Das Schicksal der Solo-Selbstständigen
Der Blick der Creditreform Wirtschaftsforschung auf das aktuelle Insolvenzgeschehen zeigt weitere Rückgänge bei den Unternehmensinsolvenzen. Ein Minus, das sich paradoxerweise mit dem Beginn der Krisen Anfang der 2020er-Jahre einstellte.
Corona und Ukraine lauten die Stichworte für die Belastungen der Wirtschaft und der Verbraucher, die in ihrer Folge zu Lockdowns und zu einer massiv gestiegenen Inflation führten. Bei einem Rückgang der Gesamtinsolvenzen von fast 20 Prozent in den ersten 6 Monaten 2022 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres nahmen die Unternehmensinsolvenzen mit minus 3 Prozent vergleichsweise nur gering ab. Markanter stellten sich die Rückgänge bei den Verbrauchern mit minus 23 Prozent und bei den sonstigen Insolvenzen mit minus 15 Prozent dar. Bei 51.500 Gesamtinsolvenzen waren 7.300 Unternehmen, 32.800 Verbraucher und 11.400 sonstige Insolvenzen (etwa von Geschäftsführern von Kapitalgesellschaften, ehemals Selbstständigen oder Nachlasskonkurse) betroffen.
Insgesamt weniger Arbeitsplatzverluste und weniger Forderungsverluste
Mit den Abschwächungen bei den gesamten Zahlen zu den Insolvenzen korrelieren die Schäden. Sowohl bei den Ausfällen, welche die Gläubiger hinzunehmen haben, als auch bei den drohenden Arbeitsplatzverlusten zeigen sich Rückgänge. Waren im ersten Halbjahr 2021 noch Gesamtschäden in der Höhe von 21,4 Mrd. Euro zu registrieren, sind es in diesem Halbjahr noch 19,0 Mrd. Euro. Allerdings zeigte die Entwicklung bereits im Vorkrisenjahr 2020 bei den Schäden für den einzelnen Insolvenzfall je Unternehmen eine deutliche Zunahme. Bereits 2020 hatte sich das Schadenvolumen je Unternehmenspleite fast verdoppelt – von 1,3 auf 2,6 Mio. Euro. Nach einem Gipfel der Schäden je Insolvenzfall im Vorjahr mit 3,8 Mio. Euro befinden wir uns aktuell mit 2,6 Mio. Euro also im Grunde wieder auf dem Vorkrisenniveau.
Deutlich abgeschwächt hat sich die Anzahl der Personen, deren Arbeitsplatz von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen ist. Im ersten Halbjahr 2022 drohte rund 68.000 Mitarbeitern eines Pleite- Unternehmens das Aus für ihr Einkommen. Im Vergleichszeitraum des ersten Halbjahres 2021 waren es noch 76.000 Beschäftigte. Aber auch bei den Arbeitsplätzen war bereits 2020 ein neuer Rekord aufgestellt worden: 332.000 Beschäftigte gerieten damals in den Strudel der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Dabei bleibt festzuhalten, dass gerade bei großen Unternehmen durch Sanierungsmaßnahmen noch manche Arbeitsplätze gerettet werden können.
Zahlen können täuschen
Einmal mehr ist anzumerken, was seit zwei Jahren ein kritischer Blick auf das Insolvenzgeschehen offenbart: Durch fiskalische und juristische Maßnahmen im Zeichen der Krise wird die Zahl der Insolvenzen verzerrt. Die langzeitige Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und die großzügige Ausschüttung von Geldern auf europäischer und deutscher Ebene gleichermaßen verbergen, wie es tatsächlich um die Stabilität der Betriebe bestellt ist. Zu befürchten ist nun nicht nur, dass diese Hilfen die Gesamtverschuldung Deutschlands auf neue Höhen treiben, sondern auch, dass die marktwirtschaftlich unabdingbare Auslese unter den Unternehmen im Zuge von Neugründungen und Insolvenzen zum Erliegen kommt. Noch ist diese Entwicklung zu jung, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen, fest steht aber, dass die Rückgänge der Insolvenzen kein Grund zur ungetrübten Freude sind, sondern berechtigte Befürchtungen nähren.
Denn fast ein wenig unbemerkt zeigen die Strukturen der Unternehmensinsolvenzen Veränderungen auf, die als Indiz für den Ernst der Lage zu deuten sind. Es geht also nicht um „Kassandrarufe“, die für das Auslaufen der Hilfsmaßnahmen eine Flut von Unternehmenszusammenbrüchen voraussagen. Es geht zunächst vielmehr darum, zu erkennen, was bereits jetzt an Erosion stattfindet und was in den drohenden konjunkturell schwierigeren Zeiten noch passieren könnte. Festmachen lassen sich diese Befürchtungen an zwei Feldern bei den Unternehmensinsolvenzen. Das ist zum einen die Zunahme großer Unternehmenspleiten – denen in diesem Newsletter an anderer Stelle eine gesonderte Analyse gewidmet ist – und zum anderen die „verborgene“ Entwicklung bei den ehemals Selbstständigen.
Solo-Selbstständige im vereinfachten Verfahren
Zu finden sind diese Fälle in der Statistik bei den „sonstigen Insolvenzen“, einem Sammelbecken kleiner Fälle vom überschuldeten Erbe, über beteiligte Geschäftsführer bis eben hin zu den ehemals Selbstständigen. Bei diesen gab es eine markante Aufwärtsentwicklung. Die Zahlen waren 2021 bereits gegenüber 2020 in die Höhe geschnellt – von 13.700 (2020) kleinen ehemaligen Selbstständigen auf 22.500 (2021). Dabei handelt es sich um Solo-Selbstständige, die also keine Angestellten haben und deren Gläubiger-Zahl überschaubar ist. Diese können das vereinfachte auch für Verbraucher zugängliche Insolvenzverfahren anstreben und sich so schnell entschulden. Mittlerweile erreicht die Zahl der Insolvenzen dieses Personenkreises den 1,5-fachen Wert der Unternehmensinsolvenzen. In den Jahren 2017 und 2019 lagen diese Werte für die Unternehmen (Regelinsolvenzverfahren) und ehemals Selbstständigen (Verbraucherinsolvenzverfahren) noch in etwa auf gleicher Höhe. Eine Dekade früher war die Zahl der Firmeninsolvenzen sogar noch deutlich überwiegend. Im ersten Halbjahr 2022 waren rund 10.700 Insolvenzen ehemals Selbstständiger zu registrieren, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 11.400. Dagegen waren in der Zeit vor der Krise im Gesamtjahr 2019 18.400 Pleiten ehemals Selbstständiger hinzunehmen. Der Anteil der Selbstständigen an den Unternehmensinsolvenzen betrug vor zehn Jahren noch 72 Prozent – mittlerweile liegt er im ersten Halbjahr 2022 bei etwa 147 Prozent.
Die ehemals Selbstständigen und ihr Ende in der Insolvenz mit einem vereinfachten Verfahren zeigen, dass sich hinter der Kulisse des Insolvenzgeschehens mit insgesamt sinkenden Zahlen doch auch negative Tendenzen deutlich abzeichnen. Allerdings ist anzumerken, dass ohne die erwähnten Hilfen auch diese Zahlen noch weit dramatischer hätten ausfallen können.
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