Creditreform Magazin

Wie Interim-Manager die Digitalisierung vorantreiben

Viele Unternehmen haben in der Corona-Krise gemerkt, dass sie Nachholbedarf bei der Digitalisierung haben. Interim-Manager können helfen, das zu ändern. Die Experten auf Zeit setzen Projekte um und verlassen das Unternehmen wieder – der Digitalisierungssprung und das Know-how aber bleiben.

Hans van den Bosch ist ein Mann der Tat. Der Finanzdirektor des Geschäftsbereichs Road der Duisburger Imperial Logistics International suchte im Sommer 2019 für die Münchner Transporttochter seines Unternehmens einen kaufmännischen Leiter. Beim 140-Mitarbeiter-Ableger, der den Just-in-Time-Transport von Automobilbauteilen zwischen Zulieferern und einem süddeutschen Hersteller abwickelt, lief nicht alles optimal. Die Software des ERP-Systems war aufgrund fehlender personeller Ressourcen noch nicht fertig, es fehlten verifizierbare Daten. „Dadurch waren unsere Abrechnungen nicht immer nachvollziehbar“, erinnert sich van den Bosch. „Und solide Auswertungen und Entscheidungen zur Planung und Steuerung der Geschäftsprozesse waren schwierig.“ Schnell musste für die offene Position ein Finanzfachmann mit ERP-Systemerfahrung her. Im Betrieb gab es keinen.

Ärmel hochkrempeln und loslegen

Der Finanzdirektor wandte sich an die Personalberatungsfirma Management Angel, die auf Interim-Führungskräfte spezialisiert ist, „denn für einen langwierigen Recruitingprozess fehlte uns die Zeit“. In der Kartei der Hamburger stehen gut 7.000 Manager und Managerinnen, die zeitlich begrenzte Tätigkeiten übernehmen. Einer von ihnen: Ralf Schäfer. Der studierte Logistikkaufmann mit 25 Jahren Berufserfahrung bei mittleren und großen Logistikunternehmen arbeitet seit sieben Jahren als freiberuflicher Manager, kommt in Betriebe, setzt definierte Projekte um – und geht wieder. „So einen Mann brauchen wir für einige Zeit für die kaufmännische Leitung“, war sich van den Bosch sicher. Seine Anforderung: „Er muss sich schnell einarbeiten, die Komplexität der Aufgaben beherrschen und mit dem gesamten Team gut zusammenarbeiten können.“ Zur Aufgabenstellung an den Interim-Manager gehörten neben der abschließenden Implementierung der ERP-Software deren Einbindung in das operative Tagesgeschäft, das Schnittstellen-Management zur Finanzbuchhaltung und die Leitung mehrerer Projekte, etwa zur Profitabilitätssteigerung durch Kostensenkung.

Ralf Schäfer krempelte die Ärmel hoch und legte los. „Wichtig ist es, rasch die Hürden zu identifizieren, die den Weg versperren, und eine Roadmap aufzusetzen, die allen Beteiligten eine Orientierung bietet“, erklärt er seine ersten Schritte. Neben strategischem Denken brauche man oft viel Fingerspitzengefühl, „denn einem Externen schlägt nicht immer nur Wohlwollen entgegen“. Bei Imperial gab es zwar keinen Gegenwind, „aber es mussten viele Schritte umgesetzt werden, etwa der kurzfristige Aufbau eines Monitorings zur Steigerung der Abrechnungsqualität entlang der Prozesskette“. Schäfer führte Workshops zur Festlegung der wesentlichen Steuerungsindikatoren durch, baute die Dashboards zur Bewertung und Steuerung der Geschäftsaktivitäten auf sowie ein Change- und Kulturmanagement.

Clevere Chefs lassen sich helfen

Für Till Puffert, Senior-Consultant bei den Management Angels, ist das Duisburger Projekt ein Paradebeispiel: „Erfahrene Interim-Manager wie Ralf Schäfer übernehmen in einer Linienposition oder in Projekten unmittelbar operative Verantwortung und lösen die kundenindividuellen Aufgaben schnell und zielorientiert.“ Mal lässt sich ein Handelshaus von einem Externen fünf Monate lang bei der digitalen Transformation vom klassischen „Store-Retailer“ zum E-Commerce-Anbieter unterstützen, mal beauftragt eine in einer Restrukturierung befindliche Maschinenbaugruppe einen Interim-Manager mit dem Abbau von Personal und dem Aufbau einer neuen Organisation, mal wird vorübergehend Ersatz für einen erkrankten Produktionsleiter gesucht und mal ein Personalleiter auf Zeit, der bei der Rekrutierung von Spezialisten hilft.

Interim-Management entstand in den 1970er-Jahren in den Niederlanden, in Deutschland etwa ein Jahrzehnt später. Der Einsatz von Freiberuflern auch in der Beletage von Firmen ermöglichte eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes für Führungskräfte. In den ersten Jahren wurden Zeit-Manager vor allem angeheuert, wenn ein Betrieb in Schieflage geraten war. Es galt, ihn wieder aufzurichten, ihn zu sanieren. Über solche Mandate sprechen die wenigsten Firmenchefs. Groß ist die Sorge, von Kunden, Wettbewerbern und Lieferanten als unfähiger Firmenlenker wahrgenommen zu werden, der seine Probleme nicht selbst in den Griff bekommt. Puffert beruhigt: „Das ist falsche Scham. Es zeichnet einen Unternehmer doch eher aus, wenn er erkennt, dass eine Top-Kraft von außen für eine begrenzte Zeit eine Hilfe sein kann. Ich halte solche Chefs für extrem clever.“

Corona war ein herber Schlag

Tatsächlich machen Restrukturierungsprojekte laut Arbeitskreis Interim Management Provider (AIMP) inzwischen nur noch 19 Prozent aller Einsätze aus. Viel häufiger drehen sich die interimistischen Aufgaben um Change Management (39 Prozent). Puffert: „Die digitale Transformation verlangt nach Interim-Managern, die Wachstum vorantreiben können.“ Die Dynamik der Veränderungen führe zwangsläufig dazu, dass Führungspersonal parallel das Tagesgeschäft, den internen Wechsel aus der analogen in die digitale Welt und die Entwicklung neuer Geschäftsfelder voranbringen müssen. Dafür fehlt es in vielen Betrieben an qualifizierten Köpfen und dem notwendigen Know-how. Das habe sich in der Corona-Krise verschärft: „Viele Unternehmen haben die Zeit genutzt, um ihre IT auf Vordermann zu bringen. Das aber ist erst der Anfang. Vor allem kleine und mittelständische Betriebe haben hier noch Nachholbedarf.“ Außerdem könne eintreten, was viele Volkswirte befürchten: eine Konsolidierungswelle im Herbst. Wenn die Corona-Förderhilfen auslaufen, fällt für viele Firmen der letzte Strohhalm weg. Joachim Rupp, Geschäftsführer von Ludwig Heuse Interim, sagt: „Dann werden Interim-Manager wieder für Restrukturierungen gebraucht.“


„Die digitale Transformation verlangt nach Interim-Managern, die Wachstum
vorantreiben können.“

Till Puffert, Management Angels


Ein paar Fakten zur Branche: In Deutschland tummeln sich derzeit 13.000 bis 14.000 freiberufliche Manager. Im Schnitt sind sie 52 Jahre alt. Die meisten verfügen über langjährige Erfahrungen, sind krisenerprobte Führungskräfte. Im AIMP sind die 17 wichtigsten der rund 100 Vermittlungsfirmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vertreten. Zu ihnen gehören Gronova, Gointerim, Hanse Interim, Ludwig Heuse, Management Angels und ZMM. Die größten dieser Provider verfügen über Pools von 3.000 bis 7.000 Managern, kennen ihre Kandidaten persönlich, deren Qualifikationen und Tagessätze und können den jeweils passenden Mann oder die passende Frau innerhalb weniger Tage entsenden.

Durchschnittlich kam ein Interim-Manager 2019 auf 154 Einsatztage. „In diesem Jahr, in dem die Wirtschaft durch die Corona-Krise monatelang am Boden lag, dürften es wohl nur etwa 110 Tage werden“, sagt der stellvertretende AIMP-Vorsitzende Martin Mayr. Im März, April und Mai des laufenden Jahres sei die Nachfrage nach Führungskräften auf Zeit um 80 bis 90 Prozent eingebrochen, seit Juni belebe sich das Geschäft aber wieder. Mayr geht von einem „bis zu 20-prozentigen Rückgang“ des Gesamtumsatzes der Branche aus, der im vergangenen Jahr bei 2,3 Milliarden Euro lag.

Know-how-Transfer als i-Tüpfelchen

Besonders häufig gerufen werden die Berufs-Nomaden nach Angaben des Provider-Verbands in die Automotive- (23 Prozent) und Maschinenbau-Branche (21 Prozent). Es folgen die Segmente Informations- und Kommunikationstechnologie, Chemie/Pharma, Konsumgüter sowie Finanzdienstleistungen. Als Auftraggeber stellen mittelständische Firmen mit 500 bis 1.000 Mitarbeitern die größte Gruppe (37 Prozent), Betriebe mit 1.000 bis 10.000 Beschäftigten vergeben 28 Prozent der Mandate. Am häufigsten werden Interimer in der Unternehmensführung eingesetzt, in Technik und Produktion, Finanzen und Controlling. Stark wächst seit einem Jahr die Nachfrage aus dem Personalwesen.

Vor 15 oder 20 Jahren noch holte sich so mancher Auftraggeber nach Projektabschluss den Externen auf seine Payroll. 2006 etwa wechselten 16 Prozent der Übergangshelfer in eine Festanstellung. 2019 waren es nur noch fünf Prozent. „Die meisten Interim- Manager arbeiten leidenschaftlich gerne freiberuflich“, weiß Senior-Consultant Puffert. „Sie reizt vor allem die Vielfältigkeit, die Interim-Management mit sich bringt, sie wollen immer neue Herausforderungen bewältigen, in verschiedenen Unternehmen und verschiedenen Branchen arbeiten.“


„Der Know-how-Transfer von Interim-Managern in die Unternehmen ist nicht zu unterschätzen.“
Martin Mayr, Gointerim


Klar ist: Ein hochqualifizierter, erfahrener Manager, der für einige Monate in einem Betrieb arbeitet, hinterlässt in der Regel nicht nur ein erfolgreich abgeschlossenes Projekt, sondern auch viel Wissen. „Der Know-how-Transfer von Interim-Managern in die Unternehmen ist nicht zu unterschätzen“, sagt Mayr. „Davon profitieren Firmen oft noch Jahre.“ Dieses Argument nennt auch der DDIM, wenn der Firmenchef klagt, ein Interim-Manager sei zu teuer (siehe Kasten). „Außerdem rechnen wir ihm vor, dass das Ergebnis der Arbeit einer externen Führungskraft oft fünf- bis zehnmal höher ist das Honorar.“ 

Rekrutierung via Plattform oder Provider

Nach Ansicht von Verbandsvertreter Mayr, selbst zertifizierter Interim-Manager und Inhaber der österreichisch-deutschen Vermittlungsfirma Gointerim, wird die Zahl der Aufträge, die über Internetplattformen abgewickelt werden, in den nächsten Jahren steigen. „Das ist eine Möglichkeit für Unternehmen, auch Manager zu finden, die nicht in der Datenbank eines Providers stehen.“ Senior-Consultant Puffert betont dagegen die Vorteile einer Vermittlerfirma: „Ein Provider begleitet das Interim-Mandat während der gesamten Projektlaufzeit – von der Unternehmensanfrage über die schnelle Suche nach dem passendsten Kandidaten und die Erstellung des Dienstleistungsvertrags bis zur Abrechnung.“

Bei Imperial wurden aus den anvisierten drei Übergangsmonaten schließlich acht. Erst im Mai 2020 endete für Ralf Schäfer der Job mit der Einarbeitung der neuen, festangestellten kaufmännischen Leiterin. Hans van den Bosch ist mit der Arbeit seiner Führungskraft auf Zeit zufrieden: „Das implementierte Monitoringsystem schafft die Transparenz, die uns gefehlt hat, und die Erfassungs- und Datenqualität für alle abrechnungsrelevanten Prozesse ist jetzt gut.“ Damit nicht genug: Das Logistikunternehmen kann durch die neuen Checklisten mit Verantwortlichkeiten und Terminen Monats- und Jahresabschlüsse nun effizient durchführen. Und das bay­erische Tochterunternehmen hat durch die neue Klarheit Einspar- und Ergebnisverbesserungspotenziale in seiner Verwaltung identifiziert und realisiert. Van den Bosch: „Damit haben sich unsere Ausgaben für das Interim-Management mehr als amortisiert.“


Tipps für das Kleingedruckte

Interim-Manager erhalten nach Angaben der Dachgesellschaft Deutsches Interim Management (DDIM) Tageshonorare von durchschnittlich 1.200 Euro, Spitzenleute verdienen nicht selten 2.500 Euro und mehr. Im Vertrag mit dem Freiberufler sind laut Rechtsanwalt Stefan Krüger von der Düsseldorfer Kanzlei Mütze Korsch (www.mkrg.com) wesentliche Punkte zu regeln:

  • Auftragsgegenstand und Auftragsdurchführung, insbesondere Projektbeschreibung
  • Vergütung (Tageshonorar)
  • Vertraulichkeit/Unterlagen
  • Haftung
  • Datenschutz
  • Laufzeit/Kündigung
  • Sonstiges (Erfüllungsort, Gerichtsstand, Schriftform, salvatorische Klausel)


Wird eine Vermittlungsfirma eingeschaltet erhält sie je nach Aufwand und Komplexität des Projekts eine Provision in Höhe von 25 bis 35 Prozent des Honorars. Zu den Leistungen des Providers gehört die Vorauswahl. So verfügen professionelle Provider über Kriterien, die ein Kandidat erfüllen muss, um in ihren Pool aufgenommen zu werden. In der Regel kennt der Vermittler die Führungskräfte persönlich, pflegt über Jahre Beziehungen zu ihnen. Exzellente Provider beschränken sich nicht auf den Versand von Lebensläufen, sondern stehen als begleitender Partner sowohl dem Auftraggeber als auch dem Interim-Manager zur Seite. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Markt-daten, die helfen, das Projekt erfolgreich zu realisieren.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hoffmann



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