Desksharing: Zeit für neue Bürokonzepte?
Das Verhältnis von Bürofläche zu anwesenden Mitarbeitern ist seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie mächtig gestiegen. Wenn viele Menschen im Homeoffice arbeiten, bleiben viele Schreibtische verwaist. Das flexible Konzept „Desksharing“ könnte Büros, wie es sie heute gibt, nachhaltig verändern – bringt aber auch Nachteile mit sich.
Wann immer Dennis Stolze ins Büro kommt, muss er sich erst einen freien Arbeitsplatz suchen. Einen eigenen Schreibtisch hat er nicht. Stolze ist Leiter des Teams Cognitive Environments am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. In seinem Büro gibt es ganz bewusst weniger Arbeitsplätze als Mitarbeiter. Das Organisationskonzept nennt sich „Desksharing“ und basiert auf Ansätzen des New Work.
Entstanden ist Desksharing aus der Beobachtung heraus, dass die Schreibtische in einem Büro oft nur zu einem Teil besetzt sind, verfügbare Büroflächen also nicht effizient genutzt werden. Das war schon vor der Corona-Krise der Fall: Eine Studie der DZ Bank zeigt, dass Schreibtische im Schnitt nur an 190 Tagen im Jahr genutzt werden.
Von den jährlich rund 250 Arbeitstagen sind Mitarbeiter an 30 Tagen im Urlaub, nutzen zehn Gleittage, sind zehn Tage krank oder im Homeoffice und an weiteren zehn Tagen auf Dienstreise oder Fortbildungen. Rechnet man auch noch Teilzeitarbeit mit ein, beträgt die jahresdurchschnittliche Anwesenheit am Arbeitsplatz nur rund 65 Prozent.
Mehr Homeoffice durch Corona
Die aktuelle Situation, in der seit Monaten noch sehr viel mehr im Homeoffice gearbeitet wird, wird diese Quote noch weiter senken. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will im Herbst ein Gesetz vorlegen, das ein Recht auf Homeoffice schafft. Auch lassen viele Studien, die sich mit dem Thema Homeoffice befassen, einen Trend erkennen, der über die Pandemie hinausreicht.
So kommt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag von Acer zu dem Ergebnis, dass rund die Hälfte der Befragten auch nach der Pandemie zumindest teilweise von zu Hause arbeiten möchte.
„Eine Homeoffice-Regelung mit einem flexiblen Arbeitstag pro Woche würde die jahresdurchschnittliche Büroauslastung auf knapp über 50 Prozent senken. Bei zwei flexiblen Tagen reduziert sich die mittlere Auslastung auf etwas weniger als 40 Prozent, bei drei Tagen auf rund 25 Prozent“, heißt es in der Studie der DZ Bank.
Diese Entwicklung stellt viele Unternehmen vor eine Herausforderung: Verwaiste Büroflächen kosten genauso viel Geld wie voll besetzte. Also müssen sie ihre bestehenden Organisationskonzepte überdenken.
Desksharing bringt Vorteile
Alternativen wie Desksharing sind für Arbeitgeber vor allem aus wirtschaftlicher Sicht reizvoll. Bei dem Modell gibt es im Schnitt rund 20 Prozent weniger Schreibtische als Mitarbeiter. Also auch weniger Kosten für Miete, Büroausstattung und Reinigung.
Die Ersparnis sei aber nicht der einzige Vorteil, sagt Dennis Stolze, der am Fraunhofer IAO smarte Umgebungen für die Büroarbeit der Zukunft konzipiert. „Im Laufe einer Woche ergeben sich verschiedene Aufgaben, die unterschiedliche Anforderungen an einen stellen. Zum konzentrierten Lesen eignet sich ein ruhiger Arbeitsplatz, zur kreativen Problemlösung eine möglichst inspirierende Umgebung.“
Deshalb sei es gut, wenn im Büro nicht immer der gleiche Arbeitsplatz zur Verfügung stehe. Hinzu kommt die Möglichkeit, sich variabel mit den Kollegen zusammenzusetzen, mit denen man an einem Projekt zusammenarbeitet. Oder aber bewusst mit solchen, mit denen man sonst nur wenig zu tun hat. „Dieses flexible Arbeiten verbessert die interne Kommunikation und fördert Kreativität und Produktivität in einem Unternehmen“, sagt Stolze.
Kritischer sieht das der Arbeitspsychologe Frank Berzbach: „Selten sind diejenigen, die ein Desksharing-Konzept einführen, auch diejenigen, die so arbeiten.“ Was Entscheider ihren Mitarbeitern aus ihren Einzelbüros heraus zumuten, sei für viele Arbeitnehmer eine Stresssituation.
Berzbach vergleicht Desksharing mit dem Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“, bei dem es weniger Stühle als Mitspieler gibt. „Wer zu langsam ist, geht ohne Platz aus. Das ist Druck, dem sich die Mitarbeiter aussetzen müssen, noch bevor der eigentliche Arbeitstag beginnt.“
Problematisch findet Berzbach auch, dass ein persönlicher Arbeitsbereich fehle, den sich Mitarbeiter mit persönlichen Gegenständen abstecken können. „Manche Menschen brauchen eine vertraute Umgebung, um konzentriert und kreativ arbeiten zu können.“
Fehlt sie, könne das bewirken, dass sich Mitarbeiter zum Unternehmen weniger zugehörig fühlen.
Eingriff ins Gewohnte
Eine Erfahrung, die auch die Münchner Norisk Group gemacht hat: Die E-Commerce-Agentur hat Desksharing gleich zweimal eingeführt und wieder abgeschafft. „Beim ersten Mal nach nur einer Woche“, sagt Geschäftsführer Dominik Haupt.
Obwohl sein Team aus vorwiegend jungen Mitarbeitern besteht, von denen jeder kaum mehr als einen Laptop zum Arbeiten braucht, kamen die ersten Beschwerden schon nach wenigen Tagen. „Das Konzept, von dem wir uns Effizienz versprochen hatten, stellte für unsere Mitarbeiter einen schweren Eingriff ins Gewohnte dar.“
Auch der zweite Versuch, Desksharing temporär in Projektgruppen einzuführen, scheiterte an der Macht der Gewohnheit. Inzwischen hat wieder jeder einen festen Arbeitsplatz, mit Ausnahme einiger weniger Springerplätze für Teilzeitkräfte.
Ein Gegenbeispiel ist das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, das den Desksharing-Ansatz im eigenen Büro erfolgreich etablieren konnte. Als Experte für New-Work-Konzepte ist Dennis Stolze der Meinung, dass Desksharing in nahezu jedem Unternehmen funktionieren kann. „Wie und in welchem Maße, sollte man über eine entsprechend fundierte Arbeitsanalyse ermitteln.“
Büros wie Theaterbühnen
In jedem Fall müssen dafür aber Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, die zu den Bedürfnissen der Mitarbeiter passen. Also Ruheräume für konzentriertes Arbeiten, Meetingräume für Projekte und Gemeinschaftsräume für den Austausch mit Kollegen. „Die Zukunft sind Büros, die sich so problemlos umgestalten lassen, wie Theaterbühnen.“
Das schließe auch Möbel mit ein, die einfach und schnell an die Körpergröße ihrer Nutzer angepasst werden können, zum Beispiel höhenverstellbare Schreibtische.
Elementar sei auch, dass die täglich benötigten Daten und Dokumente digital vorliegen. So bekommt jeder Mitarbeiter an jedem Arbeitsplatz die Informationen, die er braucht. Werden Laptops genutzt, sollten sie sich über eine Dockingstation an externe Monitore anschließen lassen. Persönliche Gegenstände können in Spinden oder Rollcontainern aufbewahrt werden, ebenso wie Maus und Tastatur.
Und um die Idee eben nicht zur täglichen Reise nach Jerusalem ausarten zu lassen, gibt Stolze einen weiteren Tipp: „Die Praxis zeigt, dass Mitarbeiter unzufriedener sind, wenn sie in größeren Büros einen weit entfernten Arbeitsplatz suchen und mit völlig fremden Kollegen aus anderen Abteilungen zusammensitzen müssen.“
Er empfiehlt deshalb, Desksharing stets auf kleinere Bereiche zu begrenzen. „Das bewirkt, dass Mitarbeiter nicht aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen werden und das Gefühl der Zugehörigkeit erhalten bleibt.“
Zehn Tipps für erfolgreiches Desksharing
- Kommunizieren Sie offen, was Sie sich vom Desksharing erhoffen.
- Fragen Sie Ihre Mitarbeiter nach ihren Bedürfnissen.
- Lassen Sie das neue Konzept erst von Freiwilligen testen.
- Stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeiter von überall auf Informationen zugreifen können.
- Tasten Sie sich langsam an das optimale Verhältnis von Arbeitsplätzen und Mitarbeitern heran.
- Begrenzen Sie das Desksharing jeweils auf kleinere Bereiche oder Büroflächen.
- Investieren Sie in ergonomische Büromöbel wie höhenverstellbare Schreibtische.
- Führen Sie eine „Clean Desk Policy“ ein, die festlegt, wie Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz zurücklassen sollen, wenn sie das Büro verlassen.
- Stellen Sie Ihren Mitarbeitern Container oder Spinde zur Verfügung, in denen sie ihre persönlichen Dinge aufbewahren können.
- Gehen Sie mit gutem Beispiel voran, indem Sie sich am Desksharing beteiligen.
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