Der Zukunftsprovokateur
Vom Schwarzmaler zum Bessermacher: Der Unternehmensberater Karl-Heinz Land machte sich als Warner vor dem digitalen Darwinismus einen Namen. Heute will der 57-Jährige die Welt vor dem Kollaps retten.
Eine längliche Wölbung unter der Haut, gleich unterhalb des Daumens. Karl-Heinz Land streckt die linke Hand aus – ganz einfach lässt sich da ein kleiner Stift hin und her schieben. Land hat sich einen RFID-Chip einpflanzen lassen. Derart digitalisiert, kann er seine Haustür öffnen und Kontaktdaten an die Smartphones von Geschäftspartnern schicken.
Auch die Gefahren der Hightech-Welt hat Land so am eigenen Leib zu spüren bekommen. Ein Mitglied des Chaos Computer Clubs hackte seinen Chip – zum Glück ohne böse Absicht. Das Ziel war zu zeigen, wie leicht Cyborg-Technik es Angreifern machen kann. Dennoch hat Land das aus seiner Sicht praktische Implantat behalten.
Der 57-jährige Berater zeigt sich technisch optimiert. Das rechte Handgelenk ziert eine Digitaluhr – mehrmals am Tag erstellt sie ein EKG. Die Software schlage vier bis fünf Tage vor einem drohenden Herzinfarkt Alarm, sagt Land. „Daten können Leben retten.“
Lose baumelt daneben ein 4Ocean-Armband mit kleinen Plastikperlen – die Initiative fischt für jeden Käufer ein Pfund Müll aus dem Meer. Die zweite Uhr trägt Land links: eine Rolex. „Sie steht für die analoge Welt, auf die ich nie verzichten möchte“, sagt er.
Bodenständig, avantgardistisch, nachhaltig, geschäftstüchtig – schon seine Accessoires geben Einblick in die Wesensvielfalt von Karl-Heinz Land. Der frühere IT-Manager und Unternehmer wirkt heute als Investor und Berater, Bestseller-Autor und vielbeschäftigter Redner.
Während er noch vor kurzem mit seinem Buch „Digitaler Darwinismus“ die Wirtschaft aufscheuchte – und Unternehmen, die sich nicht wandeln, den Untergang prophezeite, schlägt Land nun optimistischere Töne an. „Erde 5.0: Die Zukunft provozieren“ heißt das Werk.
Einfach gesagt: „Wir müssen entscheiden, was wollen wir und was nicht“, erläutert er. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie können wir den Planeten retten? Für viele Probleme hat Land die Lösung: „Technologie kann das fixen.“
Begleiter ins digitale Neuland
Neuland Digital heißt die Beratung, die Land 2014 gegründet hat. Und es ist mehr als ein Gag mit dem eigenen Nachnamen: „Wir wollen Unternehmen in digitales Neuland begleiten“, sagt er. 15 Mitarbeiter hat das Unternehmen, an dem Land 30 Prozent hält – der Rest gehört einer Düsseldorfer Strategieberatung.
Land zählt auf, wie er mit einem Vier-Stufen-Modell Firmen in die Online-Welt befördert. Erstens: „Customer Journey, Kundenzugang. Auf deutsch: wie findet der mich?“ Zweitens: „Service- und Produktinnovationen. Manche Produkte kriegen einen Sensor, andere dematerialisieren sich – das Bahnticket wird zum QR-Code.“ Drittens: „Unternehmen 5.0. Der Betrieb wird eine Art digitales Fließband, von Ende zu Ende“ – also mit einer einheitlichen Softwarelandschaft. Und viertens: „Mensch, Kultur, Führung. Der Kunde straft es ab, wenn Manager über die Gier den Sinn aus den Augen verlieren“, ist Land überzeugt.
Handel, Bau, Automobil – Neuland ist branchenübergreifend tätig, meist für größere Mittelständler, die der Berater von Grund auf neu programmiert. Er gibt ein Beispiel aus der Automobilindustrie, idealtypisch gedacht: „Der Käufer erfährt online: Sein individuell konfiguriertes Auto kostet Summe X und wird an Tag Y geliefert“, sagt Land. Der Auftrag gehe direkt in die Produktion und werde automatisch umgesetzt. „Das geht aber nur, wenn es keine Systembrüche gibt.“
Und sein eigenes Geschäftsmodell? Land sagt, ihm gehe es nicht darum, Honorareinnahmen zu maximieren. Lieber beteilige er sich mit Neuland Ventures mit meist vier bis zehn Prozent an neuen Geschäftseinheiten, die nach Neuland-Plänen aufgebaut werden. Rund ein Dutzend Beteiligungen hält Neuland Ventures aktuell – darunter IT-Firmen wie Grandcentrix, ein Softwarehersteller für das Internet der Dinge: Land nennt Gerätesteuerungen für Viessmann oder Miele als Beispiel.
Aber auch beim Kölner Wellnesstempel Claudiustherme oder beim Edel-Fitnessstudio Neptunbad ist er an Bord: „Ich wollte nicht alles in der IT haben.“
Topmanager ohne Abi
Aufgewachsen ist Land in Striefen, einem Dorf bei Hennef an der Sieg. „200 Seelen, 400 Kühe“, sagt Land. „Mir war als Kind oft sehr langweilig.“
In der Schule war er nicht besonders gut, ging nach der 12. Klasse ohne Abi ab und wurde Einzelhandelskaufmann. Land heuerte beim 1984 gegründeten Ingenieurbüro für Rechnertechnologie in Aachen an. „Auf einmal war ich in der verrückten IT-Welt. Du konntest die Daten noch laufen sehen. Da habe ich Feuer gefangen.“
Die Karriere beschleunigte sich wenige Jahre darauf mit dem Wechsel zu Oracle, wo Land bei seinem Abschied 1994 den internationalen Vertrieb für Großunternehmen leitete. Nach weiteren Stationen in der IT-Branche wagte Land den Schritt zum Unternehmertum.
2001 gründete er mit Geschäftspartnern Voice Objects, einen Spezialisten für Telefon-Sprachsteuerung, lebte zwei Jahre im Silicon Valley. Erfolgreiche Investments hätten ihm damals die nötigen Mittel beschert: „Ich habe Voice Objects eineinhalb Jahre lang selbst finanziert.“
2007 verkaufte Land das Unternehmen. „Jetzt saß ich da“, erinnert er sich. „Die Firma war futsch, eigentlich als Lebensaufgabe gedacht, aber das Angebot war zu nett.“
Der Markt ist überfordert
Turnschuhe, rote Strümpfe, blaue Hose, weißes Hemd – lässig zurückgelehnt sitzt Land auf dem Le-Corbusier-Sofa in seinem Büro am Kölner Konrad-Adenauer-Ufer. Das Panoramafenster gibt den Blick auf den Rhein frei.
Er hätte es sich gemütlich machen können, doch brach er vor gut zehn Jahren noch einmal auf. Sein Vater habe den Anstoß fürs Bücherschreiben gegeben, sagt Land: „Er ist mein wichtigster Influencer.“
Heute will er nicht mehr nur Unternehmen besser machen. Eine bessere Welt ist sein zweites großes Thema. Erde 5.0 eben. Neben den gut dotierten Auftritten bei Unternehmen hält er pro bono Vorträge an Schulen. Die Klimaproteste der „Fridays for Future“ – eine gute Sache, findet Land: „Greta Thunberg hat mehr erreicht als der Club of Rome seit 1972.“
In dem Jahr veröffentlichte der internationale Thinktank seinen alarmierenden Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Den Schülern redet Land ins Gewissen: „Freitags streiken und am Montag mit Papas SUV zur Schule, das geht nicht“, sagt er. Auch den exzessiven Kauf von Billigklamotten bei Modeketten wie Primark will Land bekämpfen.
„Weg vom Shareholder Value hin zur Sinn-Ökonomie“, sagt Land – der bedingungslose Marktglaube aus seinen Zeiten als Firmenlenker, der sei passé. „Ich war früher glühender Verfechter der FDP“, sagt Land. Beim letzten Zusammentreffen mit FDP-Chef Christian Lindner habe er ihm gesagt: „Neoliberalismus ist vorbei. Der Markt regelt das nicht mehr.“
Denn der Verbraucher allein sei überfordert mit der Marktmacht der Tech-Giganten aus den USA. „Wir werden die großen Plattformen zerschlagen müssen“, sagt Land.
Zukunft durch Technik
Er glaubt fest, dass Bits und Bytes die Welt besser machen werden – und sie im Zweifel sogar retten. Die Errichtung von riesigen Solaranlagen in Afrika samt angeschlossenen Fabriken für den klimaneutralen Treibstoff Methanol, auch das propagiert Land heute. „Afrika kann prosperieren“, sagt er. „Und Technik ist die Basis.“
Das Tempo an Innovationen nehme rasant zu. „In wenigen Jahrzehnten werden wir den gesamten technischen Fortschritt des vergangenen Jahrhunderts in einem Monat haben“, sagt Land. „Wenn sie mal zwei Monate weg sind, haben Sie 200 Jahre verpasst.“ Die Leute sollen davor keine Angst haben, sondern die Zukunft in die Hand nehmen.
Ganz ohne Darwin allerdings kommt auch der Sinn-Visionär Land nicht aus: „Wir müssen vorwegdenken, sonst werden wir überrollt.“
Zur Person
Karl-Heinz Land wurde am 24. Januar 1962 in Hennef geboren und wuchs im Nachbardorf Striefen auf. Ursprünglich wollte er in der Kölner Dombauhütte eine Lehre als Steinmetz machen, entschied sich jedoch für die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann.
Land war in Topmanagement-Positionen für IT-Pioniere wie Oracle, Business Objects (heute Teil von SAP) und Microstrategy tätig, bevor er 2001 Voice Objects gründete. Den Sprachsteuerungs-Spezialisten verkaufte er 2007. Seitdem hat Land sieben Bücher zum Thema Digitalisierung geschrieben und die mehrfach ausgezeichnete Beratung Neuland Digital gegründet. Das World Economic Forum zeichnete ihn 2006 mit dem „Technological Pioneer Award“ aus.
Text: Thomas Mersch
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