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Herbst der Reformen – zwischen Anspruch und Abrechnung

Liebe Leserinnen und Leser,

von einem „Herbst der Reformen“  ist in Berlin derzeit viel die Rede. Doch draußen im Land, in Werkhallen, Kanzleien und Handwerksbetrieben, ist davon wenig zu spüren. Der Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft, befindet sich weiter im Krisenmodus. Und die von der Bundesregierung beschworene Wende bleibt bislang ein rhetorisches Konstrukt – kein wirtschaftlicher Befund.

Unsere aktuelle Studie „Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand, Herbst 2025“ zeigt ein ernüchterndes Bild: Der Creditreform Geschäftsklimaindex liegt bei gerade einmal plus 0,1 Punkten – ein hauchdünner Zuwachs nach zwei Jahren Rezession. Ein Aufwärtstrend? Nur auf dem Papier. Die Produktion stagniert, die Konsumlust bleibt gedämpft und Energie- sowie Lohnkosten drücken weiter. 17,6 Prozent der Unternehmen haben Personal abgebaut und die Eigenkapitalbasis vieler Betriebe erodiert. Der Anteil eigenkapitalschwacher Unternehmen ist auf 30,8 Prozent gestiegen – den höchsten Wert seit neun Jahren.

Von Entlastung keine Spur: Weder die angekündigten steuerlichen Maßnahmen noch das groß angekündigte „Investitionsbooster“-Programm wirken bislang in der Breite. Statt einer echten Wachstumsinitiative erleben wir ein haushälterisches Schattenboxen: Gelder werden aus dem Kernhaushalt in das kreditfinanzierte Sondervermögen verschoben – formal schuldenbremsenkonform, faktisch ein Verschiebebahnhof. Das Kalkül ist durchschaubar: Die Haushaltsdisziplin soll gewahrt bleiben, während man sich bilanziell durch die Hintertür finanziellen Spielraum verschafft. Für die Unternehmen ändert das nichts. Sie brauchen Planungssicherheit, wettbewerbsfähige Energiepreise und verlässliche Rahmenbedingungen – keine Rechentricks.

Auch die Stimmen aus Wirtschaft und Forschung werden zunehmend deutlicher. Der DIHK spricht von einer „verlorenen Konjunkturchance“, das ifo Institut warnt vor einem „Wachstum auf der Stelle“ und das Institut der deutschen Wirtschaft sieht Deutschland „in der strukturellen Selbstblockade“. Diese Analysen decken sich mit dem Stimmungsbild aus dem Mittelstand: 43,5 Prozent der Unternehmen planen zwar wieder Investitionen – doch das liegt deutlich unter dem Vorkrisenniveau.

Gleichzeitig zeigen sich neue Brüche. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz etwa wird vielfach als Chance beschworen, bleibt aber im Mittelstand laut unserer Studie bislang eine Randerscheinung. Nur rund 27 Prozent der Betriebe nutzen KI-Anwendungen – und die meisten davon im Marketing und dem Vertrieb, nicht in der Produktion. Das ist symptomatisch: Der deutsche Mittelstand bleibt innovationsbereit, aber innovationsgehemmt – eingebremst durch Überregulierung, Datenschutzkomplexität und fehlende Fachkräfte.

Wie aber kommt die Wirtschaft wieder in Fahrt? Einen klaren Fahrplan liefert das Gutachten des wissenschaftlichen Beraterkreises für evidenzbasierte Wirtschaftspolitik beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Die Experten fordern nicht weniger als eine „Wachstumsagenda für Deutschland“: mehr Investitionen in Bildung und Forschung, eine Reform des Unternehmenssteuerrechts, eine gezielte Fachkräfteoffensive und den konsequenten Abbau bürokratischer Hemmnisse. Kurz gesagt: weniger Verwaltung, mehr Vertrauen.

Ich kann dieser Diagnose nur zustimmen, denn solange Reformen vor allem als Ankündigung existieren, bleibt der Aufschwung Wunschdenken. Der Mittelstand braucht keine kurzfristigen Konjunkturprogramme, sondern langfristige Strukturpolitik. Keine neuen Fördertöpfe, sondern faire Wettbewerbsbedingungen. Keine warmen Worte, sondern kühle Effizienz.

Der Herbst 2025 könnte zum Wendepunkt werden – wenn aus politischen Schlagzeilen endlich wirtschaftliche Substanz wird. Noch aber stehen wir mitten im Nebel. Die Aufgabe ist klar: weniger Symbolpolitik, mehr Standortpolitik. Denn nur so wird aus dem Herbst der Reformen kein Winter der Ernüchterung.

Ihr
Patrik-Ludwig Hantzsch