt. Sie sparen Emissionen ein, verzichten auf Flugreisen, reduzieren den Ressourcenverbrauch. Doch die Wahrheit ist: Vollständig aufhalten lässt sich der Klimawandel vermutlich gar nicht mehr. Besser also, sie bereiten sich zugleich auf Wetterextreme und andere Folgen der Erderwärmung vor.

Klaus Fichter plädiert für eine optimistische Herangehensweise. „Man kann den Klimawandel als unternehmerische Chance sehen“, sagt er. „Es geht für Unternehmen darum, vom Problemverursacher zum Problemlöser zu werden und aus einer Bedrohung eine Chance zu machen.“ Fichter lehrt als Privatdozent an der Universität Oldenburg Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit und hat das gemeinnützige Forschungsinstitut Borderstep gegründet. Das Klima treibt Fichter um – und seine Auswirkungen auf die Wirtschaft. „In jeder Branche wird es Gewinner und Verlierer geben“, glaubt er.
 
Hansegrand will zu den Gewinnern zählen. Das Unternehmen aus Selsingen zwischen Bremen und Hamburg stellt seit mehr als 30 Jahren Baustoffe her, mit denen Radwege, Straßen, Spiel- und Bolzplätze gebaut werden. „Der Klimawandel hat die Nachfrage nach Klimabaustoffen stark angekurbelt“, sagt Inhaber Hans Pape. Asphalt und Beton sind out, versiegelt werden sollen Radwege oder Parkplätze heute nicht mehr. Darum verbaut Hansegrand zwischen Tragschicht und Wegedecke nun noch eine weitere Schicht, die man im eigenen Forschungslabor entwickelt hat: eine feine Körnung aus Splitt und Sand, aber ohne Kalk und Lehm. Diese Zwischenschicht sorgt dafür, dass das Wasser auch bei heftigen Regengüssen gut versickern kann. An der Oberfläche bilden sich keine Pfützen, nach einem Regenschauer sind Wege und Plätze schnell wieder getrocknet. Brennt hingegen die Sonne, verdunstet das gespeicherte Wasser, die Wegedecke gibt Kühle nach oben ab und heizt sich weniger auf als konventioneller Asphalt.

Klimaanpassungsstrategie fehlt meist

Auf der jüngsten Bundesgartenschau in Heilbronn war das schon live zu beobachten. Hansegrand legte dort 5.000 Quadratmeter Wege an, über die letztlich 2,3 Millionen Besucher liefen. „Hansegrand macht aus dem Klimawandel ein Geschäftsmodell und liefert Lösungen“, sagt Klaus Fichter, der das Unternehmen beraten hat. Aus reiner Liebe zum Klima machen die Norddeutschen das nicht. Es soll sich lohnen. Nach Angaben des Unternehmens wuchsen die Gewinne von 2017 bis 2019 um mehr als zwölf Prozent.


„Das Bewusstsein für die Risiken des Klimawandels hat in den letzten Jahren in den Unternehmen zugenommen.“
Klaus Fichter, Borderstep Institut


Hansegrand darf sich als Pionier bezeichnen. „Eine Klimaanpassungsstrategie hat nur ein Bruchteil aller Unternehmen – weit weniger als ein Prozent“, schätzt Klaus Fichter. „Der Großteil der Unternehmen müsste sich ganz intensiv damit befassen. Aber das ist nicht der Fall.“ Die meisten haben andere Sorgen. Sie beschäftigen der Fachkräftemangel, die Digitalisierung, auch der Brexit und die Auswirkungen des Corona-Virus auf Nachfrage und Lieferketten. Und der Klimaschutz? Der natürlich auch. Emissionen einsparen wollen die meisten schon. Aber sich aktiv an mögliche Folgen des Klimawandels anpassen? So weit ist der Großteil der Unternehmen noch nicht. So startete beispielsweise die IHK-Akademie München im Frühjahr 2018 ein Pilotprojekt und bot Fachkräften eine Weiterbildung zum „betrieblichen Klimaanpassungsmanager im Unternehmen“ an. Damit könne man das Thema personell in den Unternehmen verankern, so die Erwartung. Das Projekt wurde flugs wieder eingestampft, die Resonanz war unterirdisch.

Akuter Fall von Starkregendemenz

Zwei Drittel der mittelständischen Unternehmen spüren die Auswirkungen des Klimawandels laut einer Umfrage der DZ Bank schon heute. Und immerhin 22 Prozent der Unternehmen, die vom Klimawandel betroffen sind oder zukünftige Auswirkungen erwarten, haben schon konkrete Maßnahmen in die Tat umgesetzt. „Das Bewusstsein für die Risiken des Klimawandels hat in den letzten zwei, drei Jahren in den Unternehmen zugenommen“, sagt Klaus Fichter. „Hitze und Überschwemmungen haben gezeigt, dass der Klimawandel nichts Abstraktes ist und erhebliche Schäden verursachen kann.“

Für die restlichen 78 Prozent allerdings gilt das Bequemlichkeitsprinzip: Zur Vorsorgeuntersuchung will keiner, der Arzt wird erst konsultiert, wenn etwas wehtut. Erfahrungsgemäß beschäftigt sich auch mit Klimafolgen nur, wer schon selbst von ihnen betroffen ist. „Antizipieren und mitdenken, um schneller reagieren zu können“, rät dagegen Felix Bücken. Er ist Geograph und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Osnabrück. Die Hochschule untersucht in einem Forschungsprojekt, wie sich die regionale Logistikbranche auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten kann. Vor einigen Monaten lud sie 21 Logistikunternehmen aus der Region zu einem Workshop ein. Die Teilnehmer berichteten von ihren Alltagserfahrungen, von Straßen, die wegen Überschwemmungen nicht befahrbar waren. Von Brücken, auf die man bei Sturm nicht fahren konnte. Von Hitzeschäden auf Autobahnen und von Niedrigwasser, welches die Binnenschifffahrt unmöglich machte – alles schon heute spürbare Auswirkungen des Klimawandels. Und dennoch diagnostizierte der Hochschul-Workshop bei den Osnabrücker Logistikern „Starkregendemenz“. Sobald ein Extremwetterereignis abgeklungen war, vergaßen sie schnell wieder, welche Folgen es hatte – bis zum nächsten.

Dabei könne ein einziges extremes Wetterereignis, darüber waren sich die Anwesenden durchaus einig, unter Umstände sogar bis zur Insolvenz eines Unternehmens führen. Ein Logistiker, der böse von Wind und Wetter überrascht wird und deswegen dauerhaft nicht liefern kann, erzielt keine Erlöse und wird im schlimmsten Fall zahlungsunfähig. Trotzdem hat noch keines der 21 besagten Logistikunternehmen eine Klimaanpassungsstrategie in der Schublade.

Leistungsfähige Infrastruktur

Helfen können dabei Felix Bücken und seine Kollegen. Am Ende ihres Forschungsprojekts, das vom Bundesumweltministerium gefördert wird und bis Ende 2021 angesetzt ist, soll eine Checkliste stehen. Jedes Logistikunternehmen kann seine Risiken dann anhand eines Tools selbst einschätzen. Die Grundlage für einen Plan. Ohnehin sei Antizipation das Zauberwort, so Bücken. „Das ist bei vielen Unternehmen nicht so ausgeprägt. Es liegt auch daran, dass die Infrastruktur in Deutschland trotz allem sehr leistungsfähig ist. Man findet immer irgendwo Lösungen“, sagt er und empfiehlt Firmen, sich für die Zukunft auf unterschiedlichste Klimaszenarien vorzubereiten. Außerdem müssten sie die Problematik auf organisatorischer Ebene anpacken. „Denn Mitarbeiter im Unternehmen, die Klimafolgen auf dem Schirm haben und sich damit beschäftigen, die gibt es selten.“


„Die Infrastruktur in Deutschland ist trotz allem sehr leistungsfähig. Auch deshalb sind viele noch nicht vorbereitet.“
Felix Bücken, Universität Osnabrück


Grundsätzlich haben Unternehmen im Umgang mit der Erderwärmung diese Optionen: Sie können Risiken vermeiden, indem sie zum Beispiel ihren Standort verlagern oder ganz aus einem Markt austreten. Sie können das Risiko abwälzen, auf Versicherungen etwa oder auf Vorlieferanten. Sie können das Risiko akzeptieren, die Füße still halten und einfach abwarten. Oder sie verwandeln Unsicherheiten in Chancen. Als Erste handeln vor allem diejenigen, die stark vom Wetter abhängen, insbesondere Land- und Forstwirte, Tourismus-, Bauunternehmen und Handwerker.

So wie der Malerbetrieb von Mattias und Lisa Strobl aus Pöttmes in Bayern. Die Handwerker haben sich dazu entschieden, ihre Gerüste über die geltenden Vorschriften hinaus durch zusätzliche Verankerungen sturmfest zu machen – damit diese nicht umstürzen und Schäden verursachen. Außerdem wollen sie in Fahrzeuge mit Seitenwindassistent und Anhänger-ESP investieren. Die Maler-Materialien sollen zudem in klimatisierten Hallen gelagert werden, um sie vor Frost und Hitze zu schützen. Kein Masterplan, aber viele kleine Einzelschritte, die Geld kosten – und vielleicht an die Kunden weitergegeben werden. Gleich nebenan in Friedberg sitzt der Dachdeckerbetrieb von Michael und Philomena Voigt, der sich um das ohnehin knappe Angebot an Azubis sorgt. Wenn die Hitze hoch oben auf den Dächern immer krasser wird, könne es noch schwerer werden, junge Leute für den Dachdeckerberuf zu begeistern, so die Befürchtung. Aber auch dieses bedrohliche Szenario lässt sich in eine Chance umdeuten. Denn sollte der Wind immer kräftiger blasen, leiden die Dächer massiver und machen mehr Reparaturen notwendig. Möglicherweise belebt der Klimawandel also das Geschäft. Überdies könnte ihr Dachdeckerbetrieb, so das Kalkül der Voigts, dazu übergehen, mehr präventive Wartungsarbeiten anzubieten, um die Ziegel erst gar nicht herunterwehen zu lassen.

Alle zwei Jahre zeichnet das Umweltbundesamt Projekte, die sich dem Umgang mit Klimafolgen widmen, mit dem Blauen Kompass aus. In diesem Jahr findet der Wettbewerb zum vierten Mal statt. 66 Unternehmen haben ihre Vorschläge eingereicht, darunter private Firmen und kommunale. Ende April werden die Nominierten offiziell bekanntgegeben. Bei der letzten Ausgabe des Blauen Kompass im Jahr 2018 hatten nur 40 Unternehmen mitgemacht. Ein klarer Aufwärtstrend. Und vielleicht werden sich auch andere Unternehmen schon sehr bald mit den Klimafolgen auseinandersetzen müssen, ob sie wollen oder nicht. „Wir stellen fest, dass immer mehr Auftraggeber bestimmte Zertifikate, auch im Bereich Umweltmanagement, von den Logistikdienstleistern verlangen“, sagt Felix Bücken von der Uni Osnabrück. „Es deutet sich an, dass dies auch im Bereich der Klimafolgenanpassung ein Thema werden kann.“ So veröffentlichte die Internationale Organisation für Normung (ISO) im Sommer 2019 die Norm ISO 14090 – die erste, die Unternehmen bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels unterstützen soll.

Ungemach kommt seltener allein

„Meine Grundthese lautet: Wer sich damit nicht beschäftigt, wird definitiv ein Verlierer sein“, sagt Klaus Fichter über das Klima von morgen. Brenzlig werde es für Unternehmen immer dann, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen. Ein einzelnes Extremereignis lasse sich meist noch gut in Schach halten, mehrere nicht. Eine lange Dürre, die Lieferanten lieferunfähig zurücklässt, gesalzen mit einem heftigen Orkan, der die eigenen Liegenschaften beschädigt, gepaart mit einer Krankheitswelle unter den Mitarbeitern, die von Asiatischen Tigermücken ausgelöst wurde, welche sich infolge des wärmeren Klimas in Mitteleuropa angesiedelt haben – so könnte eine fatale Verkettung der Zukunft aussehen. „Ich muss in der Lage sein, auch bei sehr kurzfristigen Veränderungen meinen Betrieb am Laufen zu halten“, so Fichter. „Das hat etwas mit Anpassungsfähigkeit und Flexibilität zu tun und erfordert agile Strukturen.“
 
Darwin hätte seine helle Freude: Nur die Anpassungsfähigen überleben, das ist die Botschaft. Auch Markus Gruber will dazugehören. Der Winzer aus Obersulm bei Heilbronn berichtete jüngst auf einer Fachtagung in Stuttgart über seine Klimastrategie. Schon heute habe er vermehrt Ausfälle von Reben zu beklagen und bis zu 40 Prozent Ertragseinbußen. Gruber hat reagiert. Er begrünt mehr, pflanzt früher, baut stabilere Anlagen, stellt Hagelnetze auf. Alles nach dem Trial-and-Error-Verfahren. Die Qualität der Weine werde tendenziell eher besser, hat der Winzer festgestellt. Vor unlösbare Probleme werde der Klimawandel ihn jedenfalls nicht stellen. Ein Segen ist der Klimawandel sicher nicht, aber er bietet eben auch Chancen. Man muss sie nur rechtzeitig ergreifen.


Neuer Standard: Anpassung an die Folgen des Klimawandels

Neben Maßnahmen zum Klimaschutz rückt auch die systematische Anpassung an die Folgen des fortschreitenden Klimawandels in den Fokus von Unternehmern. Die neue Norm ISO 14090 der Internationalen Normungsorganisation (ISO) gibt Hilfestellung, wie die Anpassung schrittweise umgesetzt werden kann.

1. Vorplanung: Kann ich als Unternehmen überhaupt etwas tun, um mich gegen Klimawandelfolgen zu schützen? Habe ich auch die personellen und finanziellen Möglichkeiten?

2. Bewertung: Welche Aktivitäten, Produkte, Prozesse könnten durch den Klimawandel beeinflusst werden, sowohl kurz- als auch langfristig. Welche Risiken entstehen dadurch, welche Chancen ergeben sich?

3. Anpassungsplan: Welche Maßnahmen kann das Unternehmen ergreifen? Wie passen diese in generelle Strategien und Pläne?
 
4. Umsetzung: Die geplanten Maßnahmen werden nach zuvor festgelegten Prioritäten realisiert. Auch Ausweichmöglichkeiten sollten einkalkuliert werden, etwa für den Fall, dass gewünschte Ergebnisse verfehlt werden.

5. Monitoring und Evaluation: Die Norm empfiehlt, einen Monitoring- und Evaluierungsplan zu erarbeiten, mit dem die Fortschritte im Vergleich zum Umsetzungsplan beurteilt werden.

Parallel arbeitet die ISO an weiteren Orientierungshilfen, etwa einer Norm, die speziell bei der Bewertung von Klimarisiken helfen soll (vorgesehen als ISO 14091), sowie einer Norm, die bei der Planung von Anpassungsaktivitäten speziell auf lokaler Ebene unterstützt (vorgesehen als ISO/TS 14092). Beide Dokumente werden voraussichtlich noch im Lauf des Jahres 2020 veröffentlicht.


Quelle: Magazin "Creditreform"

Text: Sebatian Wolking