BANKENUMFRAGE (TEIL 1): Auf oder ab? Schwer zu sagen...
Zuletzt gab es gute Nachrichten für die Konjunktur. Einige Stimmungsindikatoren deuten darauf hin, dass sich der Abschwung zum Jahresende 2022 etwas verlangsamt hat. Deutschland kommt offenbar besser durch die Krise als erwartet. Doch für Entwarnung ist es viel zu früh, sagen die Chefvolkswirte der deutschen Geschäftsbanken und Bankenverbände.
Ende Dezember kam noch einmal Hoffnung auf. Trotz Energiekrise, Inflation und Co. stellte sich die deutsche Wirtschaft für 2023 auf bessere Zeiten ein. So zumindest interpretieren Experten den ifo-Geschäftsklimaindex, der im Dezember von 86,4 Punkten auf 88,6 Zähler stieg. Auch die Kurve des KfW-ifo-Mittelstandsbarometers, das die Stimmung im Mittelstand misst, zeigte im November und Dezember wieder nach oben. Offenbar machte die Wirtschaft ihren Frieden mit dem Krisenjahr 2022. Mit den Folgen und Unsicherheiten des Ukraine-Kriegs sind die meisten Unternehmen erstaunlich gut klargekommen. Obwohl der Angriff Russlands auf sein Nachbarland die vor Jahresfrist noch optimistischen Erwartungen von vier Prozent Wirtschaftswachstum schnell zunichte gemacht hat, standen zum Jahresende laut Angaben des Statistischen Bundesamts immerhin noch 1,9 Prozent Wirtschaftswachstum für 2022 zu Buche. Warum also nicht aus diesem Ergebnis etwas Zuversicht schöpfen?
Weil der Optimismus auf tönernen Füßen steht. „Es waren bisher nur die Erwartungen auf eine bessere Konjunktur, die sich etwas aufhellten“, warnt Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank, vor zu großer Euphorie. „Die Lage wird zusehends skeptischer gesehen. Auch der Index für die Konsumlaune zeigt sich trotz des zuletzt leichten Anstiegs weiter überaus schwach.“ Eine technische Rezession, also ein Rückgang der Wirtschaftsleistung in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen, ist im Winterhalbjahr noch immer das wahrscheinlichste Szenario – und es wird den gesamten Jahresverlauf beeinflussen. Die Deutsche Bundesbank rechnet für 2023 etwa mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,5 Prozent. Und damit sind die Bundesbanker noch optimistischer als ihre Kolleginnen und Kollegen in den deutschen Geschäftsbanken und Bankenverbänden. Die vom Creditreform-Magazin befragten Chefvolkswirte gehen von einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung zwischen 0,6 und 1,9 Prozent aus.
Ganz viel Wenn und Aber
Die große Spanne in den Vorhersagen von 1,3 Prozentpunkten macht deutlich, wie schwierig der Blick in die Zukunft ist. „Noch nie mussten die Prognosen so häufig angepasst werden wie in 2022. Dieses hohe Maß an Unsicherheit wird uns auch im neuen Jahr begleiten“, sagt Dominik Lamminger, Geschäftsführer des Bundesverbands Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB). Die Chefvolkswirtin der KfW, Fritzi Köhler-Geib, liegt mit ihrer Vorhersage im Mittelfeld. Sie erwartet, dass die Wirtschaft um rund ein Prozent schrumpfen wird. „Das ist moderat, gemessen an den Einbrüchen des BIP in vorangegangenen Krisenjahren und im Kontrast zu den ausgesprochen düsteren Geschäftserwartungen der Unternehmen im Herbst 2022“, sagt sie. Angesichts der multiplen Krisenlage seien die Prognoserisiken allerdings viel größer als üblich.
Sicher scheint, dass die Inflation hartnäckig bleibt. „Bis zur Mitte dieses Jahrzehnts dürfte die Überwindung der überhöhten Inflation die größte volkswirtschaftliche Herausforderung bleiben“, erwartet Reinhold Rickes, Chefvolkswirt des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV). Vieles wird also von der Teuerung abhängen, die wiederum maßgeblich von den Energiepreisen getrieben wird. „Das abnehmende Risiko von Gasrationierungen und die umfangreichen Entlastungspakete der Bundesregierung sprechen gegen einen Einbruch der deutschen Wirtschaft wie nach der Finanzkrise 2008 oder nach dem Beginn von Corona“, sagt Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank. „Anders als Finanzkrise oder Pandemie trifft die aktuelle Energiekrise die Wirtschaft nur langsam, aber stetig. Es ist ein Hineinrutschen in die Rezession und nicht ein Hineinstürzen“, sagt ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Vor allem, weil die steigenden Energiekosten Verbraucher langfristig belasten werden. Das Vergleichsportal Verivox und der Bund der Steuerzahler etwa rechnen für einen Vier-Personen-Haushalt mit Mehrkosten von 2.400 Euro. Die von der Bundesregierung geplanten Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen und private Haushalte wie die Gas- und Strompreisdeckel könnten die Stimmung zwar wieder etwas aufhellen. „Bis alle Maßnahmen aber tatsächlich greifen, dürften noch Monate vergehen. Bis dahin bleibt die Inflationsrate erhöht und belastet die Konjunktur“, stellt Michael Holstein fest. Erst ab dem Frühjahr 2023 sei eine leichte Erholung zu erwarten, die aber laut Stefan Schneider, Chefökonom der Deutschen Bank, „wegen weiterhin hoher Energiepreise und der schwachen Weltkonjunktur nur verhalten ausfallen dürfte“.
Grau ist alle Theorie
Der große Energiehunger Deutschlands bleibt eine Achillesferse. Auch wenn derzeit alles dafür getan wird, die ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland über andere Wege zu ersetzen. Teurer als vor dem 24. Februar 2022 wird Energie auf jeden Fall bleiben. Carsten Brzeski schließt deshalb ein konjunkturelles Auf und Ab nicht aus. Aufgrund hoch bleibender Energiepreise und Energieengpässe im Winter 2023/24 sei ein sogenanntes Double Dip Ende 2023 denkbar. So bezeichnen Ökonomen einen Konjunkturverlauf, bei dem die Wirtschaft nach überstandener Rezession während des folgenden Aufschwungs an Fahrt verliert und erneut in die Rezession abtaucht. In der Theorie kann eine solche Entwicklung schwerwiegende Auswirkungen haben. Unternehmen könnten auf die erneut schwache Nachfrage mit Ausgabenkürzungen und Entlassungen reagieren. Bei Konsumenten sänke die Kauflaune und die Sparneigung stiege. Langfristig würde auch der Staat durch geringere Steuereinnahmen in seinen Handlungsmöglichkeiten beschränkt.
Die gute Nachricht: Es kann auch ganz anders kommen. Denn Theorie und Realität haben in den vergangenen drei Jahren selten zusammengepasst. Oder wie Stefan Schneider sagt: „In der Poly- oder Permakrise, in der wir uns befinden, interagieren verschiedene ökonomische, soziale, technologische und ökologische Subsysteme derart vielschichtig, dass das Zusammenspiel nicht mehr vollständig zu verstehen, geschweige denn zu prognostizieren ist.“ Tatsächlich ist die Gemengelage aus abebbender Corona-Pandemie in den USA und Europa, steigenden Infektionszahlen in China, andauerndem Russland-Ukraine-Krieg und alles überwölbenden Megatrends wie dem Klima- und dem demografischen Wandel sehr komplex. Eine Lage, „bei der die Abwesenheit von Überraschungen noch überraschender wäre als einzelne überraschende Indikatorergebnisse“, bringt Fritzi Köhler-Geib auf den Punkt, warum jede Prognose schnell von der Aktualität überholt werden kann.
Erschwerend hinzu kommt, dass der Staat seit mehreren Jahren massiv in die Wirtschaft eingreift. „Seit der Pandemie haben Konjunkturpakete der Bundesregierung ‚normale‘ wirtschaftliche Beziehungen außer Kraft gesetzt“, sagt Carsten Brzeski. Beim Aufstellen von Prognosen müsse daher immer mehr die geplante Politik berücksichtigt werden. Ein Beispiel dafür gibt DZ-Bank-Chefökonom Michael Holstein: Mit Änderungen des Insolvenzrechts habe die Politik während der Corona-Pandemie großen Einfluss auf die Insolvenzentwicklung genommen. „Damit wurde der Zusammenhang zwischen Konjunktur und Insolvenzen vollständig aufgehoben.“ Bis dato gültige Folgerungen aus etablierten Indikatoren müssen neu interpretiert werden. Was also bleibt, wenn nur die Unsicherheit sicher ist? Bei ihrer Empfehlung sind sich die Volkswirte überraschend einig. „Das Denken in Szenarien wird einen größeren Stellenwert einnehmen“, sagt Dominik Lamminger. Nicht nur für Wirtschaftswissenschaftler, sondern auch für Unternehmen. „Sie sollten ihre Prozesse resilienter gestalten und robuste Strategien entwickeln, die ihnen ein Höchstmaß an Flexibilität mit Blick auf zukünftige Krisen verschaffen“, empfiehlt Stefan Schneider. Auf welches Finanzierungsumfeld sie dabei im Jahr 2023 treffen, lesen Sie in Teil 2 der Bankenumfrage.
Das erwarten die Chefvolkswirte deutscher Geschäftsbanken und Bankenverbände für 2023
Bank/Verband | BIP-Wachstum | Inflation |
BVR | - 0,6 % | 6,5 % |
Commerzbank | - 0,5 % | 6,5 % |
Deutsche Bank | - 1,0 % | 7,1 % |
DSGV | - 0,8 % | 8,0 % |
DZ Bank | - 1,9 % | 7,6 % |
ING Deutschland | - 0,8 % | 5,5 % |
KfW | - 1,0 % | 6,2 % |
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke
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