5G-Campusnetze: Schneller als ein Wimpernschlag
Hochautomatisiert und hochflexibel: Fabriken mit dieser Produktionsbeschreibung nutzen immer häufiger 5G. Viele Vorteile bietet es, wenn der Mobilfunkstandard auf dem Firmengelände als Campusnetz errichtet wird.
Es sind längst nicht mehr nur Menschen, die Mobilfunk nutzen. Schon vor Jahren sind auch Autos oder Haushaltsgeräte zu Akteuren im Netz geworden, melden freie Parkplätze oder bestellen Lebensmittel. Immer stärker treibt nun die Industrie diesen Wandel an, vor allem durch die Vernetzung von Fabriken und Anlagen. Die dort montierten Sensoren senden fortlaufend Daten und steuern auf Grundlage dieser Informationen automatisch Prozesse – Tendenz steigend.
Zur digitalen Steuerung dieser Sensoren eignet sich eine drahtlose Kommunikation mittels 5G am besten. Der neuste Mobilfunkstandard sorgt für einen Turboaustausch von Daten mit einer extrem kurzen Verzögerungszeit. Diese sogenannte Latenz beträgt bei 5G knapp eine Millisekunde, das ist schneller als ein Wimpernschlag. Damit ist Kommunikation nahezu in Echtzeit möglich. Gleichzeitig überträgt 5G Datenraten von bis zu zehn Gigabit pro Sekunde. Das ist die zehnfache Spitzenleistung des bisherigen 4G-Standards.
5G und Deutschlands Wirtschaft: Das wird allmählich eine starke Verbindung. Dafür sorgen zum einen die Netzbetreiber wie Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica und Drillisch, die 2019 mit insgesamt 6,55 Milliarden Euro die 5G-Mobilfunkfrequenzen vom Bund ersteigert haben. Seitdem hat das Quartett ein großes Interesse daran, die Milliarden durch konsumwillige Verbraucher und investitionswillige Firmen wieder reinzuholen.
Unternehmen setzen allerdings nicht ausschließlich auf die öffentlich zugänglichen, sondern errichten eigene, vom Netzbetreiber unabhängige Netze. Die Bundesnetzagentur stellt dafür spezielle Frequenzen zur Verfügung, die exklusiv auf Firmengeländen oder begrenzten Bereichen genutzt werden können. Bis Dezember 2020 erhielten bereits 97 Interessenten Frequenzen für lokale 5G-Netze.
Das Spektrum der nachfragenden Unternehmen ist breit. Schwergewichte der Industrie wie BASF, BMW, Audi, ThyssenKrupp und Evonik zählen dazu, aber auch Messegesellschaften wie die aus Köln und Nürnberg sind dabei, ebenso wie einige Technische Hochschulen und staatliche Förderinstitute. Und auch der deutsche Mittelstand gehört zu den Interessenten. Autozulieferer wie SEW Eurodrive, der Verbindungstechniker Phoenix Contact, das Elektronikunternehmen Rohde & Schwarz und der Laborzulieferer Sartorius – sie alle haben Lizenzen für ein Campusnetz angefragt und erhalten. Nicht zuletzt auch kleinere Mittelständler wie das Unternehmen Götting, das Datenfunksysteme und Sensoren produziert, sowie der Telekommunikationsspezialist Mugler und die Triopt Group, die Funknetze realisiert.
Campusnetze: Garantierte Verfügbarkeit
Die Unternehmen wissen von vielen Vorteilen der Technologie in bereits hochautomatisierten Prozessen zu berichten. Da die Ressourcen nicht wie in einem öffentlichen Netz geteilt werden, ist eine garantierte Verfügbarkeit mit hoher Bandbreite und einem definierten Datendurchsatz über das geschlossene Funknetz möglich. Hinzu kommt: Ein Campusnetz ist vom normalen Mobilfunk abgeschnitten, was es vor Hackerangriffen schützt. Geht man mit seinem Handy an einer Fabrik vorbei, wird das dortige Campusnetz nicht auf der Liste verfügbarer Netze angezeigt. Überdies müssen die Unternehmen die häufig sensiblen Produktionsdaten Dritten nicht zur Verfügung stellen. Und durch den Aufbau einer eigenen Infrastruktur kann man im Fall einer Störung noch schneller reagieren und ist nicht auf externe Unterstützung angewiesen.
Die höchste Nachfrage nach den Netzen kommt laut Experten von der Autoindustrie, da hier ein hoher Bedarf an Mobilität in der Produktion besteht – auch zur Abdeckung des Variantenreichtums. Generell ist die Nachfrage in Branchen hoch, in denen Intralogistik inklusive der Anbindung an die nationalen Zellfunknetze relevant ist.
Einer der 5G-Industriespezialisten ist Fabian Haag. Der Wirtschaftsingenieur arbeitet am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. „Aus Produktionssicht gibt es nichts Schlimmeres, als wenn ein Netz ausfällt“, sagt Haag. Schließlich koste ein Stillstand das Unternehmen gleich hohe Beträge. „Campusnetze gelten aber als besonders zuverlässig und versprechen eine Ausfallsicherheit von bis zu 99,9999 Prozent.“ Der 26-Jährige nennt zudem als Argument für Campusnetze die sehr geringe Latenzzeit, die gerade auch für sicherheitstechnische Aspekte in der Produktion eine besondere Rolle spielt. „Wenn Maschine und Mensch kollaborieren oder wenn fahrerlose Transportsysteme durch die Halle fahren, kommt es auf Millisekunden an“, sagt Haag. „Wenn eine Person in die Fahrbahn eines fahrerlosen Transportsystems läuft, muss dieses das in Bruchteilen von Sekunden erkennen und adäquat reagieren.“
Haags hat am Fraunhofer IPA im Rahmen eines Projekts mehrere Testumgebungen aufgebaut, die sich auch speziell an kleine und mittlere Unternehmen richten, die häufig nicht die finanziellen Mittel haben, ein Campusnetz zu errichten. Dort haben die Firmen die Möglichkeit, ihre Anwendungen mit 5G zu erforschen.
Flexibler produzieren mit 5G
Fabian Haag ist zugleich jemand, der in die Zukunft denkt. Er sagt: „Roboter, die statisch in Schutzkäfigen arbeiten, können bald der Vergangenheit angehören – mit 5G ist es möglich, dass der Roboter einen virtuellen Käfig bekommt und rechtzeitig die Arbeit anhält, sobald ein Mensch in die Nähe kommt.“ Ähnlich sieht das Thomas Potthast, Director Sales beim 5G-Dienstleister Triopt: „Flexible Produktionen mit schnellen Umrüstzeiten etwa an Robotern haben mit 5G-vernetzten Modems einen Vorteil gegenüber festverdrahteten Systemen.“
Zukünftig werden Potthast zufolge Fachkräfte verstärkt „remote“ an Maschinen und Systemen arbeiten, sei es in der Telemedizin oder an Industrieanwendungen wie etwa Kränen, die aus großer Entfernung ferngesteuert werden, ohne dass der Experte vor Ort sein muss. „Auch hierbei ist die geringe Verzögerungszeit der Datenübertragung das entscheidende Erfolgskriterium.“ Zudem würden Anwendungen mit 5G den Personenverkehr sicherer machen. So sind Apps in Arbeit, die einem Lkw-Fahrer Hindernisse wie ein Fahrrad im toten Winkel anzeigen. Grundlage ist, dass die eingesetzten Sensoren und Netzelemente über 5G kommunizieren.
Was Industrieanwendungen angeht, sind Großkonzerne wie BASF federführend. Im BASF-Werk Ludwigshafen sind rund 600.000 Sensoren im Einsatz. Dadurch können Geräte teilweise ohne zwischengeschaltete Steuerung miteinander kommunizieren und die Manager können die dabei entstehenden Daten in Echtzeit analysieren. Im Bereich der fahrerlosen Transportfahrzeuge hatte BASF in Ludwigshafen 2017 ein eigenes 4G-Netz in Betrieb genommen. Die Fahrzeuge transportieren große Tankcontainer, wozu viele Daten wie beispielsweise Videobilder in Echtzeit übertragen werden müssen.
Produktion umstellen: Wo der Mittelstand investiert
Eines der ersten Mittelstandsunternehmen, die mit 5G ihre Produktion begonnen haben umzustellen, ist SEW Eurodrive. An einem der Bruchsaler Standorte wird zu autonomen Fahrzeugen mittels des Campusnetzes geforscht. Zu den Vorreitern der Technologieanwender gehört auch Rohde & Schwarz. Das Münchner Unternehmen liefert mit Messtechnik das nötige Werkzeug, das es anderen Firmen ermöglicht, ein 5G-Netz zu errichten. Im bayrischen Werk in Teisnach baut Rohde & Schwarz auf einer Fläche von 1.500 Quadratmetern ein 5G-Netz auf. Arnd Sibila von Rohde & Schwarz sagt: „Die größte Durchschlagskraft wird 5G wohl in der Industrie haben, weil durch 5G kabellos vernetzte Maschinen und ganze Fertigungslinien fast in Echtzeit miteinander kommunizieren können. Künstliche Intelligenz korrigiert dabei frühzeitig selbst kleinste Abweichungen und Unregelmäßigkeiten in der laufenden Produktion.“
Sibila sieht auch einen Vorteil für Deutschlands Volkswirtschaft. „Die smarte Produktion wird in der wettbewerbsintensiven Fertigungsindustrie zum echten Trumpf, denn auch Hochlohnländer wie Deutschland werden wieder zu attraktiven Produktionsstandorten.“
Aber auch kleinere Mittelständler wie Götting aus Lehrte bei Hannover mischen im Markt der 5G-Netze mit. „Unser Campusnetz ist bereits mit zwei Basisstationen in Betrieb“, sagt Manager Thomas Neugebauer. Konkret werde dies zur Steuerung von fahrerlosen Fahrzeugen und für die Fernbedienung von Radladern im Rahmen der Entwicklung eingesetzt. Ebenso sei kürzlich ein System zur Kooperation beim Lasthandling zwischen einem fahrenden Fahrzeug und einem stationären Roboter demonstriert worden.
Für wen lohnt sich der Einsatz der Technologie? Alexander Bendler, Inhaber des Beratungsunternehmen Wireless Consulting, weiß: „Es können Kosten für den Aufbau der Netze in Höhe von 250.000 bis 600.000 Euro entstehen.“ Die Beträge können aber schnell steigen, etwa wenn das Backend aus Sicherheitsgründen ebenfalls auf dem Campus autark betrieben werden soll.
Höherer Ertrag dank 5G
Dass derzeit noch größere Unternehmen im Fokus der Anwendung stehen, zeigt eine Modellrechnung von Ericsson und dem Technologie-Analysehaus ABI Research. Am Beispiel einer 500.000 Quadratmeter großen Autofabrik kommen sie zu folgenden Ergebnissen: Einem Investitionsvolumen von 50 Millionen US-Dollar für den Einsatz der benötigten Mobilfunktechnik stehen innerhalb von fünf Jahren 505 Millionen US-Dollar an potenziellen operativen Einsparungen gegenüber. Zudem soll laut der Studie durch 5G der Ertrag um 4,9 Prozent wachsen, das Produktionsvolumen um bis zu 17.500 Fahrzeuge steigen.
Weil aber die Technologie stetig in der Weiterentwicklung ist, blicken Experten gespannt auf das sogenannte 3GPP Release 17, das in wenigen Jahren auf den Markt kommen soll. Das Funkspektrum soll bis auf 71 Gigahertz steigen, es soll einen Sidelink für Smartphones und andere Geräte geben, ähnlich wie bereits für Fahrzeuge definiert, sowie neue Funktionen zum optimierten Einsatz von Augmented Reality. „Der Nutzen von 5G in der Industrie wird mit der Verfügbarkeit des Release 17 enorm steigen“, sagt Berater Bendler.
Campusnetze – so geht’s
Der Begriff 5G-Campusnetz bezeichnet ein lokales Mobilfunknetz, das auf ein Firmen- oder sonstiges Gelände begrenzt ist. Bisher waren Unternehmen in Sachen Netz abhängig von der Versorgung durch Telekommunikationsanbieter. Ein eigenes 5G-Netz auf dem Firmencampus ermöglicht ihnen, Fertigungsprozesse individuell zu optimieren und eigene Sicherheitsstandards zu setzen. Zum Einsatz kommen kann 5G-Technologie in …
… der Logistik und Intralogistik
- voll automatisierte und fahrerlose Transportsysteme
- Abbild der kompletten Lieferkette in Echtzeit
- Vernetzung der Lagerbestände mit der Produktion
… der Produktion
- Vernetzung von Waren und Maschinen
- Remote-Steuerung von Anlagen
- Überwachung des Maschinen- und
- Fertigungszustands
- Modellierung von Digital Twins
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Martin Scheele
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