Konjunktur 2024: Kein Wachstum in Sicht
Seit Jahren folgt eine Krise auf die nächste – und mittlerweile muss die Wirtschaft mehrere Krisen gleichzeitig bewältigen. Kein Wunder, dass Unternehmen ins Straucheln geraten und das Ende der Rezession herbeisehnen. Wie sich die Konjunktur in 2024 entwickelt und was das für die Finanzierungsbedingungen von Unternehmen bedeutet – diese Fragen haben die Chefvolkswirte der wichtigsten deutschen Geschäftsbanken in einer Umfrage des Creditreform Magazins beantwortet.
Chefredakteur Christian Raschke (Handelsblatt Media Group) erläutert im Gespräch mit Tanja Könemann (Handelsblatt Media Group), wie sich die Konjunktur in 2024 entwickelt und was das für die Finanzierungsbedingungen von Unternehmen bedeutet.
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Tanja Könemann: Wann geht es endlich wieder bergauf? Das wollen momentan viele Menschen wissen. Seit Jahren folgt Krise auf Krise auf Krise. Und mittlerweile ist immer Krise. Und das schadet der Wirtschaft. Wann die Rezession vorüber ist und was das für Unternehmen, die aktuell nach Fremdkapital suchen, zu bedeuten hat, darüber haben wir mit den Chefvolkswirten der deutschen Geschäftsbanken gesprochen. Und darum geht es hier auch heute bei unserer Spezial-Folge "Finanzierung und Konjunktur" von Creditreform - Gute Geschäfte.
Jingle: Gute Geschäfte Spezial. Der Themenpodcast von Creditreform.
Tanja Könemann: Herzlich willkommen. Mein Name ist Tanja Könemann und ich bin Redakteurin beim Creditreform-Magazin. Bei mir zu Gast ist heute Chefredakteur Christian Raschke. Hallo Christian.
Christian Raschke: Hallo Tanja.
Tanja Könemann: Christian, Du hast uns heute die Ergebnisse einer ganz besonderen Recherche mitgebracht, die du angestoßen hast fürs Creditreform-Magazin. Worum ging es denn da?
Christian Raschke: Ja, da ging es um unsere Bankenumfrage. Das ist etwas, das wir immer zum Jahresanfang machen. Und da befragen wir die Chefvolkswirte der deutschen Geschäftsbanken und Bankenverbände und bitten sie um eine Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung. Also, was erwarten sie für die Konjunktur im kommenden Jahr? Was denken sie, wie werden sich die Zinsen entwickeln, der Eurokurs, der Dollarkurs? Was bedeutet das alles für die Finanzierung von Unternehmen, für die Finanzierungsbedingungen von Unternehmen? Und daraus leiten wir dann auch Empfehlungen für unsere Leser ab.
Tanja Könemann: Wow, das klingt schwierig. Das würde ich mir jetzt persönlich nicht zutrauen, solche Prognosen auszusprechen. Wie kommen die denn zustande, Christian? Was tun die Chefvolkswirte, um so etwas vorhersagen zu können?
Christian Raschke: Die rechnen permanent ihre Modelle. Und jetzt, bei der Bankenumfrage ist es so - das machen die häufig auch zum Jahresende, weil sie zum Jahresauftakt natürlich mit einer neuen Prognose rauskommen. Dann ist das immer so ein bisschen parallel zu unserer Recherche. Und dann bekommt man mit, wie sich auch noch mal Dinge verändern. Das ist für die Experten immer unheimlich schwierig, weil, um eben mit so einem Modell eine Prognose zu rechnen, muss man ja vorher ganz, ganz viele Annahmen treffen und verschiedene Variablen festlegen. Wie entwickelt sich der Außenhandel? Was macht die EZB mit den Zinsen? Wie verhalten sich Verbraucher? Sparen die oder geben die mehr Geld aus? Was macht der Arbeitsmarkt? Wie entwickeln sich Löhne? All das muss man ja vorher als Annahme treffen. Und je nachdem, wie die ausgeprägt sind, beeinflussen die natürlich auch das Ergebnis, was man dann am Ende hat.
Tanja Könemann: Okay, und was erwarten die Banken für 2024?
Christian Raschke: Das ist in diesem Jahr sehr unterschiedlich. Also so weit auseinander lagen die Ergebnisse noch nie, seit ich das mache. Für 2024 reichen jetzt die Prognosen, die wir bekommen haben, von -0,3 % bis +0,6 % Wirtschaftswachstum. Also da ist die ganze Bandbreite drin, wenn auch nicht so stark ausgeprägt. Aber von einer leichten Rezession über eine Stagnation bis hin zu einem zarten Wachstum. In Summe muss man allerdings sagen, die Tendenz geht dann doch eher in Richtung Rezession in diesem Jahr.
Tanja Könemann: Du hast uns einige Aussagen mitgebracht, die das verdeutlichen. Ich würde die gerne mal abspielen.
Jörg Krämer, Commerzbank: Die deutsche Wirtschaft hat dieses Jahr eine Menge zu verdauen. Da sind die Zinserhöhungen der EZB und der anderen westlichen Notenbanken, die ein völlig neues Zinsregime schaffen. Die Unternehmen müssen sich daran erst gewöhnen. Das dauert.
Stefan Schneider, Deutsche Bank: In diesem Jahr dürfte das außenwirtschaftliche Umfeld und auch die Geld- und Fiskalpolitik sicherlich erheblichen Gegenwind für die deutsche Wirtschaft bringen, obwohl zuletzt in den USA die Konjunkturdaten besser als erwartet lagen. Außerdem sehen wir doch immer stärker zutage tretende strukturelle Probleme, die zu Verteilungskonflikten führen und auch die Stimmung belasten werden.
Carsten Brzeski, ING Diba: Wenn wir in Europa keine Impulse, keine positiven Impulse, von außen bekommen, aber immer noch zu kämpfen haben mit den vollen Auswirkungen der EZB-Zinserhöhung aus dem letzten Jahr und auch noch mal wieder der Sparpolitik der Bundesregierung, dann wird die deutsche Konjunktur auch 2024 irgendwo wieder zwischen Stagnation und leichter Rezession liegen.
Tanja Könemann: Das waren Jörg Krämer von der Commerzbank, Stefan Schneider von der Deutschen Bank und Carsten Brzeski von der ING Diba mit - das haben wir ja schon gehört - eher pessimistischen Aussichten. Christian, welche Faktoren können das Ruder denn noch herumreißen?
Christian Raschke: Na, wo sich alle einig sind, ist, dass es in diesem Jahr ziemlich stark auf die Inflation und auf die Energiepreisentwicklung ankommen wird. Weil da hängen in der Folge eben noch andere Sachen mit dran. Wenn die Zinsen weiter hoch bleiben, beeinflusst das die Unternehmensinvestitionen. Jörg Krämer hat es ja gesagt: Die Unternehmen müssen sich erstmal darauf einstellen. Und dazu kommt dann noch, dass fast alle Ökonomen sagen: Der private Konsum wird das Zünglein an der Waage sein. Der macht einen relativ großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt aus. Und je nachdem, wie sich das entwickelt, beeinflusst das dann auch am Ende das Ergebnis. Der Unterschied ist: Wir reden hier immer von Prognosen, nicht von Prophezeiungen. Und das heißt, es kann alles so kommen, es muss aber nicht so kommen. Fritzi Köhler-Geib, die Chefvolkswirtin von der KfW, die hat das ganz schön beschrieben. Sie hat gesagt, dass ihre Modelle in ruhigen Zeiten sehr gut funktionieren. Wenn aber immer neue Krisen oder unvorhergesehene Ereignisse dazukommen, dann ist das Ergebnis, was ich heute habe, in 14 Tagen oder in drei Wochen auch schon wieder zunichtegemacht.
Tanja Könemann: Dann kam ja die Haushaltskrise im letzten November für die Chefvolkswirte gerade richtig. Als sie ihre Prognosen erstellten, geriet alles wieder ins Wanken, oder wie kann ich mir das vorstellen?
Christian Raschke: Ja, das kann man so sagen. Also gerade richtig - oder eben nicht richtig, sondern das hat, glaube ich, in der Wirtschaft erst mal viele verunsichert. Unternehmen wie Verbraucher. Vor allem natürlich die Frage: Was gibt es jetzt noch an Subventionen und Förderungen? Was nicht? Was wird gestrichen? Da ist ganz interessant, was Experten vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ausgerechnet haben. Nämlich, dass jeder Euro an Subventionen, der nicht ausgezahlt wird, die wirtschaftliche Aktivität um 0,50 Cent schmälert. Also jeder Euro, der fehlt, macht 0,50 Cent minus. Und im Gesamtergebnis bedeutet das, dass es bis zu 0,3 Prozentpunkte weniger Wirtschaftsleistung ausmachen könnte in diesem Jahr.
Tanja Könemann: Also, wir lernen: Eine verlässliche Wirtschaftspolitik hilft. Wenn es um die Frage geht, wann sich die Wirtschaft wieder erholt, ist es auch gut zu wissen - du hatest den privaten Konsum gerade schon erwähnt - dass der mehr als die Hälfte zum Bruttoinlandsprodukt beisteuert. Womit rechnen die Banken denn hier?
Christian Raschke: Die Optimisten erwarten schon, dass die Löhne steigen und dass dann in der Folge auch der private Konsum steigt. Also, dass die Menschen mehr Geld in der Tasche haben und auch mehr Geld wieder ausgeben. Das kommt ein bisschen aber aus der Annahme heraus, dass wir schon sehr lange in so einer Delle sind. Also wir haben seit 2019 eigentlich keinen Zuwachs mehr gehabt beim privaten Konsum. Das war bedingt durch die Pandemie und durch die Energiepreiskrise, die dann kam. Das ist im Grunde das längste Tief der Nachkriegsgeschichte, und wir erreichen jetzt in diesem Jahr wieder das Niveau von 2019. Und da gehen die Experten dann schon davon aus, dass es dann auch weiter ansteigt, weil sich jetzt die Löhne anpassen und weil sich die Inflation ja auch ein bisschen beruhigt. Allerdings vielleicht noch nicht 2024, sondern eher 2025.
Tanja Könemann: Einer deiner Gesprächspartner, das habe ich in der Vorbereitung gelesen, hat die Zinswende als ein historisch einmaliges Experiment bezeichnet. Das fand ich ziemlich heftig. In welchem Zusammenhang ist die Aussage denn gefallen?
Christian Raschke: Ja, das war Reinhold Riekes, der Chefvolkswirt von den Sparkassen, also vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Und der sagt auch erst mal, dass die Zinswende wegen der hohen Inflation, die wir hatten, grundsätzlich richtig war. Was aber schwierig ist, ist dass sie nach einer sehr langen Phase sehr niedriger Zinsen kam. Und darauf hatte sich ja die Wirtschaft auch sehr stark eingestellt. Davon haben auch in der Pandemie viele profitiert. Geld war eben sehr, sehr lange sehr billig. Und dass es jetzt wieder etwas kostet, damit müssen Unternehmen erst mal umgehen lernen. Und Verbraucher im Übrigen auch. Alle haben jetzt höhere Finanzierungskosten, die dann vielleicht auch Investitionsentscheidungen anders beeinflussen.
Tanja Könemann: Stichwort Finanzierung: Das ist ja nicht nur der eine Punkt, der Unternehmen aktuell bewegt. Banken werden in Zeiten wie diesen auch genauer hinsehen bei der Kreditvergabe. Wie sind sie denn aktuell, die Finanzierungsbedingungen von Unternehmen?
Christian Raschke: Ja, also das Problem in Anführungszeichen sind tatsächlich erst mal die Zinsen. Es ist jetzt nicht so, dass es eine Kreditklemme gibt, wie wir sie vielleicht in der Finanzkrise 2008, 2009 und danach hatten, wo die Sorge war: Bekomme ich überhaupt Geld? Jetzt geht es tatsächlich eher um die Konditionen. Und das hängt natürlich sehr davon ab, wie man als Unternehmen aufgestellt ist. Die Banken schauen da sehr genau hin, auch auf die Bonität ihrer Firmenkunden. Ganz oft fällt dann der Begriff der Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit, weil die Institute eben auch darauf achten, wie gut sich die Unternehmen und ihre Kunden dann eben anpassen können an veränderte Marktbedingungen. Und wie reagieren sie darauf? Wie gehen sie das auch vielleicht aktiv an? Was tun sie in Sachen Digitalisierung? Was machen sie in Sachen Nachhaltigkeit? Wie finden sie Fachkräfte? All diese Dinge, die vielleicht volatiler sind als früher, werden inzwischen mitberücksichtigt, auch im Bankgespräch. Da muss man eben nicht nur Finanzkennzahlen mitbringen, sondern auch Antworten auf andere Fragen haben.
Tanja Könemann: Du hast es vorhin schon angesprochen: das Thema Nachhaltigkeit. Das kommt aber nicht nur zum Tragen, wenn es um die Resilienz von Unternehmen geht. Das kommt auch bei der Kreditvergabe zum Tragen, nämlich als ESG, also Nachhaltigkeit, sozial verantwortungsbewusstes Handeln und eine entsprechende Unternehmensführung. Wie wichtig ist das denn aktuell?
Christian Raschke: Die KfW hat das untersucht und festgestellt, dass es inzwischen bei jedem fünften Unternehmen großes Thema in den Kreditverhandlungen ist. Und das geben die Banken im Grunde weiter an ihre Kunden. Die haben ja selber keine andere Wahl. Die Bankenaufsicht schaut selbst inzwischen genauer auf die Klimarisiken in den Bilanzen der Institute und die Institute geben dann diese Fragen an ihre Unternehmenskunden logischerweise weiter. Das heißt, ich muss als Unternehmen inzwischen auch Antworten darauf haben. Wie ist mein CO2-Ausstoß? Was mache ich in Sachen Arbeitsschutz, zu diesen ganzen ESG-Kriterien eben. Das ist Arbeit. Man muss es aber vielleicht auch als Chance begreifen. Also das haben wir auch immer wieder gehört, dass die Banken daran arbeiten, mehr und mehr Kredite auch direkt an Nachhaltigkeitsziele zu koppeln. Das heißt, wenn ich gut bin, oder wenn ich mich verbessere in diesem Bereich, dann komme ich vielleicht auch günstiger an Kapital als jemand, der noch nicht so weit ist.
Tanja Könemann: Also, ich fasse das mal zusammen: Grundsätzlich sind die Rahmenbedingungen für Unternehmen immer noch schwierig. Es gibt ein paar Chancen, die es sich zu ergreifen lohnt. Was ich jetzt zum Ende aber noch gerne wissen möchte von dir ganz persönlich, Christian ist: Du hast jetzt monatelang in diesen Zahlen herumgewühlt und dir angeguckt, ja, dass es eigentlich immer noch nicht bergauf geht und dass man noch Geduld haben muss. Wie war das für dich? Hast du jetzt noch Lust auf 2024 oder würdest du am liebsten schon ein Jahr weiter springen?
Christian Raschke: Nein, natürlich habe ich Lust auf 2024. Das wäre auch schlimm, wenn nicht. Ich glaube, man muss das ein bisschen realistisch einordnen. Es gibt jetzt noch keinen großen Grund für Euphorie, aber es gibt natürlich schon ein paar ganz positive Anzeichen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite bleiben aber ja viele Unsicherheiten, das wissen wir auch: der Krieg in der Ukraine, jetzt der Konflikt in Gaza, die Wahl in den USA wird uns sicherlich dieses Jahr noch beschäftigen und auch was die Ampelregierung macht. Ich sehe das aber dann beruflich als Journalist irgendwo auch mit Freude. Weil, das bedeutet ja erst mal, dass uns der Stoff für Geschichten nicht ausgeht.
Tanja Könemann: Das kann ich verstehen, das geht mir genauso. Damit sind wir am Ende von Gute Geschäfte für heute. Ich bedanke mich ganz herzlich bei dir, dass du da warst und bei unseren Zuhörern natürlich auch. Schreiben Sie uns gerne Ihr Feedback, wenn wir irgendwas besser machen können. Wenn Sie einen Themenvorschlag haben. Sie erreichen uns über Linkedin und wir freuen uns natürlich auch über einen Kommentar und nehmen ihn gerne auf. Herzlichen Dank und hoffentlich bis bald. Bei Gute Geschäfte.
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